Wortgeschichte
Kreisförmige Bewegung
. Herkunft und Bezeugungen seit dem 15. Jahrhundert
Das Substantiv Revolution1) (1524, 1615) ist im Deutschen seit dem 15. Jahrhundert belegt (vgl.
1DFWB
III, 412–418; vgl. auch Pfeifer unter RevolutionDWDS). Etymologisch ist das Wort auf spätlateinisch revolūtio, das das Zurückwälzen
(z. B. des Steins vor dem Grabe Christi) sowie Ablauf, Rückkehr
(z. B. die Wiederkehr des Mondes auf seiner Bahn), mittellateinisch Bahn, Umlauf der Gestirne
bedeutet, zurückzuführen (Pfeifer unter RevolutionDWDS).
In der astronomisch-astrologischen Literatur des Mittelalters wird lateinisch revolūtio – ohne nachweisbare Beziehung zu spät- und mittellateinischen Verwendungen in den oben genannten Bedeutungen – dann auf den Umlauf der Gestirne bezogen (HWPh 8, 958). Von hier gelangt es in die Volkssprachen: Im Alt- und Mittelfranzösischen sind revolucion, revolution bereits seit Ende des 12. Jahrhunderts in entsprechender Bedeutung belegt und auch in englischen Quellen ist das Wort seit dem 12. und 13. Jahrhundert bezeugt (vgl.
3OED unter revolution, n.). In deutschsprachigen Quellen begegnet das Wort dahingegen erst später und zunächst im Bereich der Astronomie bzw. Astrologie (1550, 1596, 1631, 1676). Es nimmt hier die Bedeutungen Umlauf der Gestirne
, (Stern-)Konstellation, Sternzeichen
sowie allgemeiner etwa in Bezug auf die Zeit auch die Bedeutung Ablauf oder Wiederkehr einer Zeiteinheit; Dauer
an (1DFWB
III, 412–418).
Ausgehend von den astrologischen Verwendungen wird Revolution auch als Bezeichnung für die (gegenwärtige) Situation und (Zukunfts-)Aussicht eines Staates oder einer (meist hochgestellten) Persönlichkeit verwendet (1DFWB III, 412–418). Im deutschsprachigen Raum überwiegen zunächst wohl Wortverwendungen in astrologischen, insbesondere prognostischen, Texten (vgl. mit einer vergleichbaren, allerdings wohl sprachübergreifend zu verstehenden Beobachtung auch HWPh 8, 959). Allen diesen frühen Verwendungen liegt letztlich die Vorstellung von Kreisförmigkeit, sei es in Bezug auf Bewegung, sei es in Bezug auf die Zeit, zugrunde.
Veränderung
. Semantische Transformation ab dem 17. Jahrhundert
Das ändert sich ab dem 17. Jahrhundert: Neben jene Verwendungen, denen eine Vorstellung von Zirkularität zugrunde liegt, treten jetzt neue Verwendungen, in denen nunmehr eine Vorstellung von Veränderung und Wandel mit dem Wort verbunden ist (1702, 1764, 1784; für den französischen Sprachraum finden sich bei Bender 1977 detaillierte Hinweise auf den Übergang von einem zyklischen hin zu einem prozesshaften und fortschrittsorientierten Verständnis von Revolution). Im deutschsprachigen Raum bucht das Fremdwörterbuch von Gladov Revolution 1727 mit der allgemeinen Bedeutung die Umwälzung, Veränderung, oder Ablauf der Zeit
(A la Mode-Sprach, 596). Das Wort wird nun zudem auf andere Gegenstandsbereiche übertragen (1682, 1767a, 1767b). Seidler hat in diesem Zusammenhang die These aufgestellt, dass die ältere astrologische Bedeutung des Ausdrucks die Wandlung des Wortes als Zwischenstufe förderte: Der Begriff Revolution löst sich von der Zeit. Er geht auf das irdische wechselvolle Geschehen und die Wandlungen über, die durch die Sterne hervorgerufen werden. Die Astrologie bildet die Grundlage für die Verallgemeinerung und Übertragung des Wortes
(Seidler 1955, 138; vgl. auch Seidler 1955, 127–134, wo der Übergang kleinteilig nachvollzogen wird).
Wie in anderen europäischen Sprachen auch gehört der Bereich der Politik im deutschsprachigen Raum bereits im 17. Jahrhundert zu den Kontexten, auf die das Wort nun übertragen wird (1696). Entsprechend findet sich bei Gladov bereits im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts auch die Buchung Revolutio regni
Veränderung und Umkehrung eines Königreichs oder Landes, wann nemlich solches eine sonderliche Aenderung im Regiment und Policey-Wesen leidet
(A la Mode-Sprach, 596). Noch Mitte des 18. Jahrhunderts ist das, was Staatsveränderung
im deutschsprachigen Raum dabei adressiert, jedoch denkbar weit gefasst:
Daher ſetzet die Staatswiſſenſchaft unwiderſprechlich eine Kenntniß des Urſprungs und der Hauptver-aͤnderungen eines Reichs voraus. Die Geſchichte der Staatsveraͤnderungen (Revolutionen) eines Reichs iſt alſo das erſte, was in der Staatswiſſenſchaft eines jeden Volks abgehandelt werden muß. Man geht ſolche nach gewiſſen Periodis in einem kurzen Zuſammenhange durch, um ſich einen Begriff uͤberhaupt zu machen, wie ein Reich durch ſeine verſchiedene Abwechſelungen endlich die heutige Geſtalt erlanget. Zweyerley iſt hiebey hauptſaͤchlich zu eroͤrtern: 1) die Veraͤnderungen der Regierungsform, 2) die Veraͤnderungen der Provinzen, welche nach und nach entweder einem Staate zugefallen, oder davon abgekommen. Jn den er-blichen Monarchien muͤſſen noch 3) die Veraͤnderungen der Familien, welche den Thron beſeſſen, beygefuͤgt werden. Alle uͤbrige beſondere Begebenbeiten eines Staats uͤberlaſſen wir der eigentlich ſo genannten Hiſto-rie. Die Revolutionen mit ihren Urſachen und Folgen ſind zu unſerm Endzwecke allein noͤthig, und zu-gleich hinlaͤnglich: es mag ſolche der Zuhoͤrer als eine Vorbereitung, oder als eine kurtze Wiederhohlung der ganzen Geſchichte anſehen. [1749]
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Ein Blick auf die europäischen Sprachen zeigt, dass erste Verwendungen in politischer Bedeutung im Italienischen vereinzelt bereits ab dem 14. Jahrhundert belegt sind (vgl.
HWPh 8, 959). Für den französischsprachigen Raum hat Bender aufgezeigt, dass das Wort bereits weit vor der Französischen Revolution auch auf politische Kontexte übertragen worden ist; Einfluss auf die politische Bedeutungslinie und die neue semantische Kontur von Revolution haben dabei wohl auch die Ereignisse der Glorious Revolution 1688 in England (etwa Bender 1977, 157). Auch im deutschsprachigen Raum lassen sich Belege mit Bezug auf die Glorious Revolution in England nachweisen (1756). Mindestens für den französischsprachigen Raum gilt außerdem, dass révolution im Verlauf des 18. Jahrhunderts seine negative Konnotation verliert (vgl.
Bender 1977, 163–164). Die politische Bedeutung des französischen Wortes sei damit [b]ereits eine Generation vor Ausbruch der Französischen Revolution […] zu definieren mit: Großer politischer Wandel zum Besseren, der das Resultat einer
(Bender 1977, 176).revolté
sein kann, in seiner Wirkung über eine réforme
hinausgeht, Altes umstürzt und berechtigte Neuerungen einführt
Plötzlicher und tiefgreifender politischer Wandel
. Semantische Kontur ab 1800
Trotz der Übertragung auf den Bereich der Politik im Verlauf des 17. Jahrhunderts entfaltet sich das vollständige neuzeitliche semantische Profil von Revolution erst unter dem Eindruck der Französischen Revolution an der Wende zum 19. Jahrhundert. In der Nachfolge der politischen Ereignisse verbreitet sich das Wort in der neuen Bedeutung plötzlicher, tiefgreifender und oftmals gewalttätiger Vorgang der politischen Staatsumwälzung, der in der Regel vom Volk ausgeht
im gesamteuropäischen Sprachraum. Im deutschen Sprachraum sind die ersten Belege mit dieser Bedeutung entsprechend auf Frankreich und die Französische Revolution bezogen (1789b, 1789c). Bereits Ende des 18. Jahrhunderts ist zudem die Verbindung französische
bzw.
Französische Revolution als Bezeichnung für diese spezifische neuzeitliche Revolution belegt (1794, 1810a). Zunächst nur auf die Französische Revolution im Speziellen bezogen, wird Revolution im Verlaufe des 19. Jahrhunderts in der neuen Bedeutung dann auch auf andere Revolutionen (hier verwendet im heute dominanten Verständnis) übertragen, so beispielsweise auf die Ereignisse 1848/49 (1850b, 1883).
Zur neuen semantischen Kontur von Revolution gehören nun zentral die Aspekte der Plötzlichkeit und des tiefgreifenden Umbruchs (1810b). Des Weiteren liegt dieser neuen Bedeutung anders als in früheren politischen Verwendungen, in der politische Revolution jegliche Form der Veränderung auf Staatsebene bedeuten konnte, mindestens partiell auch die für die Semantik von Revolution neue Differenzkonstruktion Volk versus herrschende Ebene zugrunde (1802). Gleichermaßen auf der Grundlage der und in expliziter Abgrenzung zu eben dieser dem Wort eingeschriebenen Differenzkonstruktion entsteht im 19. Jahrhundert die Verbindung Revolution von oben (1879; vgl. bereits Seidler 1955, 310–314). Eigentlich handelt es sich hier um ein Oxymoron.
Mit der Entstehung dieser neuen Bedeutung verschwindet die ältere, weiter gefasste Verwendung, in der Revolution Staatsveränderungen im Allgemeinen bezeichnen kann. Damit handelt es sich hier letztlich um Bedeutungswandel durch Bedeutungsverengung.
Von Kontrerevolution über Revoluzzer bis Wende. Das Semantische Feld der politischen Bedeutungslinie
Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Revolution“
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Im neuzeitlichen Verständnis wird Revolution zu einem zentralen Wort des Themenfeldes Politik und Gesellschaft: Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert steigt die Verwendungsfrequenz des Wortes deutlich (vgl. Abb. 1 sowie die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Darüber hinaus ist es ist mit Blick auf Wortbildungen zudem oder gerade deshalb ausgesprochen produktiv. So entstehen zum Teil bereits unmittelbar nach Entstehung der genuin neuzeitlichen Bedeutung von Revolution Substantiv- und Adjektivbildungen zu ebendieser Bedeutung. Zu nennen wären Bildungen wie GegenrevolutionWGd und gegenrevolutionärWGd, Kontre- bzw. KonterrevolutionWGd und konterrevolutionärWGd, RevolutionärWGd, KonterrevolutionärWGd, GegenrevolutionärWGd und revolutionärWGd sowie nicht zuletzt RevoluzzerWGd, revoluzzenWGd und RevoluzzertumWGd. Daneben treten feststehende Bezeichnungen wie 48er Revolution (1913a, s. a. 48erWGd) oder Russische Revolution (1919a, hier noch in Kleinschreibung, 1966). Nicht zuletzt entsteht im Kontext der politischen Ereignisse 1989/90 mit dem Oxymoron Friedliche RevolutionWGd nicht nur eine inzwischen lexikalisierte Bezeichnung für diesen neuerlichen politischen Umbruch, daneben entstehen mit WendeWGd und Wiedervereinigung auch zwei Synonyme hierfür.
Geistige, wissenschaftliche, technische Revolutionen. Übertragungen
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts und wohl in der Nachfolge der Ausbildung der Bedeutung plötzlicher, tiefgreifender politischen Wandel
wird das Wort Revolution neuerlich auf zahlreiche andere Gebiete übertragen. In diesem Zusammenhang entsteht zudem die neue Bedeutung grundlegender und tiefgreifender Wandel
. Damit folgt auf die Bedeutungsverengung nun wieder eine etwas anders gerichtete Bedeutungserweiterung. Diese neue Bedeutung tritt besonders in Verbindungen wie geistige Revolution (1838b, 1869b, 1876), wissenschaftliche Revolution (1847, 1964) oder technische Revolution (1900, 1959) zu Tage.
Ausweitung auf ökonomische Veränderungen und die Verbindung industrielle Revolution
Neben jenen Verwendungen im übertragenen Sinn lässt sich insbesondere auch die Ausweitung auf tiefgreifende ökonomische Veränderungen beobachten (1816), die sich vor allem in der festen Verbindung industrielle Revolution manifestiert. Die Verbindung ist im Französischen bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts belegt (vgl. HWPh, 973). Im deutschsprachigen Raum ist industrielle Revolution als feste Verbindung seit den 1830er Jahren gelegentlich belegt (1834, 1838a), auch Marx und Engels verwenden sie in der Nachfolge (1845a, 1867). Sie bezeichnet seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sowohl den Vorgang des Übergangs von der vorindustriellen zur industriellen Produktion mit den damit verbundenen Entwicklungen (1950) als auch – als Epochenbezeichnung – die spezifische historische Phase eben dieses Übergangs (1913b, 1948) mitsamt allen damit verbundenen sozioökonomischen Begleiterscheinungen, die sich im 19. Jahrhundert in der sogenannten sozialen Frage verdichten (1985, 1994; vgl. in diesem Zusammenhang auch PauperismusWGd, PauperisierungWGd, PauperWGd sowie VerelendungWGd). Im Übrigen zeigt sich in der Verbindung industrielle Revolution, dass die hier adressierte Veränderung gleichermaßen tiefgreifend und unwiderruflich ist, wie sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt (1845b, 1850a), die Implikation der Plötzlichkeit hier gegenüber der politischen Bedeutung also zurücktritt.
Von der Revolution zur Weltrevolution. Kommunistische und sozialistische Kontexte
Die ökonomische Dimension spielt auch für die Verwendung des Wortes in kommunistischen und sozialistischen Kontexten eine Rolle. Neben Verwendungen in einem recht allgemeinen Sinn (vgl.
KWM, 1148–1149) bezeichnet Revolution in Verwendungen bei Marx und Engels das politische Projekt der Kommunisten (1848b; vgl.
KWM, 1147). Von hier aus bedeutet Revolution in entsprechenden Kontexten fortan Sturz der kapitalistischen Herrschaft durch einen vom Proletariat geführten Klassenkampf und die Errichtung einer kommunistischen oder sozialistischen Gesellschaftsordnung
(1848a; vgl.
KWM, 1148), ist diskursiv über eine entsprechende Geschichtstheorie grundiert und nimmt eine historisch nach vorn weisende Bedeutung
an (KWM, 1147–1148).
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehen zudem die Verbindungen proletarische Revolution (1869a, 1901) und kommunistische Revolution (1848b, 1925). Daneben erhält Weltrevolution in Bezug auf Sozialismus und Kommunismus eine neue Bedeutung. Belegt ist das Kompositum bereits seit dem 18. Jahrhundert (1747, 1811) und hat die Bedeutungen revolutionäre Umgestaltung der weltgeschichtlichen Verhältnisse
, Umwälzung der sozialen Verhältnisse auf der ganzen Erde
sowie vereinzelt: weltumwälzende Naturkatastrophen
(1DWB
28, 1682/1683). In der zweiten Bedeutung wird Weltrevolution im 20. Jahrhundert zu einem politischen Schlagwort. Zu dieser Zeit steigt die Bezeugungsfrequenz des Wortes signifikant (vgl. die entsprechende, allerdings bedeutungsübergreifende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Im Besonderen bezeichnet das Wort in der Sprache des Sozialismus und Kommunismus bzw. in Bezug auf dieselben nunmehr spezieller revolutionäre Umgestaltung der Welt, die vom Kapitalismus zum Sozialismus bzw. zur Verwirklichung des Kommunismus führt
(1919b, 1936, 1960; zu Weltrevolution
vgl. detaillierter bereits Seidler 1955, 297–302).
Daneben entsteht ebenfalls in der Sprache des Sozialismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die neue Kollokation wissenschaftlich-technische Revolution (1961, 1972); das in der DDR publizierte Wörterbuch der Gegenwartssprache bucht die Verbindung 1974 mit dem Vermerk Neuprägung DDR
und folgender Bedeutung:
[G]rundlegender, sich gegenwärtig in allen Industrieländern vollziehender, durch den Charakter der jeweiligen Gesellschaftsordnung geprägter und entsprechend differenzierter Umwälzungsprozess der gesellschaftlichen Produktivkräfte, der vor allem durch die Verwandlung der Wissenschaft in eine unmittelbare Produktivkraft gekennzeichnet ist: Dieses als Kettenreaktion fast explosionsartige Anwachsen unseres naturwissenschaftlichen und technischen Könnens mit all seinen geistigen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen für den einzelnen und die Gesellschaft – das ist die eigentliche wissenschaftlich-technische Revolution. [WDG 4, 3036DWDS]
Von Geologie bis Skat: Weitere Verwendungen
Neben den genuin zum Themenfeld Politik und Gesellschaft gehörenden Bedeutungen begegnet Revolution nicht zuletzt auch in weiteren Zusammenhängen. So ist das Wort seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Bedeutung (vorgeschichtliche) Erdmassenverlagerung, Gebirgsbildung
, dann auch erdbebenartige Erschütterung, Eruption, Explosion; Naturkatastrophe durch Orkan, Überschwemmung, Blitz u. ä.
(1DFWB
III, 412–418) ein Fachwort in der Geologie, wo es sowohl zur Beschreibung diskontinuierlicher Umbrüche als auch zur Periodisierung der Erdgeschichte, zur Einteilung von Epochen
der Erdzeitalter verwendet wird (Rahden 2012, 4; 1778, 1827). Der Eingang in den Wortschatzbereich der Geologie ist im Kontext eines komplexen Prozesses der Übertragung und Rückübertragung zu verorten:
Zunächst als Deskriptionsbegriff für kontinuierliche Planetenbewegungen eingeführt, sodann auf politisch-historische Prozesse übertragen, wo der Begriff mit einer gegenläufigen Bedeutung besetzt wird, wandert der transformierte Begriff zurück zum planetarisch-terrestrischen Objektbereich, um nunmehr diskontinuierliche Veränderungen der Entwicklung des Planeten Erde zu beschrieben. Mit der neuen Interpretation aufgeladen, findet der Revolutionsbegriff fortan Verwendung in der Geognosie, die sich gerade anschickt, eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin zu werden: Er wird somit – vor allem durch Georges-Louis de Buffon – zu einem Wissenschaftsterminus der Geologie avant la lettre. [Rahden 2012, 4]
Die geologische Verwendung entsteht mithin ihrerseits mit dem neuen Bedeutungsbereich plötzlicher und tiefgreifender Wandel
(1791). Heute ist diese Bedeutung nicht mehr gängig: In gleichem Maße, wie sich der Begriff als politischer etabliert, verliert sich indes seine Bedeutung für die Geologie schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts.
(Rahden 2012, 5) Auch in anderen Naturwissenschaften wie Medizin (1820) und Biologie begegnet das Wort im Übrigen gelegentlich (1789a, 1845c; die beiden fachsprachlichen Nachschlagewerke Historisches Wörterbuch der Biologie und BioConcepts buchen das Lemma nicht). Beide Verwendungsbereiche sind heute unüblich geworden. Nicht zuletzt ist die Bedeutung seltene Spielvariante beim Skat
gelegentlich belegt (2000; vgl. zu Verwendungen im Bereich Kartenspiele bereits Seidler 1955, 327–328).
Anmerkungen
1) Die Wort- und Begriffsgeschichte von Revolution kann als gut erforscht gelten. Bereits Historiker des 19. Jahrhunderts wie Ranke nehmen zumindest am Rande auch die Semantik des Wortes Revolution wahr (vgl. exemplarisch Ranke 1852, 580). In wortgeschichtlicher Perspektive im 20. Jahrhundert Rosenstock 1931, Seidler 1955, Krauss 1970, Reichardt 1973, Bender 1977, hier auch ein Forschungsüberblick (Bender 1977, 10). Aus stärker begriffsgeschichtlicher Perspektive GG 7, 653–788, HWPh 8, 958–973, hier daneben auch 973–996 zu industrielle Revolution, konservative Revolution und wissenschaftliche Revolution, Griewank 1969 sowie Rahden 2012. Auch lexikographisch kann das Wort als gut erfasst gelten, auch wenn eine weitergehende lexikographische Erfassung in Spezialwörterbüchern für die nächsten Jahren angekündigt ist. Vgl. zur Buchungstradition im April 2022 insb. 1DFWB III, 412–418 sowie KWM 6, 1147–1149; daneben auch Pfeifer unter RevolutionDWDS. Das GWB und das HKWM haben das Lemma Revolution angesetzt (siehe GWB online unter Revolution sowie HKWM online unter R, die entsprechenden Bände sind jedoch noch nicht publiziert.
Literatur
A la Mode-Sprach Gladov, Friedrich: A la Mode-Sprach der Teutschen Oder Compendieuses Hand-Lexicon. Jn welchem die meisten aus fremden Sprachen entlehnte Wörter und gewöhnliche Redens-Arten, So in denen Zeitungen, Briefen und täglichen Conversationen vorkommen, Klar und deutlich erkläret werden. Nürnberg 1727. (deutschestextarchiv.de)
Bender 1977 Bender, Karl-Heinz: Revolutionen: die Entstehung des politischen Revolutionsbegriffes in Frankreich zwischen Mittelalter und Aufklärung. München 1977.
BioConcepts BioConcepts. The Origin and Definition of Biological Concepts. A Multilingual Database. (biological-concepts.com)
1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
GG Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd. 1–8. Stuttgart 1972–1997.
Griewank 1969 Griewank, Karl: neuzeitliche Revolutionsbegriff: Entstehung und Entwicklung. Hrsg. von Ingeborg Horn-Staiger. 2. erweiterte Aufl. Frankfurt a. M. 1969.
GWB Goethe-Wörterbuch. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [bis Bd. 3, Lfg. 4. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften der DDR], der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1 ff. Stuttgart 1978 ff. (woerterbuchnetz.de)
Historisches Wörterbuch der Biologie Toepfer, Georg: Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe. Bd. 1–3. Stuttgart 2011. (doi.org)
HKWM Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Hrsg. von Wolfgang Fritz Haug. Bd. 1 ff. Hamburg 1994 ff.
HWPh Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter, Karlfried Gründer, Gottfried Gabriel. Völlig neubearb. Ausg. des „Wörterbuchs der philosophischen Begriffe“ von Rudolf Eisler. Bd. 1–13. Basel 1971–2007.
Krauss 1970 Krauss, Werner: Zur Bedeutungsgeschichte von „révolution“. In: Wissenschaftliche Zeitschrift Universität Halle. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 19 (1970), Heft 3/4, S. 87–90.
KWM Haug, Wolfgang Fritz/Labica, Georges (Hrsg.): Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Berlin u. a. 1983.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Rahden 2012 Rahden, Wolfert von: Revolution und Evolution. In: Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte 1 (2012), S. 1–20. (zfl-berlin.org)
Ranke 1852 Ranke, Leopold: Französische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Bd. 1. Stuttgart/Tübingen 1852.
Reichardt 1973 Reichardt, Rolf: Reform und Revolution bei Condorcet. Ein Beitrag zur späten Aufklärung in Frankreich. Bonn 1973.
Rosenstock 1931 Rosenstock, Eugen: Revolution als politischer Begriff der Neuzeit. In: Festgabe der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Breslau für Paul Heilborn. Breslau 1931, S. 83–124.
Seidler 1955 Seidler, Franz Wilhelm: Die Geschichte des Wortes Revolution. Ein Beitrag zur Revolutionsforschung. Inaugural-Dissertation, LMU München. München 1955.
WDG Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für deutsche Sprache und Literatur. Hrsg. von Ruth Klappenbach und Wolfgang Steinitz. Bd. 1–6. Berlin 1964–1977.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Revolution, industrielle Revolution, Weltrevolution.