Wortgeschichte
Etymologie und frühe lateinische Verwendung in deutschsprachigen Texten
Sowohl das ältere Adjektiv pauper als auch das jüngere Substantiv Pauper gehen etymologisch auf das lateinische pauper arm
zurück. Im Deutschen ist pauper zunächst – die gegenüber dem Deutschen andere Schrifttype in der Quelle zeigt es an – noch in der lateinischen Form mindestens seit dem 18. Jahrhundert auch in deutschsprachigen Texten bezeugt (1729, 1733, 1754). Daneben ist auch das ebenfalls lateinische Substantiv Pauper in Rechtskontexten als fremdsprachliches Fachwort bereits im 18. Jahrhundert bezeugt (1740).
Von Pauperschülern und Pauperhäusern. Zur Rolle von Komposita für die Ausbildung des Adjektivs pauper
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts werden im Deutschen dann eine Reihe von Komposita mit pauper geprägt. Als Erstes entsteht wohl Pauperschüler als Synonym für Armenschüler (1791), das das Deutsche Rechtswörterbuch mit Erstbeleg im DRW-Archiv bereits 1706 verzeichnet (vgl. DRW online unter Pauperschüler). Es folgen Pauperschule (1762, 1804a), Pauperanstalt (1785, 1804b), Pauperhaus (1785, 1804c), Paupervorsteher (1785) und Pauperbursche (1798). Auffallend ist der starke Preußen-Bezug, der in den frühen Belegen zum Ausdruck kommt. In allen diesen Komposita fungiert pauper mit der Bedeutung arm
als Bestimmungselement: Pauperbursche etwa wird im Deutschen Wörterbuch mit der Bedeutung armer Bursche
angegeben (1DWB 13, 1512), Campe bucht Pauperschüler 1813 in seinem Verdeutschungs-Wörterbuch mit der Bedeutung Armenschüler, der den Unterricht unentgeldlich erhält
und verweist zudem darauf, dass das Wort abwertend sei (2Campe Verdeutschung, 467).
Insofern also Komposita mit pauper als Bestimmungselement bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts bezeugt sind, werden sie bei der Entstehung von pauper als eigenständigem deutschen Adjektiv eine gewisse Rolle gespielt haben. Wann genau pauper Eingang in den deutschen Wortschatz findet, ist nicht ganz einfach zu bestimmten; Heyse jedenfalls bucht pauper in den 1830er Jahren in seinem Fremdwörterbuch als eigenständiges Adjektiv mit der Bedeutung arm, dürftig, armselig, ärmlich, bedrängt, elend, schlecht
(7Heyse Fremdwörterbuch 2, 184, vergleichbar auch 1836). Insgesamt hat das Adjektiv allerdings eine geringe Verbreitung.
Der Pauper. Entstehung des Substantivs
Im Englischen ist das Substantiv pauper bereits seit dem frühen 16. Jahrhundert bezeugt und bezeichnet hier seither Personen, die weder Eigentum noch Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts haben bzw. Personen, die von der Wohltätigkeit anderer abhängig sind, später auch sehr arme Personen (vgl. 3OED unter pauper, n. and adj.). Es tritt hier im Übrigen zunächst im Kontext der Armengesetzgebung auf und ist insofern eine sozialrechtliche Bezeichnung: Mit der Einrichtung von Armen- und Arbeitshäusern für sogenannte pauper verbanden sich Absichten der Fürsorge, Erziehung, Abschreckung und Strafe (vgl. HWPh 7, 217). Als attributives Adjektiv ist pauper im Englischen dann seit Ende des 17. Jahrhunderts bezeugt (vgl. 3OED unter pauper, n. and adj.). Um 1800 wird im Englischen vor dem Hintergrund des steigenden Armenanteils und der damit steigenden öffentlichen Armenlast (vgl. HWPh 7, 217) schließlich das neue Wort pauperism Zustand der Verarmung; extreme Armut
sowie die Existenz einer extrem armen Bevölkerungsschicht
(vgl. 3OED unter pauperism, n.) durch Verbindung von pauper mit dem Suffix -ism abgeleitet.
Im Deutschen ist die semantische Entwicklung nun insofern genau umgekehrt, als hier das Substantiv PauperismusWGd früher als das Substantiv Pauper belegt ist. Zwar gibt es mit den oben genannten Komposita seit Beginn des 18. Jahrhunderts sprachgeschichtliche Vorläufer, das Substantiv Pauperismus wird jedoch erst in den 1830er Jahren vor dem Hintergrund der sachhistorischen Entwicklung einer zunehmenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten im vorindustriellen Zeitalter aus dem Englischen ins Deutsche entlehnt (1830). Damit ist es im Deutschen vermutlich älter als das Substantiv Pauper, das wohl auch im Kontext der in den 1830er und 1840er Jahren entstehenden Flut an Publikationen zu dem als neuartig wahrgenommenen Phänomen (vgl. Conze 1954, 336 und 355 sowie PauperismusWGd) erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht – und damit erst nach der Entlehnung von Pauperismus ins Deutsche als alleinstehendes Substantiv im Deutschen bezeugt ist (1848a, 1848b).
Für die Etablierung des deutschen Wortes Pauper werden zwei Entwicklungslinien eine Rolle gespielt haben: Zu den Erstbezeugungen gehören Belege von Karl Marx, insofern wird das ältere englische Substantiv pauper – das im Übrigen seinerseits auch in deutschen Texten bereits seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftritt (1829, 1853) – von Relevanz gewesen sein. Einträge des lateinischen Pauper in Fremdwörterbüchern mit der Bedeutung ein Armer, bes. armer Schüler
aus den 1830er Jahren legen allerdings zugleich die Vermutung nahe, dass daneben auch die älteren deutschen Komposita im Hintergrund der Entstehung des deutschen Pauper stehen (vgl. 1832 sowie 7Heyse Fremdwörterbuch 2, 184). Neben einer alle Formen der Armut umfassenden Verwendung (1991) verbindet sich im 19. Jahrhundert vor allem die Vorstellung einer nicht individuell verschuldeten, sondern allgemeinen Massenarmut zu Zeiten der Vor- und Frühindustrialisierung mit dem Wort im Speziellen (1848a; 1848b).
Auch das Substantiv hat insgesamt eine geringe Verbreitung und ist wohl vor allem in seinem historischen Kontext von Relevanz. Es ist aber bis heute bezeugt, nun vornehmlich in Bezug auf die entsprechende Phase des 19. Jahrhunderts (1963, 1973, 1991).
Literatur
2Campe Verdeutschung Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Ein Ergänzungsband zu Adelung’s und Campe’s Wörterbüchern. Neue stark vermehrte und durchgängig verbesserte Ausgabe. (Documenta Linguistica. Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache des 15. bis 20. Jahrhunderts. Reihe II. Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts. Hrsg. von Helmut Henne.) Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Braunschweig 1813. Hildesheim/New York 1970. (mdz-nbn-resolving.de)
Conze 1954 Conze, Werner: Vom „Pöbel“ zum „Proletariat“. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen für den Sozialismus in Deutschland. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Bd. 41 H. 4 1954, S. 333–364.
DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Bis Bd. 3 hrsg. von der Preußischen Akad. der Wiss., Bd. 4 hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin, Ost), ab Bd. 5 hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (bis Bd. 8 in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften der DDR). Bd. 1 ff. Weimar 1912 ff. (adw.uni-heidelberg.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
7Heyse Fremdwörterbuch Heyse, Johann Christian August: Allgemeines Fremdwörterbuch oder Handbuch zum Verstehen und Vermeiden der in unserer Sprache mehr oder minder gebräuchlichen fremden Ausdrücke mit Bezeichnung der Aussprache, der Betonung und der nöthigsten Erklärung. Siebente rechtmäßige, vielfach bereicherte und verbesserte Ausgabe. Hannover 1835.
HWPh Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter, Karlfried Gründer, Gottfried Gabriel. Völlig neubearb. Ausg. des „Wörterbuchs der philosophischen Begriffe“ von Rudolf Eisler. Bd. 1–13. Basel 1971–2007.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)