Wortgeschichte
Gegenrevolution: Lehnbildung im Kontext der Französischen Revolution
Das Kompositum Gegenrevolution ist seit Anfang der 1790er Jahre im Deutschen belegt (1791, 1795). Gebildet wird es aus dem Präfix gegen- und dem Substantiv RevolutionWGd, vermutlich unter Einfluss des seit 1790 im Französischen belegten contre-révolution, das seinerseits 1790 im Kontext der Französischen Revolution aus dem Präfix contre- gegen
und dem Substantiv révolution Revolution
gebildet wird (vgl. TLFi unter contrerevolution sowie 1DWB 5, 2252 und Pfeifer unter KonterrevolutionDWDS). Bereits im selben Jahr begegnet im Deutschen das Lehnwort KonterrevolutionWGd; die Lehnbildung Gegenrevolution ist bereits kurze Zeit später belegt. Konterrevolution und Gegenrevolution sind zunächst bedeutungsgleich. Ihre Entstehung ist auch vor dem Hintergrund der semantischen Transformation von RevolutionWGd zu dieser Zeit zu verstehen, insofern sie an die Bedeutungslinie plötzlicher, tiefgreifender und oftmals gewalttätiger Vorgang der politischen Staatsumwälzung, der in der Regel vom Volk ausgeht
von Revolution anschließt.
Bedeutungsspektrum
Zunächst auf die Französische Revolution und ihre politischen Folgen bezogen (1796), wird Gegenrevolution zeitnah auch auf andere Zusammenhänge übertragen (1812). Das Wort bezeichnet die Gesamtheit aller (gewaltsamen) Bestrebungen, die auf die Rücknahme derjenigen Veränderungen abzielen, die mit einer Revolution einhergegangen waren (1854a, 1901, 1971b). Diese Bedeutung ist über die Jahrhunderte recht stabil und begegnet beispielsweise in Bezug auf entsprechende politische Ereignisse etwa in Russland (1905), aber gerade auch in Bezug auf die Ereignisse nach Ende des Ersten Weltkriegs (1919a, 1920b).
Spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begegnen zudem vermehrt Verwendungen im übertragenen Sinn (1964a, 1984a, 1984b). Gegenrevolution bedeutet hier nur mehr, dass auf eine (progressive) Entwicklung deren (konservative bis reaktionäre) Rücknahme folgt (1985, 2000).
Ableitungen und semantische Abgrenzung von Konterrevolution
Mit gegenrevolutionär (1797, 1854b, 1895, 1919b, 1971a) und Gegenrevolutionär (1798, 1920a, 1964b) sind – die Wortentwicklung ist hier Konterrevolution zunächst vergleichbar – bereits kurz nach der Bildung von Gegenrevolution auch eine Adjektiv- und eine Substantivableitung in entsprechenden Bedeutungen belegt. Zunächst sind auch die Präfixbildungen gegenrevolutionär und konterrevolutionärWGd sowie Gegenrevolutionär und KonterrevolutionärWGd jeweils weitgehend synonym. Konterrevolution, konterrevolutionär und Konterrevolutionär
werden im Verlauf des 19. Jahrhunderts dann allerdings von der marxistischen Gesellschaftstheorie aufgegriffen und erhalten in der Nachfolge im Sprachgebrauch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten die Bedeutung gegen den Kommunismus bzw. Sozialismus gerichteter Aufstand; gegen den Kommunismus bzw. Sozialismus gerichtete oppositionelle Kräfte im Innern
. Dahingegen begegnen Gegenrevolution und die Ableitungen gegenrevolutionär und Gegenrevolutionär zwar auch, insgesamt aber eher selten in entsprechenden Zusammenhängen (1957, 1963, 1968, 1970; das HKWM hat die Wörter anders als Konterrevolution nicht gebucht). Entsprechende Verwendungen sind wohl in Anlehnung an Konterrevolution zu verstehen; von einer eigenständigen Bedeutung wird vor diesem Hintergrund daher an dieser Stelle nicht ausgegangen. Entsprechend treten die semantischen Entwicklungen der zunächst nahezu synonymen Wörter Gegenrevolution und Konterrevolution hier zunehmend auseinander.
Literatur
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
HKWM Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Hrsg. von Wolfgang Fritz Haug. Bd. 1 ff. Hamburg 1994 ff.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)