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revolutionieren Revolutionierung

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Revolutionieren wird um 1800 aus dem gleichbedeutend französisch révolutionner ins Deutsche entlehnt. Auch wenn die politischen Ereignisse um die Französische Revolution und die semantische Transformation der politischen Bedeutung des Substantivs Revolution für die Entlehnung maßgeblich sind, zeichnen sich Verwendungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch durch eine gewisse semantische Unschärfe aus, die vor dem Hintergrund des älteren, deutlich breiteren Bedeutungsspektrums von Revolution zu verstehen ist. Für das Verb bis heute zentral sind die Bedeutungen durch eine Revolution eine neue Ordnung einführen bzw. herbeiführen wollen, etwas tiefgreifend, unhintergehbar verändern sowie etwas/jemanden auf eine Revolution vorbereiten. In etwa zeitgleich zum Verb ist zudem Revolutionierung in entsprechenden Bedeutungen belegt.

Wortgeschichte

Revolution und revolutionieren. Entlehnung und Verbreitung

Die Abbildung zeigt die Wortverlaufskurve von revolutionieren und Revolution.

Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu "Revolution" und "revolutionieren".

DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)

Das Verb revolutionieren ist im Deutschen seit Ende der 1790er Jahre (1799) belegt. Es ist damit deutlich später als das Substantiv RevolutionWGd überliefert, das bereits seit dem 15. Jahrhundert im Deutschen vorhanden ist (vgl. allerdings Seidler 1955, der einen vereinzelten Beleg für revoluciren entsprechend der astrologischen Bedeutung von Revolution für 1517 nachweist: Seidler 1955, 337). Es wird wohl nicht zufällig Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Französischen révolutionner ins Deutsche entlehnt – und damit zeitgleich nicht nur zu den Ereignissen der Französischen Revolution, sondern auch zur semantischen Transformation der politischen Bedeutung des Substantivs, das seither plötzlicher, tiefgreifender und oftmals gewalttätiger Vorgang der politischen Staatsumwälzung, der in der Regel vom Volk ausgeht bedeutet (vgl. 1DFWB 3, 421–422). Mit Blick auf die Verwendungsfrequenz zeigt sich, dass das Verb um 1800 eine kurz Bezeugungsspitze hat, im 19. Jahrhundert dann aber zunächst wieder rückläufig ist, bevor es sich im 20. Jahrhundert deutlich ansteigt (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Zugleich zeigt sich aber im Vergleich mit dem Substantiv insgesamt aber auch, dass das Verb deutlich niedrigerfrequent ist (vgl. Abb. 1 sowie die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).

Bedeutungsspektrum

Obwohl die Entlehnung des Verbs nach Ausweis der ersten Belege (1799) wohl vor dem Hintergrund der Ereignisse der Französischen Revolution einzuordnen ist, sind für das Deutsche des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts überwiegend noch Verwendungen des Wortes zu finden, die keinen direkten Bezug zur französischen Revolution aufweisen (1798, 1804, 1805, 1809, 1834, 1855a). Diese frühen Belege zeichnet aus, dass ihr Bedeutungsspektrum noch jenem vor der Wende zum 19. Jahrhundert deutlich breiteren Bedeutungsspektrum des Substantivs RevolutionWGd entspricht, das erst an der Wende zum 19. Jahrhundert die neue Bedeutung plötzlicher und tiefgreifender politischer Wandel erhält. Diese Bedeutungen sind für das Verb heute nicht mehr gängig; sie verlieren sich auch für das Substantiv im Verlauf des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Dominanz der um 1800 neu entstehenden Bedeutungen verlieren.

In der politischen Bedeutungslinie trägt revolutionieren dann zentral die Bedeutung durch eine Revolution eine neue Ordnung einführen bzw. herbeiführen wollen (1832b, 1848). Daneben tritt die Bedeutung jemanden oder etwas auf eine Revolution vorbereiten (1832a), die etwa in kommunistischen und sozialistischen Kontexten begegnet (1873, 1907). Schließlich sind bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts auch Verwendungen im übertragenen Sinn, in denen das Verb entsprechend der übertragenen Verwendung des Substantivs Revolution nunmehr die Bedeutung tiefgreifende, unhintergehbare Veränderung annimmt, bezeugt (1807, 1812, 1835). Diese Verwendung scheint gegenwärtig zu dominieren (1949, 2000, 2017).

Die Substantivableitung Revolutionierung

In etwa zeitgleich zum Verb revolutionieren ist mit Revolutionierung zudem eine Substantivableitung belegt (1802, 1832c; vgl. 1DFWB 3, 421–422). Die Wortgruppe RevolutionrevolutionierenRevolutionierung gehört morphologisch betrachtet im Übrigen zu einer Sondergruppe der -ion-Bildungen, insofern Revolution zeitlich vor revolutionieren belegt ist und damit nicht, wie sonst üblich, auf ein zugrundeliegendes Verb beziehbar ist; das Verb wird dann wiederum zur Basis für eine weitere Ableitung auf -ierung (vgl. Fleischer/Barz 2012, 243). Revolutionierung hat seinerseits eine politische Bedeutungslinie (1840, 1855b) wie es auch übertragen verwendet wird (1895, 1911).

Literatur

1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)

Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.

Seidler 1955 Seidler, Franz Wilhelm: Die Geschichte des Wortes Revolution. Ein Beitrag zur Revolutionsforschung. Inaugural-Dissertation, LMU München. München 1955.

Belegauswahl

Die alte Hypothese, daß die Kometen die Revolutionsfackeln des Weltsystems wären, gilt gewiß für eine andere Art von Kometen, die periodisch das geistige Weltsystem revolutionieren und verjüngen.

Novalis: Glauben und Liebe oder Der König und die Königin. 1798. In: Novalis Schriften. Im Verein mit Richard Samuel herausgegeben von Paul Kluckhohn. Bd. 2. Leipzig o. J., S. 43–60, hier S. 51. (books.google.de)

In Maynz wurden nun, wie man weiß, ganz in dem Pariser Stile aufgeklärt, und revolutionirt, und die Forster, Wedekind, Eikenmeier, Böhmer u. s. w. bewiesen durch ihre Handlungen, was alle kleinen und großen Herren der Welt, Priester und Mönche mit eingeschlossen, von dem Illuminaten-Wesen und der Mode-Philosophie am Ende zu erwarten haben.

Pahl, Johann Gottfried: Leben und Thaten des ehrwürdigen Paters Simpertus. Madrit [i. e. Heilbronn] 1799, S. 200. (deutschestextarchiv.de)

Es folgte darauf die Revolutionierung von Bergamo und Brescia.

N. N.: Rezension zu: Raccolta cronologico. In: Ephemeriden der Italiänischen Litteratur, Gesetz-Gebung und Kunst für Deutschland. Hrsg. von Josef Wismayr. Dritter Jahrgang. Bd. 1. Salzburg 1802, S. 9–32, hier S. 21. (books.google.de)

Doch das koͤnnte uns jetzt gleichviel gelten, wenn er nur unsre Muttersprache nicht revolutioniren, und den Parisern weiß machen wollte, er schreibe eine deutsche Zeitung fuͤr die Franzosen.

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Zweytes Bändchen. 3., unveränd. Aufl. Berlin 1804, S. 18. (deutschestextarchiv.de)

"[…]Und wehe meinen armen Marionetten, wenn es einmal einem wirklichen Kopfe einfiele, den hoͤlzernen hier in meiner Hand erſetzen zu wollen, und jener nun auf ſeine Weiſe nickte und ſchuͤttelte, und den Drath ganz abriſſe — da koͤnnte eine Poſſe ſich leicht zu einer ernſten Tragoͤdie revolutioniren! — Ich denke, ich habe genug geſagt, Landleute!“

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig 1805, S. 267. (deutschestextarchiv.de)

Beyde Welten aber von dem Geiste, der aus diesem Verluste seiner selbst in sich geht, von dem Begriffe erfaſst, werden durch die Einsicht und ihre Verbreitung, die Aufklärung, verwirrt und revolutionirt, und das in das Disseits und Jenseits vertheilte und ausgebreitete Reich kehrt in das Selbstbewuſstseyn zurück, das nun in der Moralität sich als die Wesenheit, und das Wesen als wirkliches Selbst erfaſst, seine Welt und ihren Grund nicht mehr aus sich heraussetzt, sondern alles in sich verglimmen läſst, und als Gewissen der seiner selbst gewisse Geist ist.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Die Phänomenologie des Geistes. System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg/Würzburg 1807, S. 380. (deutschestextarchiv.de)

Eben ſo ſind die meiſten Kalendermacher gegen die mutſchierende Regierung der ſieben Kron-Planeten aufgeſtanden, und haben viele Kalender hinten revoluzionirt.

Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Erstes Bändchen. Heidelberg 1809, S. 170. (deutschestextarchiv.de)

Ich reiſe jetzt durch dieſe Thaͤler und Waͤlder, um mich recht eigentlich uͤber die Verwandſchaften der Pilze aufzuklaͤren: man wird erſtaunen, wenn ich einmal erſt alles heraus ſage, welche Mißverſtaͤndniſſe, welche ungeheure Verwirrung in dieſem Zweige unſerer Literatur herrſcht, welche Irrthuͤmer Maͤnner verbreitet haben, deren Namen man nur mit der groͤßten Ehrfurcht nennt; alles das muß nun geſtuͤrzt, total revolutionirt werden, und daran ſetz ich mein Leben und meine Beſtimmung.

Tieck, Ludwig: Phantasus. Eine Sammlung von Mährchen, Erzählungen, Schauspielen und Novellen. Bd. 2. Berlin 1812, S. 459. (deutschestextarchiv.de)

Ich hörte auch: die Liberalen in Baiern ſuchten den König zu revolutioniren, daß er ſich an die Spitze der Bewegung ſtelle und ſich zum Herrn von Deutſchland mache.

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Erster Theil. Hamburg 1832, S. 76. (deutschestextarchiv.de)

Ich habe den Abend oft das ganze Zimmer voll deutſcher Jünglinge, die alle revolutioniren möchten. Es iſt aber mit den jungen Leuten gar nichts anzufangen. Sie wiſſen weder was ſie wollen, noch was ſie können. Geſtern traf ich bei Lafayette einen blonden Jüngling mit einem Schnurrbarte und einer ſehr kecken und geiſtreichen Phyſionomie. Dieſer war von*** wo er wohnt, als dort die Unruhen ausgebrochen, hierhergekommen, hatte Lafayette, Benjamin Conſtant, Quiroga und andere Revolutionshäupter beſucht und um Rath gefragt, gerade als hätten dieſe Männer ein Revolutionspulver, das man den Deutſchen eingeben könnte.

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Erster Theil. Hamburg 1832, S. 63. (deutschestextarchiv.de)

Eine Revolutionirung Deutschlands hat unendliche Schwierigkeiten. Den Bewohnern des flachen Landes fehlt es für ihre Coups an Concentration.

Gutzkow, Karl: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg 1832, S. 288. (deutschestextarchiv.de)

Doch bin ich ſeit einigen Tagen über alles dies in mir ſehr revolutionirt! d. h. beruhigt: denn in einem Zimmer ſitze ich auch: ohne Angſt.

Varnhagen, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Zweiter Theil. Hrsg. von Karl August Varnhagen von Ense. Berlin 1834, S. 407. (deutschestextarchiv.de)

Erſt Adam Smith ſagte: Geld iſt das Triebrad der Cirkulation. Das iſt die Formel, welche alle Geldbeutel der Welt revolutionirt hat.

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Erster Theil. Hamburg 1835, S. 276. (deutschestextarchiv.de)

Im Elsaß ist mit der Revolutionirung und Constituirung des ganzen Frankreichs der Kampf so ziemlich beendigt, und das deutsche Land ist politisch völlig in das Fremde hinübergeschmolzen.

Allgemeine Zeitung, 1. Juni 1840, Nr. 153, S. 1217. (deutschestextarchiv.de)

Ein Haus, in welchem Deutschland Kraft und Einheit finde, sei besser, als aller Prinzipienstreit. Man habe hier nicht tabula rása, sondern gegebene Verhältnisse; es gelte zu reformiren, nicht zu revolutioniren.

Neue Rheinische Zeitung, 22. Juni 1848, Nr. 22,, S. 97. (deutschestextarchiv.de)

Er lud die Häupter der „rothborstigen Barbaren“ (wie die Engländer von den Chinesen genannt werden), die Beamten der Hospitäler und selbst den Commandanten in die von ihm total revolutionirte Küche ein und stellte zwei Schüsseln voll Suppe vor sie hin, die eine nach englischer, die andere nach seiner Manier gekocht und sagte, sie möchten selbst kosten und urtheilen.

Keil, Ernst (Hrsg.): Die Gartenlaube 3 (1855). (deutschestextarchiv.de)

Hambach, Dorf mit Schloßruine in der bayer. Pfalz, bekannt durch die Volksversammlung am 27. Mai 1832, wo die Revolutionirung Deutschlands zum erstenmale unverblümt besprochen und betrieben wurde. Die Ruine H. wurde 1842 von der Pfalz dem Kronprinzen Maximilian zum Hochzeitgeschenk gemacht und heißt jetzt Maxburg.

N. N.: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau 1855, S. 213. (deutschestextarchiv.de)

Das bezweckt der Socialismus; deßhalb revolutionirt er das arbeitende Volk, er zwingt es zum Nachdenken, zu dem Nachdenken, die eigene Lage erkennen zu lernen.

Social-politische Blätter (2. Lieferung), 3. Februar 1873. (deutschestextarchiv.de)

Die Revolutionierung der Gedanken war nicht mehr zurückzudrängen.

Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Vortrag gehalten in Dresden, Breslau und Berlin. Berlin 1895, S. 7. (deutschestextarchiv.de)

Auf seiten des Proletariats steigt die Notwendigkeit, die Köpfe zu revolutionieren und seine erwachsenen Glieder ohne Unterschied des Geschlechtes wohlgerüstet in die Kampfesfront zu stellen.

Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Berlin 1907, S. 54. (deutschestextarchiv.de)

Dank der Entwicklung der Sozialdemokratie aber und nicht zuletzt der unermüdlichen Tätigkeit unserer Parteigenossinnen, Hand in Hand mit der fortschreitenden Revolutionierung der ganzen wirtschaftlichen Stellung der Frau, hat die Sache des Frauenrechts seitdem schnelle Fortschritte gemacht. Gewiß geht uns auch auf diesem Gebiet alles zu langsam, und wenn wir die Frauen in manchem anderen Lande entscheidende Erfolge erringen sehen, so fühlen wir mit Beschämung, wie weit gerade wir in Deutschland noch zurück sind.

Vollmar: Vorwärts! In: Frauenwahlrecht! Stuttgart 1911, S. 2–3, hier 3. (deutschestextarchiv.de)

Er will die indischen Verhältnisse revolutionieren – und ist doch von Geburt her alles andere als ein Revolutionär.

Die Zeit, 5. 5. 1949, Nr. 18. [DWDS] (zeit.de)

Das Internet wird die Medien weiter revolutionieren, immer mehr Informationen werden immer schneller zugänglich sein, wir Journalisten als Vermittler werden zum Teil überflüssig.

Die Zeit, 27. 1. 2000, Nr. 5, S. 13. [DWDS]

Wir machen große Fortschritte, und wenn es so weiterläuft, werden wir, davon bin ich überzeugt, in den nächsten zwei, drei Jahren die Medizin revolutionieren.

Die Zeit, 2. 12. 2017, Nr. 49. [DWDS] (zeit.de)