Wortgeschichte
Entlehnung und frühe Bezeugungen
Erste Bezeugungen von Konterrevolution reichen bis Anfang der 1790er Jahre zurück (1792). Das Substantiv begegnet damit in etwa zeitgleich zu der ebenfalls seit Anfang der 1790er Jahre belegten Lehnübersetzung GegenrevolutionWGd im Deutschen. Konterrevolution wird aus dem seit 1790 im Französischen bezeugten contre-révolution, das seinerseits im Kontext der Französischen Revolution aus dem Präfix contre- und révolution gebildet wird (vgl. TLFi unter contre-révolution), ins Deutsche entlehnt (vgl. Pfeifer unter KonterrevolutionDWDS). Im 18. und 19. Jahrhundert ist das Wort auch in den stärker an die Ausgangssprache angelehnten Formvarianten Contrerevolution (1790) und Kontrerevolution (1835) belegt.
Die beiden Komposita Konterrevolution und Gegenrevolution sind zunächst bedeutungsgleich (1849b, 1849a). Ihre Entstehung ist auch vor dem Hintergrund der semantischen Transformation von RevolutionWGd zu dieser Zeit zu verstehen: Ihre Semantik schließt an die zu dieser Zeit entstehende Bedeutungslinie plötzlicher, tiefgreifender und oftmals gewalttätiger Vorgang der politischen Staatsumwälzung, der in der Regel vom Volk ausgeht
an.
Konterrevolution in der marxistischen Gesellschaftstheorie
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wird das Wort Konterrevolution im Bereich der marxistischen Gesellschaftstheorie aufgegriffen. Bereits Marx und Engels verwenden das Wort Konterrevolution (exemplarisch nur 1848, 1869; erwähnt sei daneben auch Engels Schrift Die Revolution und die Konterrevolution in Deutschland). Bei Marx ist die Verwendung von Konterrevolution vor allem in Zusammenhang mit seiner Analyse der europäischen Revolutionen zu verstehen (vgl. hierzu ausführlich der Eintrag Konterrevolution im HKWM 7/II, 1661–1687). Die Verwendungen im Kontext der marxistischen Gesellschaftstheorie bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die weitere wortgeschichtliche Entwicklung im 20. Jahrhundert.
Neue Implikationen und Verwendungen im 20. Jahrhundert
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begegnet Konterrevolution – anders als Gegenrevolution – nun vornehmlich in Bezug auf oppositionelle Strömungen und Aufstände in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten wie etwa den Prager Frühling (1957b, 1968b). In diesem Zusammenhang bildet sich zudem die Kollokation konterrevolutionäre Kräfte aus (1957a, 1966, 1968a). Es handelt sich bei diesen Wortverwendungen um negativ konnotierte Fremdbezeichnungen, die dem offiziellen Sprachgebrauch der Länder entspricht und deren Wurzeln in den dargelegten Verwendungen innerhalb des Marxismus des 19. Jahrhunderts liegen. Gleichwohl erhält Konterrevolution gegenüber älteren marxistischen Verwendungen im Verlauf des 20. Jahrhundert neue Implikationen. So wird Konterrevolution
nun auch auf den Systemgegensatz zum Kapitalismus insgesamt und im Innern auf alle oppositionellen Kräfte, in Reaktion darauf von diesen und von den bürgerlichen Gegnern auch auf die Herrschaftsverhältnisse in der SU und anderen staatssozialistischen Ländern bezogen. [HKWM 7/II, 1661–1687]
Das Wort wird in seiner Bedeutung nun folglich mit Kapitalismus und westlicher Gesellschaftsordnung enggeführt bzw. eine Konterrevolution als vom Westen gesteuert angesehen (1973), was sich nicht zuletzt in der Kollokation imperialistische Konterrevolution (1962) sprachlich manifestiert. Gelegentlich begegnen seit der Wiedervereinigung Belege des Wortes Konterrevolution in Bezug auf die Ereignisse 1989/90 (1994, 1998a). Solche Verwendungen, die in der Tradition der offiziellen Sprachverwendung des Wortes auch in der DDR stehen (1973), tragen entsprechend Konnotationen eines bestimmten politischen Standpunktes des jeweiligen Sprechers (2001).
Neben den politischen Verwendungen sind auch Verwendungen in einem breiteren und übertragenen Sinn belegt (1998b, 2004, 2012). Konterrevolution erfährt hier mithin eine Bedeutungserweiterung.
Konterrevolutionär und konterrevolutionär. Ableitungen
Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu "konterrevolutionär" und "Konterrevolutionär".
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Mit konterrevolutionär und Konterrevolutionär sind eine Adjektiv- und eine Substantivableitung zu Konterrevolution belegt (siehe auch revolutionärWGd und RevolutionärWGd). Sowohl das Adjektiv (1827, 1923, 1930, 1957c) als auch die Personenbezeichnung (1914, 1924, 1947, 1968c) begegnen dabei in den der Ableitungsgrundlage entsprechenden Bedeutungen und Formvarianten. Beide Ableitungen sind bereits kurz nach der Entlehnung von Konterrevolution aus dem Französischen belegt (1798, 1801). Sowohl für das Adjektiv konterrevolutionär als auch für das Substantiv Konterrevolutionär lässt sich ein Anstieg der Verwendungsfrequenz im 20. Jahrhundert mit Bezeugungsspitze in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts feststellen (vgl. Abb. 1 sowie die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).
Literatur
HKWM Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Hrsg. von Wolfgang Fritz Haug. Bd. 1 ff. Hamburg 1994 ff.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)