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revoluzzen · Revoluzzer Revoluzzertum

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Revoluzzer wird Ende des 18. Jahrhunderts gebildet und ist zunächst bedeutungsgleich mit Revolutionär. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts entsteht die abwertende Bedeutung jemand, der sich als Revolutionär gebärdet. Zunächst ist das Wort überwiegend im schweizerdeutschen Raum belegt; von hier ausgehend verbreitet es sich dann allmählich über den gesamtdeutschen Raum. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begegnet Revoluzzer auch im Zusammenhang mit Alternativ- und Protestbewegungen. Es kann nun auch allgemeiner jemanden bezeichnen, der sich gegen Normen und Konventionen auflehnt. Das Verb revoluzzen geht auf den Beginn des 19. Jahrhunderts zurück. Es ist ebenfalls zunächst im Schweizerdeutschen belegt und insgesamt bis heute wenig üblich. Revoluzzertum wird Ende des 19. Jahrhundert gebildet, findet aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitere Verbreitung und bedeutet Art des Verhaltens des Revoluzzers.

Wortgeschichte

Von Revolutzer bis Revoluzzer: Erstbezeugungen und Formvarianten des Substantivs

Das Wort Revoluzzer ist seit Ende des 18. Jahrhunderts belegt (1795, 1803). Es wird damit zu Zeiten der Französischen Revolution, die wortgeschichtlich für die gesamte Wortfamilie rund um das Wort RevolutionWGd nicht ohne semantische Folgen bleibt, geprägt. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein dominiert zunächst die Form Revoluzer, daneben ist aber auch Revolutzer bezeugt (1879; vgl. daneben die entsprechenden Wortverlaufskurven des Google NGram Viewers). Erst im 20. Jahrhundert setzt sich Revoluzzer als dominante Formvariante durch (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).

Ursprünge im Dreiländereck?

Sowohl Pfeifer als auch das 1DFWB geht davon aus, dass das Wort um 1800 wohl in Anlehnung an das italienische rivoluzionario entsteht (Pfeifer unter RevoluzzerDWDS sowie 1DFWB 3, 422–423; vgl. zu rivoluzionario auch GDLI XVI, 1087). Insofern allerdings zahlreiche frühe Belege dem elsässischen und schweizerischen Raum zuzuordnen sind (1795, 1800a, 1800b; vgl. daneben allerdings auch etwa 1794), ist auch ein französischer Einfluss zumindest nicht auszuschließen. Für einen Einfluss des Französischen spricht nicht zuletzt, dass Revoluzzer gerade zu Beginn auch in den Zusammensetzungen Kontre-Revoluzer und Gegen-Revoluzer begegnet (1795, 1800a), dies wohl in Anlehnung an das aus dem Französischen entlehnte KonterrevolutionärWGd bzw. die Lehnbildung GegenrevolutionärWGd.

Ohnehin scheint es sich bei Revoluzzer mindestens noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts um ein überwiegend im schweizerischen Sprachraum verwendetes Wort zu handeln (1826, 1832a, 1845; vgl. mit ähnlichen Beobachtungen bereits Seidler 1955, 333–335, hier insb. 334, der das Wort für das 19. Jahrhundert dem süddeutschen, insbesondere schwäbischen, alemannischen und elsässischen Sprachraum zuordnet). Das Wort wird im Übrigen auch von Zeitgenossen als spezifisch schweizerdeutsches wahrgenommen (1828, 1832b).

Bedeutungsentwicklung zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg

Zunächst wird Revoluzzer wohl bedeutungsgleich zu RevolutionärWGd verwendet (1795, 1803), das seinerseits zunächst Anhänger bzw. Teilnehmer der Französischen Revolution, dann auch von Revolutionen im Allgemeinen bezeichnet. Mindestens im Schweizerdeutschen ‒ das zeigt die entsprechende Buchung mit den Bedeutungen herabsetzende Bezeichnung für Revolutionär und wer immer schimpft im Schweizerischen Idiotikon (Idiotikon VI, 650) – entsteht bereits im Verlauf des 19. Jahrhunderts daneben auch eine Verwendung, die abwertend ist.

Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts begegnet Revoluzzer langsam auch im gesamtdeutschen Sprachraum (1873, 1875). Auffällig sind verschiedene Bezeugungen in religiösen Kontexten (1856, 1859b, 1859a). Spätestens ab der Jahrhundertwende ist das Wort auch in Zusammenhang mit der Sozialdemokratie belegt (1914c, 1914b); in der Schweiz erscheint 1915/1916 eine Zeitschrift, in der Revoluzzer namengebend wird (Der Revoluzzer. Sozialistische Zeitung für Bildung und Unterhaltung). Bekannt geworden ist Erich Mühsams Gedicht Der Revoluzzer. Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet (1907). Hier zeigt sich deutlich, wie Revoluzzer abwertend in der Bedeutung jemand, der sich als Revolutionär gebärdet, ohne dass er dabei ernst genommen wird verwendet wird. Überhaupt findet das Wort nun vermehrt auch in der Literatur Verwendung (1906, 1905); Walther Schulte vom Brühl schreibt gar einen Roman mit dem Titel Die Revolutzer (Leipzig 1905).

Revoluzzer, Revoluzzertum und die Protestbewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begegnet Revoluzzer auch in Zusammenhang mit den Protest- und Alternativbewegungen der Zeit (1967, 1968b, 1973). Revoluzzer erfährt hier mithin eine Bedeutungserweiterung, kann nun auch jemand, der sich gegen Normen und Konventionen auflehnt bedeuten und rückt so in die Nähe anderer Bezeichnungen für Sozialfiguren der Zeit wie beispielsweise 68erWGd oder ProtestlerWGd (1969, 1994, 2000a). Gerade in Verwendungen in der weiten Bedeutung kann das Wort nicht zuletzt auch die Implikation jugendlich tragen (1960, 1999, 2010a). Verzeichnet werden kann zu dieser Zeit zudem ein signifikanter Anstieg der Verwendungsfrequenz (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).

Daneben begegnet ab der Mitte des 20. Jahrhunderts mit Revoluzzertum (1969, 2009b) eine weitere Wortbildung im deutschen Sprachraum, die zwar seit Ende des 19. Jahrhunderts schon vereinzelt belegt ist (1893, 1909), aber erst jetzt weitere Verbreitung findet (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Die Bildung aus Revoluzzer und dem Suffix -tum trägt – entsprechend Substantivbildungen mit -tum auf der Basis von Personenbezeichnungen im Allgemeinen, wobei sich die Basissubstantive im Übrigen häufig auf negativ bewertete Ausdrücke beziehen (vgl. Fleischer/Barz 2012 224) – die Bedeutung Art des Verhaltens des Revoluzzers. Revoluzzertum kann seinerseits dem Alternativmilieu (1974) oder einer bestimmten Phase der Jugend zugeschrieben werden (2000b, 2009a) ohne dass es diese Implikationen notwendig tragen muss (2010b, 2017).

Revoluzen, revolutzgen, revoluzzen. Das Verb

Im Schweizerdeutschen ist bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts auch das Verb revoluzen bzw. revoluzzen belegt (1809, 1834) – und zwar, was eher ungewöhnlich ist, zeitlich wohl erst nach der Bildung des Substantivs. Anfang des 20. Jahrhunderts bucht das Schweizerische Idiotikon auch das Verb in den Formen revolutzen, revolutzgen und gibt als Bedeutungen sich auflehnen, einen Aufstand machen sowie aufbegehren, schimpfen an (Idiotikon VI, 650).

Im weiteren Verlauf begegnet das Verb revoluzzen auch im gesamtdeutschen Sprachraum in dem Substantiv Revoluzzer entsprechenden Bedeutungen (1914a, 1968a, 2014). Insgesamt bleibt es gegenüber dem Substantiv allerdings bis in die Gegenwart hinein deutlich weniger verbreitet (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).

Literatur

1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)

Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.

GDLI Battaglia, Salvatore: Grande dizionario della lingua italiana. Vol. 1–21. Turin 1971–2002. (gdli.it)

Idiotikon Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Bd. 1 ff. Basel/Frauenfeld 1881 ff. (idiotikon.ch)

Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)

Seidler 1955 Seidler, Franz Wilhelm: Die Geschichte des Wortes Revolution. Ein Beitrag zur Revolutionsforschung. Inaugural-Dissertation, LMU München. München 1955.

Belegauswahl

Mit bitterem Tadel sprach man in der gestrigen Sitzung von geheimen Ränken der noch nicht vertilgten Revoluzer, die den Frieden wünschen.

Staats-Relation derer neuesten Europäischen Nachrichten und Begebenheiten, 7. 2. 1794, Nr. 17, S. [1]. (google.de)

Es soll in den, zum Bezirk der Rhein-Armee gehörigen Departementen, ein genaues Aufsuchen aller Verschwörer, Kontre-Revoluzer und verdächtigen Personen, namentlich aller derjenigen angestellt werden, welche, auf was für Art es auch geschehen mag, die Assignate herabwürdigen, in zweyerley Preisen verkaufen, je nachdem nämlich die Zahlung in Assignaten oder in klingender Münze geschieht, mit dem Gelde Handel treiben, die Waaren erster Nothwendigkeit, womit sie sonst zu handeln pflegten, vorenthalten, sie in Assignaten nicht anders als in einem übermäßig hohen Preise verkaufen, oder gar sie schlechterdings nicht um Assignate verkaufen wollen.

Ulrich, Andreas: Sammlung authentischer Belegschriften zur Revolutions-Geschichte von Strasburg, oder: Aktenstücke der in dem Nieder-Rhein’schen Departemente, unter der Herrschaft der Tyranney der revolutionnären Ausschüsse und Commissionen, der Propaganda und der Jakobiner-Gesellschaft zu Straßburg, auf Sendung sich befindenden, Volks-Repräsentanten. Bd. 1. Straßburg [1795], S. 99. (digitale-sammlungen.de)

Mancher ehrliche gutmüthige, aber nicht weit sehende Staatsmann, ließ sich von ihm blenden, verlor seine eigene Boußole, und steuerte in alle Nebel mit Mallet hinein; auch mag er zu manchen schiefen Entschliessungen der Höfe und Gegen-Revoluzer mitgeholfen haben, so wie er den Ruin der Schweiz, wo er lange auch sein Wesen trieb – zum Theil mit auf sich gehäuft hat; den Gemeingeist blendete, den Großen schmeichelte, alles was sie thaten als Wunderwerke hochpries; hingegen was gegen sie geschah – mit den Farben mahlte, wozu er allein das Geheimnis besitzt.

Heinzmann, Johann Georg: Meine Frühstunden in Paris. Beobachtungen, Anmerkungen und Wünsche Frankreich und die Revolution betreffend. Nebst Fragment einer kleinen Schweizer-Reise. Basel 1800, S. 120. (books.google.de)

Diese Gegen-Revoluzer fluchen über uns, die Jacobiner, in allen Winkeln der Republik […].

An die Gesellschaft der Freunde der Consitution von 1793. In: Ulrich, Andreas (Hrsg.): Zweyte Sammlung authentischer Belegschriften zur Revolutions-Geschichte von Strasburg. [Straßburg um 1800?], S. 53–58, hier S. 54. (digitale-sammlungen.de)

Es ist hinreichend, sich gegen das System von Familienherrschaften, Zunftwesen, Föderalismus, Capuzinaden, oder für Benuzzung des vorhandenen Uebels zur Erreichung des Bessern, für Niederlassungs- und Erwerbsfreiheit, für bessere ErziehungsAnstalten, für Versittlichung des Volkes zu erklären, um als „Metaphysiker, Revoluzer, Jacobiner“, anathematisirt zu werden.

[Zschokke, Johann Heinrich Daniel]: Historische Denkwürdigkeiten der Helvetischen Staatsumwälzung. Gesammelt und herausgegeben von Heinrich Zschokke. Erster Band. Winterthur 1803, S. XI. (books.google.de)

Er sagt, die Freymaurer haben blos Staats-Geheimnisse, und wollten wieder eins revoluzen, und man könne das Ding nicht so mit ansehn.

Schweizer-Bote. Welcher nach seiner Art einfältig erzählt, was sich im lieben schweizerischen Vaterlande zugetragen, und was ausserdem die klugen Leute und die Narren in der Welt thun. Sechster Jahrgang. Aarau 1809, S. 90. (books.google.de)

Die Partei der sogenannten Revoluzer, um die Partei der Aristokraten ganz zu vernichten, bemächtigte sich endlich in einer Sommernacht (Juli 179[?]) des groben Geschützes, der ganzen Stadt; schleppte bei sechshundert der vormals achtbarsten Bürger, obrigkeitliche Personen und Gelehrte, in die Kerker; mordete einzelne theils öffentlich, theils heimlich; setze über die andern ein Gericht nieder, und dieses ließ bei vierzig Personen hinrichten, bei hundert verbannen, die Güter der einen wie der anderen einziehen, und die übrigen auf andere Weise durch ewiges Gefängniß, Zuchthaus, Verbannung und dergleichen Mißhandlungen abstrafen.

Zschokke, Heinrich: Des Schweizerlands Geschichte für das Schweizervolk. Dritte wohlfeilste Original-Ausgabe. Aaran 1826, S. 451. (books.google.de)

Wir thun sehr wohl daran, in dem Worte Revolution, weder das französische ü, noch den durch die Nase ausgesprochenen Selbstlauter der Endsylbe hören zu lassen; würd’ es darum statthaft seyn, der Klangähnlichkeit zu Gefallen weiter zu gehen, und etwa die abgeleiteten Ausdrücke Revolutionär und revolutioniren, die ohnehin, wenn irgendwo, doch nur von einer gewaltsamen Ausbreitung französischer Revolutionsgrundsätze gelten sollten, in Revoluzer und revoluzen umzugestalten? Revoluzer ist wirklich ein in der Schweiz allgemein bekannter und angenommener Ausdruck, den der verdienstvolle Geschichtschreiber des Schweizervolkes, Zschokke, und mit Recht benutzt hat, und jeder Andre, um gewisse Partheiungen in jenem Lande zu bezeichnen, eben so zweckmäßig würde benutzen können, der aber darum noch keineswegs ein allgemeingültiger Bestandteil unsrer Sprache zu werden sich eignen dürfte.

[Jochmann, C. G.]: Über die Sprache. Heidelberg 1828, S. 109. (books.google.de)

Nach einigem Bedenken und Erwägen – gab ich ihm den Rath oder stimmte seinem Rathe bei (das weiß ich nicht mehr), die Gemeine noch zu versammeln, weil die meisten Revoluzer den Inhalt der Schreiben, besonders des sogenannten Tagsbefehls, schon kannten, sich aber gleich von Anfang an gegen die Schreiben als nicht von der rechtmässigen Regierung komend, zu erklären, dann aus der Schändlichkeit derselben die Unrechtmässigkeit der ganzen Sache zu erweisen, und zulezt bestimmt anzufragen: Wer von den Bürgern der Gemeine auf die Seite der Ordnung, des Rechts und der gesetzmässigen Obrigkeit treten will, trete zu seiner Seite über.

71. Hochgeehrter Herr! (Statthaltereiverweser LR.) In: Actenstücke zur Beleuchtung der politischen Parthein im Kanton Basel. Während des Jahres 1831. Sursee 1832, S. 62–65, hier S. 64. (books.google.de)

Wie wäre es erst, wenn die Mehrzahl der Regenten wirklich Empörer, oder wie der Ausdruck in der Schweiz herumgeht, „Revoluzzer“ gewesen sind!

Wattenwyl-de Portes, Bernhard Friedrich von: Rückblick und Aussicht oder der erste politische Preßproceß in der neuen Republik Bern. Bern 1832, S. 87. (books.google.de)

Denn Wandel und Glauben des Konst., früher ganz übereinstimmend, läßt sich mit seinen eigenen Worten am wahrsten bezeichnen: „ich habe gerevoluzzt, ich bin ein Revoluzzer, ich werde revoluzzen.“

Schweizerischer Republikaner 29. 4. 1834, Nr. 34, S. 176. (books.google.de)

Er führte in diesen Briefen das System der Gleichmacherei in den Modephrasen der Revoluzer aus.

Schuler, Melchior: Die Geschichte des letzten Jahrhunderts der alten Eidgenossenschaft. Bd. 1. Zürich 1845, S. 484. (books.google.de)

Hiebei ist zu beachten, daß fremde Geistliche als pure Revoluzzer angesehen wurden. Diese fremden Geistlichen sind wahrscheinlich auch an der Revolution im Jahre 1848 schuld!

Der Katholik, eine religiöse Zeitschrift zur Belehrung und Warnung. Redigiert von J. B. Heinrich und Ch. Moufang. Neue Folge. 13. Band, Mainz 1856, S. 472. (books.google.de)

Die Amerikaner sind in diesem Stück viel toleranter, weil ‚smarter‘ und tiefer denkend, als unsre eingewanderten Revoluzzer; sie gewinnen immer mehr Achtung vor dem Papsthum und der katholischen Kirche.

Katholische Blätter aus Tirol. Beilage, 13. 7. 1859, Nr. 28, S. 671. (books.google.de)

Vorigen Freitag wurde drunten in der Hesterstraße (New-York) eine lebhafte Versammlung der europäischen Revoluzzer abgehalten, wo Reden fielen in verschiedenen Zungen, daß dem Pabst und allen Jesuiten die Ohren klungen.

Wiener Kirchenzeitung 12, 23. 3. 1859, Nr. 12, S. 182. (books.google.de)

Napoleon I. ist ihm der Sohn und Erbe der Revolution, ein gekrönter Revoluzzer; er lehrt nicht bloß eine berechtigte, sondern sogar eine pflichtmäßige Nothwehr des Volkes selbst mit bewaffneter Hand.

Passauer Tagblatt, 15. 3. 1873, Nr. 73, S. [1]. (books.google.de)

An der Spitze desselben stehen die alten Revoluzzer von Anno 48, die einstweilen nur aus dem Grunde nicht in Revolution machen, weil die Gelegenheit und die Zeit noch nicht dazu gekommen.

Das Bayerische Vaterland 7, 21. 8. 1875, Nr. 192, S. 1. (books.google.de)

An’s Kreuz geschlagen würde er wohl nicht, aber vermöge Paragraph So und So als grundstürzender Revolutzer des Landes verwiesen.

Haggenmacher, Otto: Über sozialen Takt. In: Schweizerische Zeitschrift für Gemeinnützigkeit. Organ der Schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft. XVIII. Jahrgang. Zürich 1879, S. 259–273, hier S. 260. (books.google.de)

Das internationale Revoluzzertum, verkleide es sich wie es wolle, hat also keine Verführung für mich.

Conrad, M. G.: Wahl-Fahrten. In: Die Gesellschaft. Monatsschrift für Litteratur, Kunst und Sozialpolitik. Begründet und herausgegeben von M. G. Conrad. Jahrgang 1893, Drittes Quartal. Leipzig 1893, S. 949–953, hier S. 951. (books.google.de)

Er, ein Umstürzler und ein Revoluzzer, dem seine Kommilitonen auf der Hochschule einst eine Umwertung der Werte zugetraut hatten, und der nun als echter und rechter Philister seit zwölf langen Jahren einen Tag wie den andern an jedem neuen Morgen auf dem Schreibsessel in der Amtsstube dieses Gymnasiums thronte!

Stilgebauer, Edward: Bildner der Jugend: Roman. [Lügner des Lebens: Bd. 3]. Berlin 1908, S. 165.

Wer das sei, der alte Revoluzzer, fragte Sylvester.

Das zwinkerte Frau Rottenfußer mit den Augen und hielt die Hand an den Mund.

„Net so laut! Den alten Herrn mein‚ ich, der neben Ihnen wohnt.“

[…]

„Na, na, er is net so arg. Bloß daß er net unter d‘Leut‚ geht. Wissen’s, weil er bei da Revoluzzion dabei war. Mei Schwager hat ma’s erzählt. Da san viele dabei g’wesen, de später de schönsten Stellen kriegt hamm. Aber der Herr Schratt hats Maul net g’halten, wie er scho Assessor war. Natürli hamm s‘ ‚n pensioniert, und er mag nix mehr wissen von de Leut‘. Aber wie g’sagt, er is gar net so uneben, und i frag’n no heut’.“

Thoma, Ludwig: Adreas Vöst. Bauernroman. München 1906, S. 185–186.

DER REVOLUZZER

Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: „Ich revolüzze!“
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonsten unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
Schrie: „Ich bin der Lampenputzer
Dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
Denn sonst spiel’ ich nicht mehr mit!“

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zuhaus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei doch Lampen putzt.

Mühsam, Erich: Der Revoluzzer. Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet. In: Wüste, Krater, Wolken. Die Gedichte von Erich Mühsam. Berlin 1914, S. 103/104. (ub.uni-duesseldorf.de)

Die Welthistorie hatte dem Dichter vorgearbeitet; der tragikomische Rohstoff bot sich geradezu von selbst an: Münchener Bierbankpolitik, kleinbürgerliches Revoluzzertum; welch ein merkwürdiger „Held“, der Xaver Singlspieler, Senior der Burschenschaft „Cheruskia“, der kecken Mutes auszieht, die „Königsdirne“ gebührlich zu züchtigen, um dann, von Lolas einladenden Reizen bestickt, flugs zum Spielball in den Händen dieser genialen „meneuse d’hommes“ zu werden; und der Eisenkopf, der aus Amerika heimkehrende Spektakelmacher und großmäulige Verkünder der „anbrechenden Morgenröte“.

Prévôt, René: Josef Ruederer. In: Das literarische Echo. Halbmonatsschrift für Literaturfreunde 11/10 (1909), Sp. 693–698, hier Sp. 696.

1848 tat Brandecker ein wenig revoluzzen, als er, wenn er sich die Gunst seiner Leser erhalten wollte, nicht anders konnte. Er war aber dabei so vorsichtig, daß er nachher mit einigen Wochen Hast davonkam.

Blos, Wilhelm: Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten, Bd. 1. In: Simons, Oliver (Hg.) Deutsche Autobiographien 1690–1930, Berlin: Directmedia Publ. 2004 [1914], S. 9400. [DWDS]

Und derjenige, der so sprach, ist kein böser Sozialdemokrat, er ist kein Revoluzzer und kein Umstürzler; es ist ein frommer Katholik, ein Mitglied der Zentrumspartei, der allerdings mit dieser Rede den Zentrumsabgeordneten Dr. Dahlem, der im Jahre 1910 lediglich mit Ablehnung des Budgets drohte, wenn nicht eine Änderung des Reblausgesetzes erfolge, wesentlich übertrumpft hat.

Reichstag, 204. Sitzung. Dienstag, 3. Februar 1914. In: Verhandlungen des Reichstages. XIII. Legislaturperiode. I. Session. Bd. 292. Stenographische Berichte von der 194. Sitzung am 19. Februar 1914 bis zur 211. Sitzung am 11. Februar 1914. Berlin 1914, S. 6943–6970, hier S. 6965. (digitale-sammlungen.de)

Wenn er das nicht will, so wäre es uns lieber, wenn er gesagt hätte, was schon von seinem Amtsvorgänger im Ministerium des Innern gesagt worden ist: „Die Sozialdemokraten sind Revoluzzer, die alles umstürzen wollen, die den heutigen Staat bedrohen, und infolgedessen werden wir sie nicht anerkennen.“

Verhandlungen der zweiten Kammer des Landtags für Elsaß-Lothringen. II. Sitzungsperiode 1914: 6. Januar bis 8. April 1914. Stenographische Berichte. Bd. 94. Straßburg 1914, Sp. 613.

Auch Bellow ist kein jugendlicher Revoluzzer, sondern Mitte Vierzig.

Die Zeit, 8. 1. 1960, Nr. 02. [DWDS] (zeit.de)

„Sie sind gegen das Privateigentum?“ fragt das Gericht Fritz Teufel und hält ihm vor, daß er und seine Kommune ein leerstehendes Haus besetzen wollten. Wird da der biederbärtige Kommunarde nicht zu einem bösartigen Revoluzzer, zu einem Liebhaber der Gewalt?

Die Zeit, 1. 12. 1967, Nr. 48. [DWDS] (zeit.de)

Doch schon in der Pause erinnerte man sich an eine hintersinnige Bemerkung, die Professor Raeck tags zuvor in seiner Ansprache auf einem Senatsempfang gemacht hatte: Mögen die jungen Leute, die heute revoluzzen, beim 150jährigen Theater-Jubiläum erkennen, Opas Theater war doch das beste.

Die Zeit, 15. 11. 1968, Nr. 46. [DWDS] (zeit.de)

Es konnte – bei der allgemeinen ideologischen und politischen Verwirrung, die unserer Zeit das Gepräge gibt – nicht ausbleiben, daß Joseph Beuys in den Geruch eines Revoluzzers geriet. Der Verdacht des politischen Revoluzzertums, eines organisierten Aufstands gegen die verfassungsgemäße Ordnung, konnte um so weniger ausbleiben, als Beuys im Juni vergangenen Jahres eine „Deutsche Studentenpartei“ gründete, die heute an die dreihundert Mitglieder zählt, von denen etwa zwanzig an der Düsseldorfer Akademie eingeschrieben sind. „Wesentliches Anliegen“ dieser Studentenpartei (die nicht einmal in das Vereinsregister eingetragen ist, die außerdem nicht auf Studenten beschränkt ist, auf Deutsche schon gar nicht) ist – laut Protokoll der Gründungsversammlung – „die Erziehung aller Menschen zur Mündigkeit“.

Die Zeit, 20. 12. 1968, Nr. 51. [DWDS] (zeit.de)

Zwar hört man schon vereinzelt von Flugblattaktionen, Basisgruppen und SDS-Instruktoren, die den Stiften das Revoluzzertum nahebringen möchten. Doch in dem Lärm, den die studentischen Protestler veranstalten, gehen die zaghaften Stimmen unzufriedener Lehrlinge noch völlig unter.

Die Zeit, 4. 4. 1969, Nr. 14. [DWDS] (zeit.de)

Die meisten waren jung und politisch unerfahren, wie heutzutage die jungen Leute im Westen, die glauben, Revoluzzer zu sein; sie waren eben erst von der Nazi-Sklaverei befreit worden, träumten von sozialer und internationaler Gerechtigkeit und ließen sich überzeugen, daß um dieses Zieles willen jede Taktik recht sei.

Die Zeit, 23. 2. 1973, Nr. 09. [DWDS] (zeit.de)

Ich kann mich übrigens des Eindrucks nicht erwehren, daß – anscheinend auch bei Ihnen – einige Leute den Begriff Schülerzeitung zwangsläufig mit ultralinker Agitation, Demagogie und Revoluzzertum gleichsetzen.

Die Zeit, 30. 8. 1974, Nr. 36. [DWDS] (zeit.de)

Bonn ist kein Pflaster für Revoluzzer und Autonome.

Berliner Zeitung, 16. 7. 1994. [DWDS]

Als jugendlicher Revoluzzer schmiß Sharp zum Entsetzen seiner Eltern die vielversprechende Karriere eines Naturwissenschaftlers, um fortan in die endlosen Gründe der Musik abzutauchen.

Der Tagesspiegel, 24. 1. 1999. [DWDS]

Als der 68er Revoluzzer aus München nach Berlin gekommen war, entdeckte der Kunstschmied und Metallbildhauer eine Unzahl von Eisengittern auf Hinterhöfen, zwischen Böden und Treppenhaus, überall Eisen, geschmiedet, gegossen, gepresst, geformt.

Der Tagesspiegel, 1. 2. 2000. [DWDS]

Mein jugendliches Revoluzzertum hat sich darin geäußert, dass ich die totale Abkehr von der Bayerntümelei zur Perfektion getrieben habe.

Der Tagesspiegel, 14. 4. 2000. [DWDS]

Er holt die Matura nach, gönnt sich ein wenig Revoluzzertum.

Die Zeit, 24. 9. 2009, Nr. 40. [DWDS] (zeit.de)

Eine Studentin probt, Streber- und Revoluzzertum zu einem perfekten Studentenleben zu verschmelzen; ein Sprayer überzieht nachts die Stadt mit seinen Botschaften.

Die Zeit, 7. 12. 2009 (online). [DWDS] (zeit.de)

»Warte nur, Bürschchen«, sagt er im Stillen zu dem jugendlichen Revoluzzer, »in zwanzig Jahren trägst du auch einen Zopf.«

Die Zeit, 24. 6. 2010, Nr. 26. [DWDS] (zeit.de)

Und nein, der selbst für seine Verhältnisse auffällige Aktivitätsschub habe nichts mit parteiinternem Revoluzzertum zu tun.

Die Zeit, 15. 7. 2010, Nr. 29. [DWDS] (zeit.de)

Bei ihm melden sich Junge, die etwas bewegen wollen. Er sagt: „Weil die Jugendlichen so viele Möglichkeiten haben, müssen sie nicht revoluzzen, sondern können sofort etwas tun. Die Welt zu retten ist immer noch das Ziel! “

Die Zeit, 11. 12. 2014, Nr. 51. [DWDS] (zeit.de)

Es hatte ein bisschen was von diesem demonstrativ zur Schau gestellten Revoluzzertum, als gleich drei Teilgliederungen der SPD gemeinsam zu einem Dialogforum aufriefen: „Alternativen zur großen Koalition“.

Die Zeit, 8. 12. 2017 (online). [DWDS] (zeit.de)