Wortgeschichte
Herkunft und frühe Bezeugungen
Das Verb modernisieren ist im Deutschen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bezeugt (1756, 1777). Es ist wird aus dem französischen moderniser entlehnt, das seinerseits wohl von englisch modernize beeinflusst ist (vgl. TLFi unter moderniser; zu englisch modernize siehe auch 3OED unter modernize, v.; s. a. Pfeifer unter modernisierenDWDS). Modernisieren ist sowohl transitiv etwas modernisieren (1756, 1802) als auch reflexiv sich modernisieren belegt (1835, 1891, 1897).
Seit Ende des 18. Jahrhunderts ist mit Modernisierung ein Substantiv zum Verb bezeugt (1785, 1799). Es gehört damit zusammen mit ModernitätWGd zu den frühesten Substantiven in der Wortfamilie um das Adjektiv modernWGd.
Ausgangsbedeutungen
Im 18. und 19. Jahrhundert bedeutet modernisieren zunächst sehr allgemein etwas an den zeitgenössischen Stil, Geschmack, die zeitgenössische Mode anpassen
etwa in Bezug auf Literatur (1786, 1858), (Innen-)Architektur (1795) oder Mode (1900, 1901a), gelegentlich auch schon in der etwas weiter gefassten Bedeutung an die zeitgenössischen Gegebenheiten anpassen
(1802). Bereits 1801 bucht Campe in seinem Verdeutschungs-Wörterbuch sowohl Modernisirung mit der Bedeutung die Verheutigung
als auch Modernisiren mit der Angabe ich habe verheutigen dafür zu sagen versucht
(1Campe Verdeutschung 2, 469). Das Substantiv Modernisierung ist im 19. Jahrhundert in entsprechender Bedeutung belegt (1854, 1855, 1888, 1893a).
Erneuerung
. Neue Bedeutung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Spätestens ab Ende des 19. Jahrhunderts begegnen sowohl Verb (1885, 1891, 1912) als auch Substantiv (1893a, 1893b) zunehmend in der Bedeutung erneuern
bzw. Erneuerung
in Bezug auf verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche. Diese semantische Entwicklung mündet in der neuen Bedeutung (technisch) auf den aktuellen Stand bringen
für modernisieren (1901b, 1911, 1964, 2010) – eine Bedeutung, die seither nicht nur, aber doch vermehrt im Kontext der Wirtschaft begegnet (1926, 1987a). Das Substantiv nimmt seinerseits entsprechende Bedeutungen an (1920, 1927, 1948, 1991a).
Modernisierung und Modernisierungstheorien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Insbesondere für das Substantiv Modernisierung entsteht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bedeutung Prozess der Transformation, der eine Gesellschaft von der Vormoderne in die Moderne überführt
. Diese Entwicklung ist im Kontext entsprechender – im Einzelnen durchaus divergenter – Modernisierungstheorien der Soziologie ab den 1960er Jahren (vgl. auch GG 4, 129), die in der Nachfolge auch in andere Kulturwissenschaften importiert werden, zu verstehen. Das Wörterbuch der Soziologie bestimmt Modernisierung im soziologischen Sinn als Komplex miteinander zusammenhängender struktureller, kultureller und individueller Veränderungen, der in der frühen Neuzeit einsetzt und sich seit dem 20. Jh. beschleunigt fortsetzt
(3Wörterbuch der Soziologie, 326; vgl. hier auch zur Kritik des Modernisierungsparadigmas). Diese Bedeutung findet in der Nachfolge Eingang in die Allgemeinsprache (1969b, 1970b, 2015), und auch das Verb kann nun die neue Bedeutung eine Gesellschaft von der Vormoderne in die Moderne überführen
tragen (2005b, 2017).
Insofern diese Bedeutungslinie nun Aspekte der technischen und wirtschaftlichen Umbau- und Erneuerungsprozesse als Teilprozesse des Übergangs von einer vormodernen zu einer modernen Gesellschaft umfasst, ist die Trennlinie zwischen den beiden Bedeutungen nicht immer ganz einfach zu ziehen (1966). Dennoch ist die Bedeutung Prozess der Transformation, der eine Gesellschaft von der Vormoderne in die Moderne überführt
gegenüber der Bedeutung (technisch) auf den neuesten Stand bringen
in zweifacher Hinsicht weiter gefasst: Zum einen verbindet sich mit dieser Lesart ein Fortschritts- oder Entwicklungsgedanke (1970a, 1974), zum anderen impliziert sie insbesondere dann, wenn die Wörter auf Schwellen- und Entwicklungsländer bezogen werden, Vorstellungen, in denen ModerneWGd als diejenige Entwicklung der westlichen Länder nach Aufklärung und französischer Revolution verstanden wird (1987b, 1991b, 1990; vgl. aber auch 1972b, 1972a, 1995). Sofern Modernisierung auf westliche Länder bezogen wird, wird hier entweder in historischer Perspektive eben auf jenen europäischen Transformationsprozess, der in der westlichen Moderne mündet, rekurriert (2005a) oder aber es steht die Frage einer Modernisierung der Moderne in eben dem oben adressierten Sinn hinter den Verwendungen (1997b, 2003; vgl. auch Schildt 2010).
Verbreitung und Wortbildungen
Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu Modernisierung und modernisieren
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Verb und Substantiv sind bis zur Jahrhundertwende in etwa gleich weit verbreitet (vgl. Abb. 1 sowie die Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Ab der Jahrhundertwende lässt sich zunächst ein langsames, ab der Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich ein deutliches Auseinandertreten hinsichtlich der Verbreitung beobachten: Das Substantiv ist im Vergleich zum Verb in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich höherfrequent (vgl. Abb. 1 sowie die entsprechenden Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen zahlreiche Komposita mit -modernisierung als Endglied. Das Spektrum reicht von Anlagenmodernisierung (1951) über Altbaumodernisierung (1965) und Industriemodernisierung (1969a), Städtemodernisierung (1971) und Luxusmodernisierung (1981) bis hin zu Wirtschaftsmodernisierung (1984) und Verwaltungsmodernisierung (1997a). Diesen Komposita liegt die Bedeutung Erneuerung; Vorgang, etwas insb. technisch auf den neuesten Stand zu bringen
zugrunde liegt. Daneben stehen Komposita mit Modernisierung- als Erstglied wie beispielsweise ModernisierungsverliererWGd.
Literatur
1Campe Verdeutschung Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Ein Ergänzungsband zu Adelungs Wörterbuche. In zwei Bänden. Braunschweig 1801. (sub.uni-goettingen.de)
GG Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd. 1–8. Stuttgart 1972–1997.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Schildt 2010 Schildt, Alex: Modernisierung. Verson 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 11. 2. 2010. (docupedia.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
3Wörterbuch der Soziologie Wörterbuch der Soziologie. Hrsg. von Günter Endruweit/Gisela Trommsdorff/Nicole Burzan. 3., völlig überarb. Aufl. Konstanz u. a. 2014.