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Spätmoderne spätmodern

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Ab den 1970er Jahren ist Spätmoderne als Bezeichnung für eine (gesellschafts- und kulturgeschichtliche) Phase der westlichen Moderne sowie als Bezeichnung für eine Epoche und Stilrichtung in Literatur, Kunst und Architektur belegt. Dazu ist das Adjektiv spätmodern mit entsprechenden Bedeutungen bezeugt. Spätmoderne bezeichnet damit dieselbe historische Phase wie Postmoderne – allerdings mit gänzlich anderen Implikationen: Im Gegensatz zu Postmoderne impliziert Spätmoderne, dass die Phase der Moderne nicht bereits abgeschlossen ist.

Wortgeschichte

Gesellschaft der Spätmoderne, Gesellschaft der Postmoderne? Zwei Wörter, zwei Theorien

Spätestens ab den 1980er Jahren ist mit Spätmoderne (1983), einem Kompositum aus spät- und ModerneWGd, ein neues Wort bezeugt, das eine spezifische gesellschafts- und kulturgeschichtliche Periode der westlichen Welt bezeichnet: Spätmoderne bezieht sich in der Regel auf die jüngste Gegenwart als Phase innerhalb der Gesamtepoche der Moderne (2000a, 2001, 2002a). Damit bezeichnet das Wort letztlich denselben historischen Zeitraum wie PostmoderneWGd (1997a). Insofern Postmoderne allerdings die Bedeutung Zeitalter, kulturgeschichtliche Epoche nach der Moderne trägt (1980, 1987, 1990), gehen die beiden Wörter, obwohl sie in der dominanten Lesart ein und denselben historischen Zeitraum bezeichnen, nicht in einem synonymen Verhältnis zueinander auf. So impliziert Spätmoderne im Gegensatz zu Postmoderne, dass die Moderne gerade noch nicht abgeschlossen sei (2012b). Welches Wort im Einzelfall gewählt wird, lässt insofern – zumindest im wissenschaftlichen Sprachgebrauch – Rückschluss auf die jeweilige konzeptuelle bzw. theoretische Verortung zu (2012a).

Gleichwohl weisen Spätmoderne und Postmoderne nicht ausschließlich unvereinbare Grundannahmen (2021), sondern bis zu einem gewissen Grad auch verbindende Vorstellungen auf, so etwa die Annahme vom Ende der großen Erzählungen (Lyotard), von Sinnrisse[n], Pluralismus und Unübersichtlichkeit (1988, 1997f, 1997b, 1997d, 2000b, 2004, 2005). Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass im Einzelfall auch Verwendungen begegnen, in denen die beiden Wörter nahezu synonym erscheinen (1997a).

Spätmoderne und Spätmodernismus. Epoche und Stilrichtung in Literatur, Kunst und Architektur

Neben jener weiteren, auf eine gesellschafts- und kulturgeschichtliche Periode der westlichen Welt im Allgemeinen abzielenden Bedeutung begegnet Spätmoderne auch in Verwendungen, in denen das Wort zu einer literatur- und kunstgeschichtlichen Epochen- und Stilbezeichnung im Speziellen wird (1984, 1994, 1997c, 1997e, 1999b, 2002b). Selten ist zudem das Substantiv Spätmodernismus bezeugt, seinerseits eine Stilbezeichnung (2007, 2017a). Sowohl Spätmoderne als auch Spätmodernismus sind dabei erkennbar auf das Grundwort Moderne in der Bedeutungslinie Literatur- und Kunstströmungen des 20. und 21. Jahrhunderts bezogen. Gelegentlich begegnen zudem auch Verwendungen, in denen Spätmoderne die Endphase der Klassischen Moderne im Speziellen bezeichnet (2003).

Verbreitung

Die Erstbezeugung des Wortes Spätmoderne datiert auf die 1970er Jahre, es ist damit wohl (wenig) jünger als Postmoderne (1960). Ab den 1980er Jahren wird Spätmoderne vermehrt verwendet, ab den 2000er Jahren ist die Verwendungsfrequenz rückläufig (vgl. die entsprechende bedeutungsübergreifende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Insgesamt bleibt Spätmoderne jedoch im direkten Vergleich zu Postmoderne das deutlich weniger verbreitete Wort (vgl. die entsprechende bedeutungsübergreifende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).

Das Adjektiv spätmodern

Ebenfalls seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ist – wohl als Bildung zu Spätmoderne – auch das Adjektiv spätmodern bezeugt (1985). Wie das Substantiv hat es eine gesellschaftliche (1992, 1993, 2017b) und eine kulturelle (1998a, 1998b, 1999a) Bedeutungslinie. Insgesamt ist das Adjektiv deutlich weniger verbreitet als das Substantiv (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Ein Adjektiv *spätmodernistisch hingegen scheint – anders als etwa postmodernistischWGd zu PostmodernismusWGd – nicht gebildet worden zu sein.

Belegauswahl

Die These von der Kontinuität der Diskontinuität wird die Postmoderne gleichermaßen bekräftigen wie auflösen: Auf einen in das 18. Jahrhundert zurückreichenden Zeitraum ausgedehnt, wird sie ihre kokette Kurzlebigkeit einbüßen.

Hofmann, Werner: Das irdische Paradies. München 1991 [1960], S. 1. [DWDS]

Signalisiert es den Abschied von der Moderne? Bedeutet die Postavantgarde bereits den Übergang zur Postmoderne?

Die Zeit, 19. 9. 1980, Nr. 39. [DWDS] (zeit.de)

Wer solche Ideale nie respektierte und sich, selber zwielichtig, an ihrer Zweideutigkeit orientiert, dem fällt die Notwendigkeit der hier gestellten Fragen gar nicht auf: woraus diese Zweideutigkeiten entspringen und welche Erfahrungen es sind, die das einst problemlos »scheinende« Licht der Aufklärung zum überproblematischen Zwielicht der Spätmoderne eintrüben mußten.

Sloterdijk, Peter: Kritik der zynischen Vernunft Bd. 2. Frankfurt 1983, S. 397. [DWDS]

Mitterrand verpflichtete dafür den US-Architekten Ieoh Ming Pei, 66, einen gebürtigen Kantonesen und Vertreter der „Spätmoderne“. Peis Vorliebe für Glas und strenge stereometrische Formen prägte das Gesicht vieler Musenbauten in den Vereinigten Staaten, darunter das der Washingtoner Nationalgalerie, die es Mitterrand besonders angetan hat.

Der Spiegel, 9. 4. 1984, S. 249. [IDS]

In seiner über zwanzigjährigen Geschichte hat sich das „Bread and Puppet Theater“ mit Zeit- und Überlebensfragen auseinandergesetzt, diese ungeniert als Konflikt zwischen Gut und Böse dargestellt – was nicht immer ins Konzept der Theaterschickeria, schon gar nicht der spätmodernen Elite paßte, für die Schumanns Arbeit, sein unbeirrbarer Blick für den unterdrückten, leidenden Menschen zu „simplistisch“, zu „naiv“ ist.

Die Zeit, 5. 4. 1985, Nr. 15. [DWDS] (zeit.de)

Er sieht: das Projekt der Moderne hat uns nicht das Heil einer triumphalen Aufklärung gebracht, sondern ist jederzeit durch das in derDialektik der Aufklärung antizipierte „triumphale Unheil“ beendbar. Experimentelle Wissenschaft und industrieller Fortschritt, die großen Projekte der Moderne, drohen fehlzulaufen; aufklärende Kritik und partizipatorische Demokratie sind unvollendet; die Zeitgenossen der Postmoderne fragen sich, wie sie die „ins Schleudern geratene Moderne“ (Habermas) unter Kontrolle bringen sollen. Der Januskopf der Postmoderne wendet sich von der Moderne ab und hat sie doch gleichzeitig im Blick.

Die Zeit, 3. 4. 1987, Nr. 15. [DWDS] (zeit.de)

Wer so schreibt (und wer so liest), der steht noch in der Tradition, der hat zu ihr noch kein Verhältnis wie zu einem Rohstoff, den man beliebiger Verfügung zuführen kann, als Interpretament im akademischen Spiel, oder als Kompensationskitt für die Sinnrisse der Spätmoderne.

Die Zeit, 13. 5. 1988, S. 50. [IDS]

Und wer sich von den täglichen Einflüsterungen, wir seien doch längst in eine neue Epoche eingetreten, ein Zeitalter der Postmoderne, der Ökologie, der System- und Lebenswelt, des Jenseits der Links-Rechts-Gegensätze, nicht hat irre und kirre machen lassen, der steht in der Gefahr, ebenso stur, unpoetisch, redundant zu werden wie besagte gesellschaftliche Grundkonstellation, auf die ihn alle Bemühungen, das, was ist, geistig zu durchdringen, immer wieder zurückbringen.

Die Zeit, 13. 4. 1990, Nr. 16. [DWDS] (zeit.de)

Welche Sinne reizen, die die 35-Stunden-Woche des spätmodernen Sozialisationstyps nicht müde gereizt hat?

Die Zeit, 14. 8. 1992, Nr. 34. [DWDS] (zeit.de)

Er offenbarte endlich auch im Intimsten das Prinzip unserer spätmodernen Informations- und Tauschgesellschaft: Ausschlachten.

Die Zeit, 5. 11. 1993, Nr. 45. [DWDS] (zeit.de)

Die immer formalistisch-blutleer und ratlos-kopflastiger werdende Spätmoderne hat schon in den sechziger Jahren – quasi als Gegen-Reflex – ein breites Interesse an der sogenannten „naiven“ Kunst erzeugt.

Nürnberger Nachrichten, 13. 12. 1994, S. 16. [IDS]

Der Wechsel vom reglementierten Versorgungsstaat in die „Risikogesellschaft“ wird aber krasser empfunden als der Übergang von der modernen Industriegesellschaft in die Postmoderne oder Spätmoderne.

Die Zeit, 10. 1. 1997, Nr. 03. [DWDS] (zeit.de)

Wer die Sinnfrage stellt, lehnt eigentlich die postmoderne Gesellschaft ab.

Der Tagesspiegel, 18. 3. 1997. [DWDS]

Corbusiers Ronchamps oder Mies’ Crown Hall verrieten schon die Expressivität und den Hang zum Formalen, die die Postmoderne später auszeichnen sollten. Erst 1970 aber zeigte sich in aller Deutlichkeit, was in dieser Spätmoderne im Keim schon vorhanden war: Die Form trete endgültig als Leitmotiv an die Stelle der Funktion.

Tages-Anzeiger, 14. 5. 1997, Nr. 20, S. 81. [IDS]

Gegen die Einheitsvorstellungen der Moderne hat die pluralistische Postmoderne den Begriff der „Differenz“ gesetzt, der die Verschiedenheit akzeptiert und ihre Überbrückung zur Aufgabe macht.

Die Zeit, 5. 9. 1997, Nr. 37, S. 66. [DWDS]

Als „Zugänge zur spätmodernen Literatur“ werden die gesammelten Essays bezeichnet, welche – des Gehens nicht genug – in einer Reihe namens „Promenade“ erschienen sind.

Die Presse, 13. 12. 1997. [IDS]

Und so scheinen bei aller vielzitierten Unübersichtlichkeit der Spätmoderne die Verhältnisse denn doch übersichtlich zu sein.

Die Zeit 52, 26. 12. 1997, Nr. 01, S. 43. [IDS]

Denn „Emilia“ ist der merkwürdige und exemplarische Fall eines spätmodernen Romans, der die Formen seiner Gattung, die Formen des historischen und des realistischen Erzählens instrumentalisiert und zu einem vernebelten Pseudorealismus verarbeitet.

Die Zeit, 10. 6. 1998, Nr. 25. [DWDS] (zeit.de)

Daß Urbanität nicht am Reißbrett planbar ist und die schiere „Addition grandioser spätmoderner Architekturmonumente“ kein großstädtisches Leben erzeugt, führt Wolfgang Schäche anschaulich am Beispiel des Kulturforums vor.

Berliner Zeitung, 13. 8. 1998. [DWDS]

Steinert geht es um die Ambivalenzen einer spätmodernen Kultur, die uneindeutiger geworden ist, ihre ökonomische Abhängigkeit und Öffentlichkeitsferne jedoch nicht verbergen kann.

Die Zeit, 14. 1. 1999, Nr. 03. [DWDS] (zeit.de)

Virtuoser kann die literarische Spätmoderne in ihrer Dialektik aus Selbstüberbietung und Selbstdemontage wohl kaum sein.

Die Zeit, 18. 11. 1999, Nr. 47. [DWDS] (zeit.de)

Der westlichen Spätmoderne wird somit ihr Hauptideologe und Guru wohl auf längere Sicht nicht abhanden kommen.

Berliner Morgenpost, 30. 7. 2000, S. 26. [IDS]

Im Gefüge der Spätmoderne entsteht geschichtlicher Sinn nur noch als synergetischer Nebeneffekt, als unwahrscheinliches Muster im Zeitverlauf.

Neue Zürcher Zeitung, 19. 8. 2000, S. 87. [IDS]

Sie will die Errungenschaften der Spätmoderne, die Berufstätigkeit der Frauen, Wohlstand, Mobilität und autogerechte Stadt nicht abschaffen, aber die Folgen für das Familienleben mit Beschwörungsformeln von anno dunnemals wegzaubern.

Die Zeit, 11. 10. 2001, Nr. 42. [DWDS] (zeit.de)

In der geltungssüchtigen Spätmoderne aber ist die Ästhetisierung der Lebenswelt mit der manchmal wahnhaften Verklärung makelloser Körperlichkeit und nie endender Jugend ein das Alltagsleben maßgeblich dominierendes Lebenskonzept: Schön ist, was schön sein soll, und was schön ist, ist gut und richtig.

Die Zeit, 3. 1. 2002, Nr. 02. [DWDS] (zeit.de)

Eigenhändig suchte er auch den Opern-Architekten aus. Der 72-jährige Henning Larsen ist einer der wichtigsten, mit einer kantigen Spätmoderne allerdings keineswegs avantgarde-verdächtigen Baumeister Dänemarks.

Berliner Zeitung, 20. 2. 2002. [DWDS]

Schon früh hatte sich der 1916 geborene und in Harvard ausgebildete Baukünstler von der europäisch geprägten Spätmoderne der Bauhaus-Emigranten gelöst und andere Wege eingeschlagen: Mit dem „Spray House 12“ (1955) widmete er sich organisch geformten, mit Spritzbeton zu Wohnschalen verwandelten Stahlkonstruktionen, und der Handelspavillon der USA auf der Internationalen Ausstellung von Zagreb (1956) wurde später von Archigram als wichtige Inspirationsquelle reklamiert.

Neue Zürcher Zeitung, 6. 8. 2003, S. 39. [IDS]

Noch einmal soll eine große Erzählung die neue Unübersichtlichkeit der Postmoderne ordnen, soll Sinn stiften und einen globalen Klassenkampf skizzieren.

Der Tagesspiegel, 14. 10. 2004. [DWDS]

Kaum zufällig gibt es heute wieder Stimmen, welche die Zugbrücken einfahren und die Kirche als Bastion gegen den forcierten Pluralismus der Spätmoderne empfehlen wollen.

Neue Zürcher Zeitung, 8. 12. 2005, S. 41. [IDS]

Da sind Künstlerinnen, die werden Sie teilweise auf der Documenta wiederfinden, die man im internationalen Kanon bisher so nicht gesehen hat. Wir haben ganz bewusst nach Figuren gefragt, denen es im Spätmodernismus noch einmal darum ging, die Moderne durchzuarbeiten, aber auch über sie hinaus zu arbeiten, wie es etwa Lee Lazano getan hat.

die tageszeitung 28, 5. 3. 2007, Nr. 8217, S. 15. [IDS]

Auf dem akademischen Laufsteg verkündete die halbe Welt die anbrechende Ära von Postmoderne, Posthistoire oder Postdemokratie. Andere Wissenschaftler, deren Theorie-Design nicht ganz so aufreizend daherkommen sollte, bevorzugten das keusche »Spät« und sprachen lieber von Spätkapitalismus und Spätmoderne.

Die Zeit, 26. 7. 2012, Nr. 31. [DWDS] (zeit.de)

Wegen dieses Umschlags befinden wir uns nicht mehr in der »klassischen«, aufgrund des Fortbestehens der Steigerungsimperative dynamischen Stabilisierung, aber immer nochin der Moderne. Deshalb erscheint mir der Begriff der Spätmoderne angemessener als der der Postmoderne, aber darüber kann man streiten.

Die Zeit, 16. 8. 2012, Nr. 34. [DWDS] (zeit.de)

Der Baustil: Spätmodernismus in seiner sowjetischen Variante.

Die Zeit, 4. 7. 2017 (online). [DWDS] (zeit.de)

Diese Unterschiede sind auch keine Abweichung von einer Norm der Einheit, sie sind nichts Sekundäres oder Vorläufiges, sondern das, was eine spätmoderne Gesellschaft auszeichnet, wenn sie funktioniert.

Die Zeit, 29. 11. 2017, Nr. 49. [DWDS] (zeit.de)

Spätmoderne, zentraler Begriff der Strukturationstheorie und der handlungstheoretischen Sozialgeographie zur Charakterisierung der derzeit aktuellen gesellschaftlichen Lebensbedingungen und -verhältnisse. Im Gegensatz zum Begriff Postmoderne wird davon ausgegangen, dass die Gegenwart als eine Konsequenz der Moderne der Aufklärung, zu begreifen ist bzw. als eine radikalisierte Moderne, und nicht als eine Epoche, welche deren Grundprinzipien nicht mehr teilt.

Art. „Spätmoderne“. In: Spektrum Akademischer Verlag (Hrsg.): Lexikon der Geographie. Heidelberg 2021. (spektrum.de)