Wortgeschichte
Herkunft, Entlehnung, Lexikalisierung
Das Adjektiv modern ist etymologisch auf das spätlateinische modernus neu
zurückzuführen (vgl. Pfeifer unter modernDWDS). Zu den Vorläufern der neuzeitlichen Verbreitung des Adjektivs in den europäischen Sprachen gehören sowohl die Verwendung des Wortes modernus in Texten des Mittelalters als auch die Ende des 17. Jahrhunderts von der Académie française ausgehende Querelle des Anciens et des Modernes, jenes wirkungsmächtigen Streits zwischen den Alten und den Neuen
in Frankreich an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, bei dem es um die Frage ging, inwiefern die Antike noch als Vorbild für die zeitgenössische Literatur und Kunst dienen könne (vgl. hierzu im Detail GG 4, 96–102). Paracelsus verwendet das Wort modernisch bereits im 16. Jahrhundert (vgl. 10Paul, 669); das fwb-online bucht zudem einen Beleg für das frühe 17. Jahrhundert (vgl. daneben auch 1675).
Die endgültige Entlehnung und Lexikalisierung ins Deutsche ist wohl unter Einfluss der französischen Sprache zu verstehen (vgl. Pfeifer unter modernDWDS sowie 10Paul, 669; zum französisch Adjektiv siehe auch TLFi unter moderne). Sie ist für Anfang des 18. Jahrhunderts anzusetzen (1710, 1767). 1727 scheint das Wort als Lehnwort bereits soweit konventionalisiert, dass Gladov es in seinem Wörterbuch À la Mode-Sprach mit der Bedeutung neu, von gegenwärtiger Zeit, auf die jetzige Zeit gerichtet
(A la Mode-Sprach, 384) bucht – das Wörterbuch nimmt, so der Titel, solche Lehnwörter auf, die in denen Zeitungen, Briefen und täglichen Conversationen vorkommen
.
Frühe Verwendungen
In den frühen Verwendungen wird modern in der Bedeutung gegenwärtig, die heutige Zeit betreffend
bzw. in der Bedeutung neuzeitlich
, hier oftmals im Gegensatz zu antik, verwendet (1675, 1727, 1772). In der Nachfolge der Querelle des Anciens et des Modernes und als Antonym zu antik stabilisiert sich modern im 18. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum zu einem Epochenbegriff in Kulturphilosophie und Ästhetik (vgl. 10Paul, 669). Nach 1830 wird modern zu einem Programmbegriff der Autoren des Jungen Deutschland und wird hier nun im Sinne von zeitgemäß, in die Zukunft weisend, progressiv
verwendet (vgl. 10Paul, 669; 1840b; zur Frage der zeitlichen Dimension der historischen Semantik der Wörter um modern siehe im Detail die umfangreiche begriffsgeschichtliche Aufarbeitung von Hans Ulrich Gumbrecht in GG 4, 93–131; hier auch Hinweise zum Adjektiv modern als Prädikat für eine transitorisch erfahrenen Gegenwart).
Neue Bedeutung um 1800
Wohl unter Einfluss des Wortes Mode (vgl. Pfeifer unter modernDWDS) entsteht um 1800 die neue Bedeutung dem Zeitgeschmack entsprechend, modisch
(1801, 1815, 1837, 1854a). Diese semantische Entwicklung spiegelt sich auch in den Buchungen bei Adelung wider, der Modếrn mit der Bedeutung den neuesten Sitten, dem neuesten Geschmacke, der neuesten Mode gemäß
aufnimmt (vgl. 2Adelung 3, 256). Ähnlich ist auch die Buchung in 1Campe Verdeutschung mit der Bedeutung heutig, nach heutigem Geschmacke, im neuesten Geschmacke, von neuerer Hand, in neuer Kunst
(1Campe Verdeutschung 2, 469). In dieser Bedeutungslinie sind in der Nachfolge auch Verwendungen im Sinne von im Trend, en Vogue
zu verorten (1900c, 1910, 2005).
Modern kann weiterhin im Sinne von (insbesondere technisch) auf dem neuesten Stand
verwendet werden (1936, 1990b). Vorläufer sind möglicherweise Verwendungen von modern in Bezug auf die Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts, hier allerdings zunächst eher in der breiteren Bedeutung gegenwärtig
, die allerdings auch den Einsatz zeitgemäßer Produktionsmittel wie Maschinen inkludieren kann (1848b, 1867). Die Abgrenzung von gegenwärtig
zu (technisch) auf dem neuesten Stand
und damit der Ansatz der neuen Bedeutung sind dabei nicht ganz trivial (1870); auch der Übergang zur gesellschaftlichen Bedeutungslinie (s. u.) ist fließend.
Übertragung auf die Gesellschaft
Bereits seit dem 19. Jahrhundert kann modern auch auf die Gesellschaft bezogen werden, zunächst wohl eher noch im Sinne von gegenwärtig
, zeitgemäß
oder neuzeitlich
(1840a, 1845, 1849). Zum Teil hat das Wort in Bezug auf die gegenwärtige Gesellschaft wiederum auch wirtschaftliche Implikationen (1848a, 1888); modern wird hier mithin in Zusammenhang zu den tiefgreifenden sozioökonomischen Veränderungen im Verlauf des langen 19. Jahrhunderts verwendet. Diesen Verwendungen liegt in der Regel eine wie auch immer geartete Geschichtsvorstellung bzw. ein Entwicklungsgedanke zugrunde (1869). Die moderne Gesellschaft wird dabei keinesfalls durchweg positiv bewertet (1855b). Daneben begegnet modern aber auch in Zusammenhang mit Wörtern wie Zivilisation oder Kultur (1838, 1892). Diese Verwendungen sind wohl auch vor dem Hintergrund jener für das 19. Jahrhundert prägenden Vorstellung einer Höherentwicklung der Kultur bzw. der Zivilisation zu verstehen (1848c).
Ausgehend von den Verwendungen in Bezug auf die Gesellschaft im Allgemeinen entsteht schließlich die Bedeutung einem bestimmten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungsstand entsprechend
, die in der Regel auf die westliche Moderne im Besonderen bezogen ist (1969, 1986). Gegenüber älteren Verwendungen in Bezug auf die Gesellschaft, in denen modern neuzeitlich
, gegenwärtig
oder zeitgemäß
bedeutet, findet hier mithin eine Bedeutungsverengung statt, insofern diese Verwendungen nun zentral auf die westliche Moderne bezogen werden ModerneWGd. Besonders zum Tragen kommt diese Bedeutung in Verwendungen des Adjektivs modern mit Bezugnahme auf die sogenannte Dritte Welt
bzw. Entwicklungs- und Schwellenländer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1972a, 1972b, 1999b). Diese Entwicklung ist wohl unter anderem im Kontext soziologischer Modernisierungstheorien der zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verorten, in deren Zusammenhang das Substantiv ModernisierungWGd die neue Bedeutung Prozess der Transformation, der eine Gesellschaft von der Vormoderne in die Moderne überführt
erhält (vgl. auch Verwendungen von modern und Modernisierung beispielsweise in 2001).
Verwendungen in Bezug auf Literatur- und Kunstrichtungen
In Zusammenhang mit der Ausbildung des Substantivs ModerneWGd um 1900 sind Verwendungen zu verstehen, in denen sich modern auf eine bestimmte Kunst- und Literaturrichtung bezieht (1900a, 1960a, 1997). Moderne wird Ende des 19. Jahrhunderts in Bezug auf die Literatur des Naturalismus gebildet und schnell auch auf andere Künste übertragen; gegenwärtig kann das Wort sowohl Literatur und Künste der Jahrhundertwende als auch (zeitgenössische) Literatur- und Kunstströmungen des 20. und 21. Jahrhunderts bezeichnen. Entsprechend begegnet auch das Adjektiv modern seither zum einen im Zusammengang mit der Literatur des Naturalismus (1908; die Bedeutung ist hier entsprechend gegenüber beispielsweise der bereits früher belegten Verbindung moderne Literatur, in der modern nicht auf eine spezifischen literarische Richtung, sondern nur auf die gegenwärtige Epoche zielt [1855a], deutlich enger gefasst). Zum anderen begegnet es auch in Bezug auf Literatur-, Kunst- und Architekturströmungen des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen (1951, 1990a).
Hochmodern und hypermodern. Steigerungen
Ab Ende des 18. Jahrhunderts ist der Komparativ modernerer belegt (1787b, 1787a), daneben mindestens seit dieser Zeit auch moderner als (1793). Neben diese grammatischen Steigerungen treten ab Beginn des 19. Jahrhunderts auch die steigernden Wortbildungen hochmodern (1817, 1885b) und hypermodern (1808, 1900b, 1923b). Daneben sind seit Ende des 19. Jahrhunderts gelegentlich auch ultramodern (1890, 1902, 1972c) und supermodern (1893, 1960b) belegt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind schließlich die Bildung topmodern (1968, 1981) bezeugt.
Von unmodern bis antimodern und gegenmodern. Antonyme
Um das Adjektiv modern herum haben sich im Laufe der Jahrhunderte eine ganze Reihe weiterer Wörter im Deutschen gebildet. Zu den frühesten Bildungen gehört sicherlich das Antonym unmodern, das bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bezeugt ist (1776). Das Wort kann unzeitgemäß, veraltet
(1885a, 1999a) ebenso wie unmodisch
(1868) bedeuten; es kann auf Literatur und Künste (1854b, 1882) ebenso wie auf Gesellschaft (2004) und Technik (1948, 1995) bezogen werden.
Neben unmodern begegnen als Antonyme ferner gegenmodernWGd und antimodernWGd. Diese beiden Wörter, die die Bedeutung der Strömung der gegen die gesellschaftliche oder kulturelle Moderne gerichteten Anti- bzw. Gegenmoderne zuzuordnen
tragen, haben gegenüber unmodern ein deutlich engeres Bedeutungsspektrum. Weitere Verbreitung finden sie erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt gehört auch traditionell zu den Antonymen von modern (1923a, 2009).
Weitere Wortbildungen
Neben den genannten Steigerungen und Antonymen gehört eine Reihe weitere Wörter Wortfamilie von modern. Zu nennen wären etwa Adjektive wie vormodernWGd, spätmodernWGd, nachmodern, postmodernWGd, modernistischWGd und postmodernistischWGd. Weiterhin gehören die Substantive ModernisierungWGd und ModernitätWGd, ModernismusWGd und ModernistWGd ebenso wie VormoderneWGd, GegenmoderneWGd und AntimoderneWGd, SpätmoderneWGd, NachmoderneWGd, PostmoderneWGd und PostmodernismusWGd sowie nicht zuletzt das Verb modernisierenWGd zum semantischen Feld um modern.
Literatur
A la Mode-Sprach Gladov, Friedrich: A la Mode-Sprach der Teutschen Oder Compendieuses Hand-Lexicon. Jn welchem die meisten aus fremden Sprachen entlehnte Wörter und gewöhnliche Redens-Arten, So in denen Zeitungen, Briefen und täglichen Conversationen vorkommen, Klar und deutlich erkläret werden. Nürnberg 1727. (deutschestextarchiv.de)
2Adelung Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, 2. vermehrte und verbesserte Ausg. Bd. 1–4. 2. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1793–1801. Hildesheim u. a. 1990. (woerterbuchnetz.de)
1Campe Verdeutschung Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Ein Ergänzungsband zu Adelungs Wörterbuche. In zwei Bänden. Braunschweig 1801. (sub.uni-goettingen.de)
FWB-online Frühneuhochdeutsches Wörterbuch/FWB-online. Hrsg. von Ulrich Goebel, Anja Lobenstein-Reichmann, Oskar Reichmann. 2017 ff. (fwb-online.de)
GG Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd. 1–8. Stuttgart 1972–1997.
10Paul Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete u. erweiterte Aufl. von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel. Tübingen 2002.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu modern, hochmodern, hypermodern, unmodern.