Wortgeschichte
Literarische und künstlerische Moderne
Das Wort Moderne1), das überwiegend im Singular und mit bestimmtem Artikel steht, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen belegt (1895). Die spezifische Verwendung in Bezug auf die damals zeitgenössische Literatur des Naturalismus geht wohl auf die Freie litterarische Vereinigung
zurück (1886) und wird durch Hermann Bahr befördert (vgl. 10Paul, 669). Vorbereitet wird die Substantivierung des Adjektivs modernWGd möglicherweise durch die semantisch allerdings weiter gefasste Wortverbindung moderne Literatur, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert belegt ist (1793, 1840a, 1885). Zudem sind die Substantivierungen das Moderne (1798, 1842) sowie die Modernen (1800, 1827) mindestens seit Ende des 18. Jahrhunderts bezeugt.Durch
Zunächst in Bezug auf die Literatur des Naturalismus gebildet, wird das Wort schnell auch auf andere zeitgenössische Künste übertragen (1905, 1900a). Im Verlauf des 20. Jahrhundert kann es noch jene Literatur- und Kunstrichtung der Jahrhundertwende im Besonderen bezeichnen (1959), im Laufe der Zeit ist aber eine allgemeinere, auf gegenwärtige Strömungen in Literatur und Kunst im Allgemeinen bezogene Verwendung daneben getreten, in der Moderne relativ unspezifisch auch andere und auch spätere Kunst- und Architekturströmungen umfassen kann (1972b, 1980c, 1988). Mitte des 20. Jahrhunderts entsteht zudem die feste Wortverbindung klassische Moderne, die eine spezifische Phase der (literarischen und künstlerischen) Moderne, genauer die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, bezeichnet (1960, 1970, 1973, 1980b, 1999b).
Gesellschaftliche Moderne
Nicht nur auf andere Künste, auch auf die Gesellschaft im Allgemeinen bzw. den Stand der gesellschaftlichen Entwicklung wird das Wort Moderne nur kurze Zeit nach seiner Bildung übertragen (1900b, 1902, 1903). Auch für die gesellschaftliche Bedeutungslinie kann die Annahme formuliert werden, dass die Verbindung moderne Zeiten oder moderne Gesellschaft hier einen gewissen Vorläuferstatus haben. Moderne Zeiten ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts belegt (1761, 1778, 1790; vgl. allerdings auch den Beleg 1705, in dem modern gleichwohl typographisch noch als Fremdwort gekennzeichnet wird; es scheint sich hier um eine Spontanbildung zu handeln), moderne Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert (1840b, 1848). In den 1920er Jahren ist das Wort auch in der Sprache der Soziologie belegt (1929). Insgesamt überwiegen aber in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Bezeugungen, in denen Moderne in Bezug auf Literatur und Künste verwendet wird.
In Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen kann das Substantiv dann sowohl in einem weiteren, die jeweilige Epoche lediglich als Gegensatz zu einer älteren Epoche denkenden Sinn verwendet werden; häufiger begegnet diese eher unspezifische Verwendung in Konstellationen, in denen Moderne als Gegensatz zu Antike gedacht wird (1948b, 1948a). Daneben stehen spätestens aber seit Mitte des 20. Jahrhunderts Belege, in denen Moderne spezifischer das Zeitalter nach der europäischen Aufklärung (1981a) und der Französischen Revolution bezeichnet (1946, 2001). In dieser semantischen Linie trägt Moderne Bedeutungsaspekte wie Fortschritt
(1950, 1980a), Industrialisierung
und Verstädterung
(1950, 2011), Säkularisierung
(1981b, 2008) sowie eine gegenüber der Vormoderne veränderte Gesellschaftsstruktur
(1999a). Es ist vornehmlich diese Verwendung, die für die Soziologie und in den Geisteswissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts relevant wird (1981c, 1983, 1996, 2009).
Bedeutungsaspekte des Raums und der Zeit
Die beiden Bedeutungslinien teilen gemeinsame semantische Aspekte. Das gilt zum einen mit Blick auf die räumlichen Konnotationen des Wortes: In der Regel ist mit Moderne, sei es als gesellschaftliche, sei es als literarisch-künstlerische Epoche, eine Phase gemeint, die der westlichen Welt zugeordnet wird. Das manifestiert sich nicht zuletzt in der Kollokation europäische Moderne, die in Bezug auf beide Bedeutungen begegnet (1948c, 1994). Die Bezogenheit auf eine spezifisch europäische bzw. westliche Entwicklung liegt mehr oder weniger offensichtlich in der Regel auch Verwendungen des Wortes in Zusammenhang mit außereuropäischen Gebieten zugrunde, insofern hier die europäische gesellschaftliche oder kulturelle Moderne gewissermaßen zum Modell wird (1972a, 2000, 2013; vgl. hierzu auch ModernisierungWGd).
Des Weiteren tritt in den unterschiedlichen zeitlichen Horizonten, die den Verwendungen in beiden Bedeutungslinien zu eigen ist, eine doppelte Zeitbezogenheit zu Tage, die dem Substantiv eingeschrieben ist: Es kann sowohl im Sinne einer Epochenbezeichnung für eine spezifische, einmal erreichte Epoche (1998) als auch in Bezug auf einen sich dauerhaft immer wieder erneuernden Zustand verwendet werden (1947; vgl. hierzu detailliert auch GG 4, 110 und 114, hier zum Adjektiv modern als Prädikat für eine transitorisch erfahrenen Gegenwart).
Wortbildungen
Zu den Wortbildungen zum Substantiv Moderne gehören eine ganze Reihe an Komposita, angefangen bei VormoderneWGd über Anti-WGd GegenmoderneWGd und SpätmoderneWGd bis hin zu Post-WGd undNachmoderneWGd.
Anmerkungen
1) Insbesondere aus begriffsgeschichtlicher Perspektive ist das Wort Moderne umfänglich behandelt worden; vgl. nur GG 4, 93–131; Hans-Ulrich Gumbrecht gibt hier zudem auch einen Überblick über die Forschung (GG 4, 93–94).
Literatur
GG Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd. 1–8. Stuttgart 1972–1997.
10Paul Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete u. erweiterte Aufl. von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel. Tübingen 2002.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Moderne.