Wortgeschichte
Herkunft, Formvarianten und Bezeugungsfrequenz
Erstbezeugungen des Substantivs Rebell datieren in deutschsprachigen Quellen auf das frühe 16. Jahrhundert (vgl. 1DFWB 3, 192–194). Die Entlehnungsgeschichte wird nicht ganz einheitlich dargestellt: Sowohl das 1DFWB als auch Pfeifer gehen davon aus, dass das Wort aus dem Französischen entlehnt worden sei, wo rebelle seit der altfranzösischen Sprachstufe als Adjektiv und Substantiv in den Bedeutungen widerspenstig, empörerisch
bzw. Widerspenstiger, Empörer
belegt ist (vgl. 1DFWB 3, 192–194 sowie Pfeifer unter RebellDWDS). Das 1DWB gibt unter dem Lemma Rebell Aufrührer
und unter Bezugnahme auf Lexer allerdings an, dass auch im Deutschen das Adjektiv rebellisch bereits im 15. Jahrhundert bezeugt war und das Substantiv ein Lehnwort aus dem Lateinischen sei (vgl. 1DWB
14, 327). Lexer bucht das mittelhochdeutsche Adjektiv rebell sich empörend
seinerseits als Entlehnung aus dem Altfranzösischen (vgl. Lexer 2, 355). Etymologisch ist Rebell in jedem Fall auf lateinisch rebellis zurückzuführen, das als eine Bildung aus lateinisch re- wieder
und bellum Krieg
eigentlich den Krieg erneuernd
bedeutet (Pfeifer unter RebellDWDS). Neben Rebell sind im Deutschen zunächst seltener auch Nebenformen wie Rebellant (1799) und Rebeller (1848b, 1918a) belegt (vgl. auch 1DFWB 3, 192–194). Adelung weist im Übrigen bereits um 1800 in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart explizit auf Fämin. die Rebellinn
hin (vgl. 2Adelung 3, 989); diese ist seit dem 17. Jahrhundert bezeugt (1686b, 1812, 1959).
Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu Rebell
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Nach seiner Entlehnung zeigt sich zunächst eine Spitze in der Verwendungshäufigkeit des Wortes, danach sinkt die Bezeugungsfrequenz, bevor sie im 20. Jahrhundert wieder steigt (vgl. Abb. 1 sowie – bei allen methodischen Einschränkungen – die doch ähnlich verlaufende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).
Aufrührer, Empörer
. Die politische Bedeutungslinie
Im Deutschen bedeutet Rebell seit den ersten Bezeugungen Aufrührer, Empörer
(vgl. zur semantischen Kontur von EmpörungWGd auch die entsprechenden Ausführungen in der Wortgeschichte zu RebellionWGd). Entsprechend seiner zentralen Bedeutung Aufrührer
begegnet Rebell in frühneuzeitlichen Quellen häufiger zusammen mit den Synonymen Aufrührer (1625), Friedensstörer (1653) oder Meutmacher (1654).
In der Frühen Neuzeit wird eine Rebellion als ein Ereignis bzw. eine Handlung gedacht, die sich gegen die Obrigkeit richtet (1650b), Obrigkeit zu dieser Zeit in der Bedeutung Hoheitsträger, Herrschaftsinstitution auf allen hierarchischen Herrschaftsebenen, Aufsichts- oder Exekutivbehörde, Gericht
(vgl. DRW X, 217). Rebell tritt in älteren Quellen auch in Formulierungen wie für Rebellen mit vrtheil vnnd Recht erklärt (1613), als Rebellen enthäuptet (1650a), wie einen Rebellen wollen erschießen lassen (1830) oder als Rebell köpfen ließ (1831) auf, was auf bestimmte auch rechtliche Konnotationen des Wortes hindeutet, genauer einer Unrechtmäßigkeit der Rebellion und daraus folgenden rechtlichen Konsequenzen für den Rebellen. Daneben begegnet das Wort gerade in der Frühen Neuzeit – hier vergleichbar RebellionWGd – auch in religiösen Schriften (1615).
In der Bedeutungslinie Aufrührer, Empörer
ist Rebell seit seiner Entlehnung recht stabil (1597, 1682, 1724, 1869, 1943, 2003). Das spiegeln auch die Buchungen in allgemeinsprachlichen Wörterbüchern über die Jahrhunderte wider. So bucht Gladov das Wort im 18. Jahrhundert in seinem Wörterbuch A la Mode-Sprach der Teutschen mit der Bedeutung aufrührische und ungetreue Untertanen; Leute, die sich stets wider ihre Ober-Herren auflehnen, auch wohl gar von denenselben abfallen
(A la Mode-Sprach, 555), Adelung in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart an der Wende zum 19. Jahrhundert mit der Bedeutung eine Person, welche sich ihrer ordentlichen und rechtmäßigen Obrigkeit mit öffentlicher Gewalt widersetzt; ein Aufrührer
(2Adelung
3, 989, Sanders in seinem Wörterbuch der Deutschen Sprache in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Bedeutung Empörer
(1Sanders 2, 668), das Deutsche Wörterbuch mit der Bedeutung Aufrührer
(1DWB 14, 327), das DWDS schließlich in der Bedeutung jemand, der rebelliert, Rebellierender, Empörer
(DWDS unter RebellDWDS).
Formulierungen wie nachdem [der Souverän] die Rebellen wieder unter das Joch gebracht hat (1680), die schlechte Verfassung, in welcher er die Armee der Rebellen zu überraschen hoffte (1792) oder Ich glaube allerdings nicht, daß die Zeit für Gespräche zwischen der Armee und den Rebellen schon reif ist (1990) legen im Übrigen nahe, dass der Plural auch als eine Gruppenbezeichnung für politische Gruppierungen verwendet wird, insbesondere für solche, die ihre Ziele mit paramilitärischen Mitteln durchsetzen wollen.
Jemand, der sich widersetzt
. Bedeutungserweiterung
Die zentrale Bedeutung Aufrührer, Empörer
der politischen Bedeutungslinie bleibt über die Jahrhunderte weitgehend stabil. Gleichwohl steht daneben eine semantische Entwicklungslinie, in der das Wort eine sukzessive Bedeutungserweiterung erfährt, infolge derer es heute auch in der allgemeineren Bedeutung jemand, der sich widersetzt
verwendet werden kann. Selten bereits vor dem 20. Jahrhundert (1686a, 1812), ab Beginn des 20. Jahrhunderts vermehrt (1914, 1931, 1969), begegnet Rebell in dieser weiter gefassten Bedeutung. Die Bedeutungserweiterung erfolgt semantisch hier über eine Ausweitung desjenigen, wogegen der Rebell sich widersetzen bzw. empören kann: Nicht mehr nur die politische oder religiöse Obrigkeit im oben genannten Wortsinn, sondern jegliche Form der hierarchisch mehr oder weniger übergeordneten Sozialfiguren oder -gruppen (1969), auch überkommene Konventionen können nun Gegenstand der Ablehnung sein (1914). Wohl auch vor dem Hintergrund dieser sich bereits länger abzeichnenden allgemeinen Entwicklung wird das Wort in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Studenten- und Protestbewegungen insbesondere der 1960er Jahre (1967, 1979) zudem in der Bedeutung Revolutionär, gegen Hochschule, Politik und Gesellschaft Protest ausübender und Widerstand leistender Student, Mitglied der studentischen Protestbewegung, studentischer Widerstandskämpfer
im Speziellen verwendet (vgl. hierzu im Detail Protestdiskurs 1967/68 unter Rebell).
Wortbildungen
Komposita mit Rebell- als Erstglied sind vereinzelt mindestens seit Ende des 17. Jahrhunderts belegt, so beispielsweise Rebellen-Parthey (1698) oder Rebellen-Blut (1797). Vermehrt begegnen sie ab der Wende zum 19. Jahrhundert (1820, 1848a, 1873). Komposita mit -rebell als Endglied sind dahingegen erst ab dem 20. Jahrhundert nachweisbar (1919a, 1919b, 1946, 1956).
Daneben gehören mit rebellisch (1736) und Rebellentum (1918b) ein Adjektiv und ein weiteres Substantiv zu den Wortbildungen. Das Adjektiv ist bereits seit Mitte des 15. Jahrhunderts in der Bedeutung aufrührerisch, widerspenstig, aufsässig
bezeugt und wird wie dargelegt wohl auch aus dem Französischen ins Deutsche entlehnt (vgl. auch Pfeifer unter rebellischDWDS). Rebellentum Aufsässigkeit, Widerspenstigkeit
ist dahingegen eine der jüngeren Wortbildungen der Wortfamilie: Es ist vereinzelt bereits Ende des 19. Jahrhunderts, öfter erst im 20. Jahrhundert belegt (1887, 1922, 1950, 2000; vgl. auch 1DFWB 3, 192–194). Semantisch schließt Rebellentum sowohl an die weitere Bedeutung von Rebell (1957, 1977) als auch an Rebell in der Bedeutung jemand, der sich widersetzt
an (1949, 1999).
Hinsichtlich der Verbreitung ist das Substantiv Rebellion im Übrigen das mit Abstand am häufigsten verwendete Wort der Wortfamilie (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve zu Rebellion, Rebell, rebellisch und Rebellentum des Google NGram Viewers). Rebell und rebellisch zeigen recht ähnlich verlaufenden Bezeugungsfrequenzen (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers).
Literatur
A la Mode-Sprach Gladov, Friedrich: A la Mode-Sprach der Teutschen Oder Compendieuses Hand-Lexicon. Jn welchem die meisten aus fremden Sprachen entlehnte Wörter und gewöhnliche Redens-Arten, So in denen Zeitungen, Briefen und täglichen Conversationen vorkommen, Klar und deutlich erkläret werden. Nürnberg 1727. (deutschestextarchiv.de)
2Adelung Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, 2. vermehrte und verbesserte Ausg. Bd. 1–4. 2. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1793–1801. Hildesheim u. a. 1990. (woerterbuchnetz.de)
1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)
DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Bis Bd. 3 hrsg. von der Preußischen Akad. der Wiss., Bd. 4 hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin, Ost), ab Bd. 5 hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (bis Bd. 8 in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften der DDR). Bd. 1 ff. Weimar 1912 ff. (adw.uni-heidelberg.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Lexer Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alphabethischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke-Müller-Zarncke. Bd. 1–3. Leipzig 1872–1878. (woerterbuchnetz.de)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Protestdiskurs 1967/68 Leibniz-Institut für deutsche Sprache (IDS): Diskurswörterbuch Protestdiskurs 1967/68. (owid.de)
1Sanders Sanders, Daniel: Wörterbuch der Deutschen Sprache: mit Belegen von Luther bis auf die Gegenwart. Bd. 1–3. Leipzig 1860–1865. (bbaw.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Rebell, Rebellentum, rebellisch.