Wortgeschichte
Alt und vielfältig
Mit dem Substantiv Filz bezeichnet man ein durch traditionelle handwerkliche Methoden hergestelltes dichtes, grobes Material aus Schafwolle oder anderen Tierhaaren, das sich durch besondere Vielseitigkeit, Robustheit und Isolierfähigkeit auszeichnet. Filz ist bereits in den älteren Sprachstufen des Deutschen und seitdem kontinuierlich bis heute bezeugt. Es begegnet um das Jahr 800 als Glosseneintrag in einem der ältesten deutschsprachigen Sprachdenkmäler, der lateinisch-deutschen Benediktinerregel (vgl. EWA 3, 234). Schon im Althochdeutschen meint Filz nicht nur das Material, sondern wird auch metonymisch für aus Filz hergestellte Dinge, besonders Kleidungsstücke, verwendet (vgl. AWB 3, 848; RGA 9, 44; seit dem 16. Jahrhundert als Bezeichnung für einen aus Filzstoff hergestellten Hut: 1576, 1977).
Filz als Schimpf- und Tadelwort
Seit dem 15. Jahrhundert findet sich der Ausdruck Filz – zunächst in spätmittelalterlichen Fastnachtsspielen – als abwertende Personenbezeichnung (15. Jh.a). Die grobe und derbe Beschaffenheit des Filzes dient hier offenbar als Grundlage für die Übertragung des Wortes auf Menschen, deren Auftreten oder Verhalten man als unfein und ungehobelt empfindet. Mit Filz ist der bäurische, grobe, tölpelhafte Mensch
gemeint, vergleichbar mit der Bedeutung des Wortes Grobian. Das Wort liegt mehrfach in der Verbindung grober Filz vor, wie beispielsweise in der von Martin Luther verfassten Schmähschrift Wider Hans Worst, in der dieser Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel unverblümt als grobe[n] Filz, Rulz und Tölpel
bezeichnet (1541; jünger: 1803, 1899).
Einen weiteren semantischen Aspekt erhält das Wort ebenfalls im 15. Jahrhundert durch die Übertragung auf Menschen, die als übertrieben sparsam wahrgenommen werden. Häufig in der Verbindung karger Filz bezeugt, hat der Ausdruck hier die pejorative Bedeutung geiziger Mensch
, vergleichbar mit der Bedeutung des Wortes Geizhals (15. Jh.b, 1681, 1790).
Mit der Bildung vilzgebûre liegt bereits um 1300 ein mittelhochdeutsches Kompositum vor, das mit der Bedeutungsangabe grober Bauer
und Bauer, der Filz trägt
in den mittelhochdeutschen Wörterbüchern verzeichnet ist (vgl. Lexer 3, 352, BMZ 1, 291a und als Scheltwort
gilt. Anscheinend hängt die metonymische Übertragung von Filz auf Personen mit der robusten Filz-/Lodenkleidung, die die bezeichneten Menschen tragen, zusammen (vgl. 1DWB 12,1, 331: weil bauern sich mit grobem, rauhen filze bekleiden, geht filz über in die vorstellung eines bäurischen, ungeschliffenen kerls und wird zur schelte
; s. dort auch Filzbauer, Filzgebauer).
Ebenfalls durch das Merkmal derb, grob
motiviert wird der Ausdruck Filz seit dem 16. bis ins 19. Jahrhundert in der Bedeutung derber Verweis, grober Tadel
meist in der Verbindung jemandem einen (derben) Filz geben verwendet (1539, 1721, 1829).
Verwoben, verschlungen und undurchschaubar
Der Ausdruck Filz wird neuhochdeutsch in der Bedeutung filzähnlich Verwobenes, Verschlungenes
verwendet, zum Beispiel wenn von Belag auf Pflanzenteilen und Steinen (1789, 1821, 1845, 2018) oder von verworrenen Haaren die Rede ist (1847, 2002).
Erst seit den 1970er Jahren wird das Wort Filz in der Presse in einer weiteren abwertenden Bedeutung in Bezug auf undurchschaubare Beziehungsgeflechte in Politik und Wirtschaft gebraucht (1974, 1978a; Parteifilz: 1978b). Im Hinblick auf die früher vorliegenden übertragenen Gebräuche der Wortbildungen Verfilzung und Filzokratie (s. u.) ist es überraschend, dass Filz in der Lesart Geflecht aus (politischen, wirtschaftlichen) Beziehungen
um einiges später bezeugt ist. Eine Gebrauchszunahme ist in den frühen 1990er Jahren im Zusammenhang mit der Kritik am DDR-System feststellbar (1991; vgl. auch SeilschaftWGd). Das Wort wird beispielsweise in den Verbindungen Filz bilden, sich gegenseitig Filz vorwerfen, mit dem Filz aufräumen, Kampf gegen Korruption und Filz verwendet (1988, 2004, 2016, 2017, 2021a).
Während bei den älteren Übertragungen auf Personen das Merkmal des Groben und Derben im Zentrum der Bedeutung steht, ist bei dieser neueren pejorativen Übertragung eine andere spezifische Eigenschaft des Filzmaterials als Motivationsgrundlage auszumachen: die fest miteinander verbundene Struktur der Fasern zu einem dichten, nicht entwirrbaren Gebilde. Das filzartig Verwobene
bezieht sich nunmehr also nicht nur auf die äußere Beschaffenheit von etwas, sondern vielmehr auf die ineinander verflochtenen und undurchschaubaren Verbindungen von Personen, hauptsächlich im Bereich der Politik.
Ein vergleichbarer Bedeutungswandel findet sich auch beim Wort KlüngelWGd, das ursprünglich in der Lesart Knäuel
verwendet wird und das später – ebenfalls vom Bild des Verworrenen und Unentwirrbaren ausgehend – auf undurchschaubare Beziehungsgeflechte von Personengruppen übertragen wird. Wie bei Filz tritt auch hier mit der Übertragung eine Bedeutungsverschlechterung ein. Während man die Ausgangsbedeutung von Klüngel heute allgemein nicht mehr kennt und das Wort standardsprachlich nur noch übertragen verwendet wird, ist Filz auch in der Gegenwartssprache sowohl in der ursprünglichen, konkreten als auch in der jüngeren, übertragenen Bedeutung gebräuchlich. Die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks Filz wird mitunter in Wahlwerbungen oder auf Titelseiten von Printmedien bewusst eingesetzt (vgl. 1998, 2021b).
Verfilzen und Verfilzung
Die bereits mittelhochdeutsch vorliegende Wortbildung verfilzen wird zuerst auf wirre Haare
bezogen (vgl. BMZ 3, 317a, 1DWB 12,1, 331). Im beginnenden 19. Jahrhundert wird verfilzen zudem bildhaft im Sinne von eine kaum lösbare Verbindung eingehen
verwendet (1804; gegenwärtig: 2012). Auch die Substantivbildung Verfilzung – in der Ursprungsbedeutung Verschlingung, Verwirrung (zu einem Filz)
(vgl. 1DWB 12,1, 331) –ist im 19. Jahrhundert in der übertragenen Bedeutung unauflösbare Verflechtung (von etwas)
bezeugt (1888). Mit dem Ausdruck Verfilzung werden in den 1920er Jahren diffamierende Stereotype in antisemitischen Hetzschriften transportiert (1923). In der NS-Zeit wird das Wort z. B. in der Verbindung internationale Verfilzung abwertend mit Bezug auf Juden verwendet (1939).
Filzokratie – die Herrschaft des Filzes
Nicht nur die Bildung Verfilzung ist zeitlich vor dem Wort Filz in übertragener Bedeutung bezeugt, auch die ungewöhnlich anmutende Wortbildung Filzokratie begegnet bereits in den 1950er Jahren in deutschsprachigen Texten. Bei Filzokratie handelt es sich um eine Wortschöpfung, die vermutlich auf den Journalisten und Begründer des Berliner Tagesspiegels Erik Reger zurückzuführen ist. Dass das Wort von Reger mit Bezug auf verfilzte Verbindungen von Politik und Wirtschaft im Berlin der 1950er Jahre geprägt wurde, wird des Öfteren thematisiert (1958, 1969).
Die Besonderheit der Bildung liegt bei Filzokratie in der Kombination aus einheimischer Basis und dem Lehnelement -(o)kratie. Gebildet ist das Wort in Anlehnung an auf das Griechische zurückgehende Bildungen wie Demokratie oder Aristokratie. Der Bestandteil -kratie kennzeichnet eine bestimmte Herrschafts- bzw. Gesellschaftsform, mit der Neubildung Filzokratie ist also eine Herrschaft des Filzes
gemeint: Die Bildung Filzokratie wird ebenso wie die etwa zeitgleich bezeugte Personenbezeichnung Filzokrat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebraucht, wenn spöttisch-abwertend über den auf VetternwirtschaftWGd beruhenden übermäßigen Einfluss bestimmter Gruppierungen in der Politik und innerhalb von Parteien gesprochen wird. Im Unterschied zu vergleichbaren (Gelegenheits-)Bildungen wie Bankokratie, Bonzokratie oder Fernsehkratie hat sich der Ausdruck Filzokratie, der im Jahr 1980 in den Rechtschreib-Duden aufgenommen wurde (vgl. 1980), in der deutschen Sprache etabliert und ist auch gegenwärtig geläufig (1995, 2001).
Literatur
AWB Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings. Bd. 1 ff. Berlin 1968 ff. (saw-leipzig.de)
BMZ Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearb. von Müller, Wilhelm /Friedrich Zarncke. Bd. 1–3. Leipzig 1854–1866. (woerterbuchnetz.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
EWA Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1 ff. Göttingen u. a. 1988 ff. (saw-leipzig.de)
HdA Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Im Auftrag des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin hg. von Wolfgang Benz. Bd. 1–8. München u. a. 2008–2015.
Lexer Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alphabethischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke-Müller-Zarncke. Bd. 1–3. Leipzig 1872–1878. (woerterbuchnetz.de)
Meineke 1995 Meineke, Eckhard/Johanna Banck: Filz. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bearbeitet von Rosemarie Müller. Hrsg. von Heinrich Beck, Dieter Geuenich und Heiko Steuer. Begründet von Johannes Hoops. 2. vollständig neubearbeitete und stark erweiterte Aufl. Bd. 9. Berlin/New York 1995, S. 44–46.
RGA Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bearbeitet von Rosemarie Müller. Hrsg. von Heinrich Beck, Dieter Geuenich und Heiko Steuer. Begründet von Johannes Hoops. 2. vollst. neubearb. und stark erw. Aufl. Bd. 1–35 und 2 Register-Bände Berlin/New York 1973–2008.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Filz, Filzokratie, verfilzen, Verfilzung.