Wortgeschichte
Enkeltauglich. Ein Neologismus der 2000er Jahre
Das Adjektiv enkeltauglich ist ein Neologismus der 2000er Jahre (vgl. auch Neologismenwb. unter enkeltauglich). Seither kann es als Synonym für zukunftsfähigWGd verwendet werden und hat die Bedeutung mit Blick auf künftige Generationen nachhaltig
. Seltener wird es auch ohne den Bedeutungsaspekt nachhaltig
im Sinne von umweltverträglich, ökologisch
verwendet (2017). Gebildet wird es zum Substantiv Enkel mit dem reihenhaft vorkommenden Kompositionselement -tauglich, dessen Bedeutung sich mit für etwas geeignet
umschreiben lässt. Ungewöhnlich ist, dass bei der Bildung enkeltauglich eine Personenbezeichnung als Erstglied vorliegt.
Geprägt wurde das Wort aller Wahrscheinlichkeit nach 2001 von Nichtregierungsorganisationen im Rahmen des vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projektes Vernetzung der Nichtregierungsorganisationen im Bereich Kind-Gesundheit-Umwelt
(2001). In den 2000er Jahren wird das Wort zunächst jedoch nur vereinzelt und mit eher unspezifischer Semantik verwendet (2005). Seit den 2010er Jahren steigt die Bezeugungsfrequenz (2014, 2015, 2017, 2020), 2016 scheint das Wort so etabliert zu sein, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel es in einer Rede im Rahmen der 16. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung verwendet (2016).
Enkeltauglicher Lebensstil: Vorläufer im Ökologiediskurs der 1980er Jahre
Vorläufer der Wortprägung lassen sich allerdings bis in den Ökologiediskurs der 1980er Jahre zurückverfolgen: Seit dieser Zeit treten die Wörter Enkel, Welt, lebenswert und erhalten vermehrt zusammen auf (1983, 1995, 2000, 2003). Auffallend ist in diesen gemeinsamen Vorkommen zunächst, dass mehrheitlich die Welt
zur zentralen Bezugsgröße wird (so in den Belegen 1983, 2000, 2003). Zu verstehen ist diese Bezugnahme im Kontext der im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts entstehenden Semantik der Einen Welt
(Kuchenbuch 2012, 162), mit der sich seither der doppelte Sinngehalt der one world to share
(im Sinne von: eine gemeinsame Welt) und der one world only
verbindet (vgl. Kuchenbuch 2012, 161). In dieser Zeit wird die Eine Welt
zu einer wichtigen Bezugsgröße lokaler Handlungsimperative und -muster bestimmter sozialer Gruppierungen in der westlichen Gesellschaft (vgl. Kuchenbuch 2012, 161). Es entstehe, so Kuchenbuch, die Bereitschaft, den individuellen, lokalen Alltag zur sinnstiftenden Größe Welt
in Bezug zu setzten. In abgewandelter Weise präge die Semantik der Einen Welt
dann bis in die Gegenwart hinein Lebensentwürfe: Dass die Erhaltung des Planeten, globale Gerechtigkeit und Alltagshandeln zusammenhinge, sei heute – insbesondere als Imperativ, nachhaltig zu agieren – eine bewusstseinsbestimmende Gewissheit
(Kuchenbuch 2012, 162).
Genau diesen Handlungsimperativ bzw. Handlungsanweisungen enthält nun auch die Verbindung, den Enkeln, die hier zur Personifikation der Zukunft werden, die Welt lebenswert zu erhalten (1983, 2000), mithin nachhaltigWGd bzw. zukunftsfähigWGd zu handeln. Hieran anschließend verdichtet sich die Vorstellung vom nachhaltigen Handeln, die sich zunächst in der Verbindung den Enkeln eine lebenswerte Welt erhalten offenbart, schließlich auf Wortebene im Neologismus enkeltauglich:
Mit dem BegriffEnkeltauglichkeitwollen wirNachhaltigkeitplastisch und begreifbar werden lassen. Schon in der Agenda 21 legte die UNO-Konferenz 1992 fest, dass im Sinne der Nachhaltigkeit die einzelnen Staaten weder auf Kosten der Natur, noch auf Kosten zukünftiger Generationen leben sollen. [2001]
Im Übrigen fällt auf, dass der Erstbeleg zugleich eine metasprachliche Äußerung – wollen wir
– enthält, mit der die eigene Wortprägung kommentiert wird. Diese lässt zugleich Rückschlüsse auf die Motivation für die Wortprägung zu: Wenn formuliert wird, dass Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit
plastisch und begreifbar werden lassenplastisch und begreifbar
werden soll, dann drückt sich hier die Vorstellung einer im Kontext der allgemeinen Ziele der NGO stärkeren Wirkmächtigkeit durch die Verwendung eines weniger abstrakten Wortes aus.
Deontische Bedeutungskomponenten
Entsprechend hat auch das Wort enkeltauglich – im Übrigen analog zu Wörtern wie UmweltWGd und zukunftsfähig seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert1) – deontische Bedeutungskomponenten, sprich es enthält eine implizite Handlungsaufforderung, hier die der nachhaltigen Lebensgestaltung. Diese Handlungsaufforderung verdichtet sich nicht nur in der Wortverbindung enkeltauglicher Lebensstil (2019a, 2019b, siehe auch LebensstilWGd), sondern manifestiert sich auch beispielsweise in der Verwendung des Wortes in Buchtiteln aus dem Bereich der Ratgeberliteratur für nachhaltige Lebensgestaltung, so z. B. Enkeltauglich gärtnern. Gut für Klima, Mensch, Natur
(Tinz 2020) oder So klappt’s mit dem Welt-Retten. Kleine Veränderungen mit großer Wirkung: das offizielle Ideenbuch zur Initiative
(Haider-Wallner/Haider 2020).Enkeltauglich Leben
: Kompakt-Ratgeber
Anmerkungen
1) Vgl. zu Umwelt als deontischem Wort Hermanns 1991.
Literatur
Haider-Wallner/Haider 2020 Haider-Wallner, Anja/Mona Haider: So klappt’s mit dem Welt-Retten. Kleine Veränderungen mit großer Wirkung: das offizielle Ideenbuch zur Initiative „Enkeltauglich Leben“: Kompakt-Ratgeber. Murnau a. Staffelsee 2020.
Hermanns 1991 Hermanns, Fritz: „Umwelt“: Zur historischen Semantik eines deontischen Wortes. In: Dietrich Busse (Hrsg.): Diachrone Semantik und Pragmatik. Untersuchungen zur Erklärung und Beschreibung des Sprachwandels. Tübingen 1991, S. 235–257.
Kuchenbuch 2012 Kuchenbuch, David: „Eine Welt“. Globales Interdependenzbewusstsein und die Moralisierung des Alltags in den 1970er und 1980er Jahren. In: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 158–184.
Neologismenwb. Leibniz-Institut für deutsche Sprache (IDS): Neologismenwörterbuch. (owid.de)
Tinz 2020 Tinz, Sigrid: Enkeltauglich gärtnern. Gut für Klima, Mensch, Natur. Darmstadt 2020.
Belegauswahl
Die Zeit, 26. 8. 1983, Nr. 35. [DWDS] (zeit.de)Verträgt sich die Weltuntergangs-Prophetie mit dem ökologischen Optimismus, der diese Welt für die Enkel lebenswert erhalten will?
Berliner Zeitung, 11. 11. 1995. [DWDS]„Berlin steht am Scheideweg: Entweder weiter so in die umweltpolitische Steinzeit, oder wir schaffen eine Metropole, die auch noch für unsere Enkel lebenswert ist, kurz, eine zukunftsfähige Stadt“, sagte BUND-Vorsitzender Hubert Weinzierl gestern in Berlin und legte ein Paket mit Vorschlägen für einen ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft auf den Tisch.
N. N.: Regierungserklärung Schröders; Feier zum 10. Jahrestag der Wiedervereinigung; antisemitisch motivierte Anschläge; Kontroverse über NPD-Verbot; neuer CDU-Generalsekretär; Expo beendet. In: Archiv der Gegenwart, 2001 [zuerst 2000], S. 44503. [DWDS]Die Politik und die Bürger müssen große Anstrengungen unternehmen, um eben nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und Enkelkinder eine lebenswerte Welt zu erhalten.
Netzwerk Kindergesundheit und Umwelt: Kinderagenda für Gesundheit und Umwelt 2001. Das Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit der Bundesministerien für Gesundheit und Umwelt enkeltauglich machen. In: Netzwerk Kindergesundheit und Umwelt (Hrsg.): Kind – Umwelt – Gesundheit. Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen mit Kinderagenda für Gesundheit und Umwelt 2001. Vorschläge für eine enkeltaugliche Politik. Bremen [2001], S. 45–49, hier S. 45.Enkeltaugliche Zukunft
Die unterzeichnenden Nichtregierungsorganisationen fordern ein konsequent-präventives und damit enkeltaugliches Handeln für jede Kinder- und Jugendgeneration. Adressaten sind Entscheidungsträger in allen gesellschaftlichen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft, Umwelt und Gesundheit. Mit dem Begriff „Enkeltauglichkeit“ wollen wir „Nachhaltigkeit“ plastisch und begreifbar werden lassen.
Schon in der Agenda 21 legte die UNO-Konferenz 1992 fest, dass im Sinne der Nachhaltigkeit die einzelnen Staaten weder auf Kosten der Natur, noch auf Kosten zukünftiger Generationen leben sollen.
Der Tagesspiegel, 9. 8. 2003. [DWDS]Es gibt ein ausgeprägtes Wissen und ein ausgeprägtes Gefühl, den Planeten im Interesse der eigenen Kinder oder Enkel lebenswert zu erhalten.
Berliner Zeitung, 10. 10. 2005. [DWDS]Die Sängerin versucht mit ihrer Katja-Ebstein-Stiftung (erklärtes Ziel eine „enkeltaugliche Zukunft“) die gesundheitliche, soziale oder materielle Not von Kindern zu lindern.
Die Zeit, 30. 12. 2014, Nr. 01. [DWDS] (zeit.de)Wie wird der Kapitalismus „enkeltauglich“ umgekrempelt worden sein?
Die Zeit, 8. 3. 2015 (online). [DWDS] (zeit.de)„Es geht um eine enkeltaugliche Zukunft für Kinder und Jugendliche und es ist endlos, was man daran arbeiten muss“, sagt sie über ihre Arbeit.
Merkel, Angela: Rede von Bundeskanzlerin Merkel im Rahmen der 16. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung am 31. Mai 2016. In: Rede von Angela Merkel, 31. 5. 2016. [DWDS] (bundesregierung.de)Das Nachhaltigkeitsprinzip stellt uns deshalb vor die Frage: Sind unsere Entscheidungen enkeltauglich oder zumindest kindertauglich?
Die Zeit, 21. 8. 2017, Nr. 34. [DWDS] (zeit.de)Anstatt sich zu fragen, wie ein enkeltaugliches Rentensystem konstruiert werden müsste, verstricken sich Linke und Rechte im anrollenden Abstimmungskampf lieber in unergiebige Ideologieduelle.
Enkeltauglich Das Mittelalter kehrt zurück // Waffel- Eck. In: Nürnberger Zeitung, 16. 11. 2019, S. 10. [IDS]Wir sind gespannt, wer als erster das Schulfach enkeltaugliche Landwirtschaft, enkeltauglicher Lebensstil, enkeltaugliches Leben fordert.
Stern Gesund leben, 1. 12. 2019, S. 3. [IDS]Und dass ein »enkeltauglicher« Lebensstil auch mit Humor zu verbinden ist, das mag ich an den Fridays-for-Future-Plakaten: »Klima ist wie Bier – wenn es zu warm wird, ist es Scheiße!«
Klöckner, Julia: Rede der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, beim Bundeswettbewerb Ökologischer Landbau. In: Rede von Julia Klöckner, 23. 1. 2020. [DWDS] (bundesregierung.de)Losgelöst von Ihren individuellen herausragenden Leistungen – zu denen wir später kommen – möchte ich deshalb etwas anderes herausstellen. Und das ist Ihre Kontinuität, Ihre Stetigkeit, Ihr enkeltaugliches Wirtschaften.