Wortgeschichte
Schutzgebiet in Kolonialdiskurs und Ökologiediskurs
Es sind in erster Linie Umweltkontexte, in denen das Wort Schutzgebiet, hier im Sinne von Natur- oder Landschaftsschutzgebiet
, heute in Erscheinung tritt (vgl. exemplarisch die Belege aus dem DWDS Zeitungskorpus Berliner Zeitung für die Jahre 2000 bis 2005), z. B. als Wal- oder Vogelschutzgebiet, Wasser- oder Waldschutzgebiet. Daneben werden auch solche Gebiete, die zum Schutz vor etwas – zum Beispiel vor Seuchen – amtlich abgeriegelt werden
, als Schutzgebiet bezeichnet (1998).
Der Aufschwung des Wortes, das bis in die 1880er Jahre nur sporadisch verwendet wurde, hängt jedoch zunächst vor allem mit der Zeit des deutschen Kolonialismus und der Bezeichnung der Kolonien als deutsche Schutzgebiete zusammen. Wenige Jahre später geht das Wort auch in den neu entstehenden Heimat- und Naturschutzdiskurs ein. Damit erfolgt die Wortprägung Naturschutzgebiet am Ende des 19. Jahrhunderts in Diskursen, die ihrerseits wenigstens in Teilen durch nationale bis völkische Ideen geprägt waren. Vermutlich steht die Tatsache, dass zu dieser Zeit auch das Wort Schutzgebiet verwendet wird, damit in Zusammenhang.
Wortprägung und frühe Verwendungen
Ursprünglich bezieht sich Schutzgebiet als Kompositum aus Schutz und Gebiet auf ein Gebiet, das unter dem Schutz eines politischen oder militärischen Funktionärs
im Allgemeinen steht. In dieser Bedeutung steht Schutzgebiet zunächst noch dem Wort Protektorat nahe. So verwendet der Althistoriker Barthold Georg Niebuhr das Wort Anfang des 19. Jahrhunderts in seiner Römischen Geschichte im Zusammenhang mit einem Gebiet, das unter dem Schutz eines Tribuns stehe (vgl. 1812). Es ist anzunehmen, dass die Wortprägung auf diese Zeit zurückzuführen ist, wenngleich das Wort selbst insgesamt wohl eher selten Verwendung findet; das Deutsche Textarchiv etwa verzeichnet vor 1889 lediglich einen Beleg (1812, Abrufdatum 25. 7. 2019).
Bismarck, der deutsche Kolonialismus und die Neubesetzung des Wortes Schutzgebiet
Noch im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wird Schutzgebiet bestimmt als ein gebiet das eines fürsten oder landes schutze untersteht
(1DWB 15, 2134). Der ohne Beleg im neunten Band des Deutschen Wörterbuchs erschienene Artikel blendet – aus Gründen, die mit konzeptionellen Vorentscheidungen zu tun haben – damit im Jahr 1899 allerdings zugleich eine Bedeutung aus, die sich in der deutschen Sprache im ausgehenden 19. Jahrhundert mit dem Wort Schutzgebiet verbindet (vgl. hierzu auch Schulz 2015, 60–61), nämlich jene, die auf die (deutschen) Kolonien im Speziellen abhebt (1892, 1913). Diese Neubesetzung des Wortes ist auf die Anfänge der deutschen Kolonialerwerbungen zurückzuführen: Vor dem Hintergrund der zunächst ablehnenden Haltung Bismarcks gegenüber dem Kolonialismus wurden ab 1884 Erwerbungen deutscher Kaufleute in Übersee unter den Schutz
des Deutschen Reiches gestellt. Über sogenannte staatliche Schutzbriefe
wurde privaten Organisationen Handel und Verwaltung der überseeischen Gebiete übertragen. Die Bezeichnung der Kolonien als deutsche Schutzgebiete ist auch von dieser Entwicklung her zu verstehen. Mit der Besetzung des Wortes Schutzgebiet für die deutschen Kolonien ist zugleich eine semantische Verengung gegenüber der früheren Verwendung im Sinne von Protektorat
verbunden: Kolonie und damit auch die Bezeichnung deutsche Schutzgebiete impliziert die vollständige politische und kulturelle Unterwerfung der bezeichneten überseeischen Gebiete. Protektorat hingegen ist deutlich älter (1682), nicht auf überseeische Gebiete beschränkt (1840) und verweist in neuerer Bedeutung völkerrechtlich auf ein teilsouveränes Gebiet (1920, 2000). Die Verwendung des Wortes Schutzgebiet in der Bedeutung von deutsche Kolonie
steigt vor dem Hintergrund der realpolitischen Konstellationen ab den 1880er Jahren deutlich an, bevor sie in dieser Bedeutung dann wieder rückläufig ist.
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Die Übertragung des Wortes Schutzgebiet auf überseeische Territorien schließt zunächst an die Bedeutung von Gebiet, das unter dem Schutz eines politischen oder militärischen Funktionärs steht
, an. In dieser Bedeutungstradition bezieht sich der Schutzaspekt insbesondere auf den deutschen Handel. Zugleich verbinden sich bei dem Eingang in das neue Umfeld des Kolonialdiskurses aber auch neue Bedeutungsaspekte mit dem Wort. So steht die Wahl des Wortes zum einen wenigstens zu Beginn der deutschen Kolonialpolitik für ein bestimmtes Konzept des überseeischen Engagements, das Bismarck verfolgte (vgl. 1920), genauer eines, das an der englischen Handelsgesellschaft British East India Company orientiert war (vgl. Conrad 2008, 23). Bismarck sprach auch deswegen explizit von Schutzgebieten, um das territoriale Ansprüche und staatliches Engagement implizierende
KolonieWGd
zu vermeiden (vgl. Conrad 2008, 23). Zum anderen impliziert die Übertragung des Wortes auf überseeische Territorien und ihre Bewohner zugleich eine (vermeintliche) Schutzbedürftigkeit indigener Bevölkerungen: Noch deutlicher ist das Bestreben, die Eingeborenen der europäischen
(1898) Insofern ist das Wort Schutzgebiet in diesem Kontext zugleich Ausdruck einer eurozentrischen Perspektive und kolonialistischen Haltung: In ihm verbinden sich eine dezidiert abwertende Haltung gegenüber außereuropäischen Völkern und die Überzeugung der eigenen kulturellen Höherentwicklung, aus der Herrschaftsansprüche abgeleitet werden (vgl. auch 1898). In der Neubesetzung des Wortes Schutzgebiet im ausgehenden 19. Jahrhundert verdichten sich insofern jene für den Kolonialdiskurs im Allgemeinen charakteristischen diskursiven Strategien der Repräsentation des Anderen über Verfahren der Alteritätskonstruktion, der Stereotypisierung und der Abwertung, die auf Vorstellungsmuster und Darstellungsweisen des Fremden zurückgreifen, die bis in die Antike zurückreichen und die gleichermaßen der Selbstprofilierung und der Herrschaftslegitimation des Schutzgebiete
vor dem Untergang zu schützen, in der Kongoakte von 1885 zum Ausdruck gebracht.Westens
gegenüber dem Rest
der Welt dienen, wie sie die Wahrnehmung des Anderen bereits vorstrukturieren (vgl. hierzu im Detail Said 1978 und Hall 1994). Dies ist zugleich der Grund, weshalb die Verwendung von Schutzgebiet im Sinne von ehemalige deutsche Kolonien
zwar bis heute weiterlebt, allerdings als nicht mehr politisch korrekt gilt und daher in der Regel explizit als historische Bezeichnung für die deutschen Kolonien markiert wird (1999).
Vom Schutzgebiet zum Naturschutzgebiet: Übertragung auf neue Bereiche
In Natur- und Umweltkontexten meint Schutzgebiet einen Bereich, der für einen bestimmten Zweck vorgesehen ist oder unter besonderem Schutz steht, weshalb anderweitige Nutzung von staatlicher Seite reguliert oder ausgeschlossen wird
. Bereits der – noch recht unspezifische – DTA-Erstbeleg für ein im weiteren Sinn auf die Natur bezogenes Schutzgebiet innerhalb des eigenen Staatsgebietes aus dem Jahr 1894 verdeutlicht nicht nur, dass Naturschutzgebiet sich aus einer allgemeineren Verwendung von Schutzgebiet in Bezug auf die Natur heraus entwickelt, sondern auch, dass das Wort zugleich an den Rechtsdiskurs gebunden ist (vgl. DTA Erstbeleg 1894 für Schutzgebiet in Kontext des Naturschutzes unter Bezugnahme auf das Gesetz über die Bewirtschaftung der Privatwaldungen vom 27. 4. 1854). Das gilt auch und gerade für das am Beginn des 20. Jahrhunderts sich ausbildendende Wort NaturschutzgebietWGd im engeren Sinn (1926). Naturschutzgebiet hat im Verlauf des 20. Jahrhunderts eine stete Bedeutungsveränderung durchlaufen: Es entsteht zunächst im Umfeld der konservativen Kulturkritik der Jahrhundertwende und zielt zu Beginn auf die Erhaltung der vaterländischen Besitztümer
(1897) ab. Damit findet die Übertragung des Wortes Schutzgebiet auf den Bereich des Naturschutzes zugleich in einem Umfeld statt, das zumindest in Teilen durch nationales bis völkisches Ideengut geprägt ist (vgl. hierzu im Detail den Artikel NaturschutzWGd). Zum NS-Wortschatz im engeren Sinn gehört Naturschutzgebiet nicht, wird aber gleichwohl vereinnahmt (1935; vgl. auch BfN 2019). Heute wird Naturschutzgebiet im Kontext von Ökologiediskursen verwendet.
Literatur
BfN 2019 Bundesamt für Naturschutz: Hintergrundinfo. 100 Jahre Naturschutz als Staatsaufgabe (1906–2006). o. D. (bfn.de)
Conrad 2008 Conrad, Sebastian: Deutsche Kolonialgeschichte. München 2008.
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
Hall 1994 Hall, Stuart: Der Westen und der Rest. Diskurs und Macht. In: Ders.: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hrsg. und übers. von Ulrich Mehlem. Hamburg 1994, S. 137–179.
Said 1978 Said, Edward W.: Orientalism. London 1978.
Schulz 2015 Schulz, Matthias: Quellen-Fragen. Überlegungen zur Korpusfundierung einer Kolonialsprach-geschichte. In: Daniel Schmidt-Brücken et al. (Hrsg.): Koloniallinguistik. Sprache in kolonialen Kontexten. Berlin/Boston 2015, S. 57–89.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Schutzgebiet.