Wortgeschichte
Herkunft und frühe Entlehnungsgeschichte
Das Kollektivum lateinisch plēbs (feminin) bezeichnete ursprünglich die freien Bürger der Stadt Rom, die nicht zum Adel (dem Patriziat) gehörten. Davon abgeleitet ist lateinisch plēbēius für einen Angehörigen dieser Schicht (vgl. auch OLD 1389; s. auch PatrizierDWDS). Plebs tritt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in deutschen Texten auf, und zwar zunächst mit deutlichem Bezug auf das alte Rom und somit als Zitatwort (Exotismus) (1731). Schon in diesen frühen Verwendungen werden allerdings auch schon Analogien zwischen römisch-antiker und zeitgenössischer Gesellschaftsordnung hergestellt, so dass z. B. auch von der Plebs in Venedig oder Nürnberg die Rede sein kann (1733a, vgl. auch 1744).
Betrachtet man die Entlehnungsgeschichte des Wortes, so fällt auf, dass es bereits in den Belegen des 18. Jahrhunderts häufig stark abwertend verwendet wird. Dieser abwertende Gebrauch ist historisch nur bedingt zutreffend, da die römische Plebs zwar im Gegensatz zum Adel stand, zeitweise aber z. B. auch Zugang zum Senat sowie zu wichtigen Ämtern hatte und somit nicht durchweg mit der verachtete Unterschicht gleichzusetzen ist (vgl. auch 1831a sowie 2Pauly unter Plebs). Im Deutschen wird das Wort in jedem Fall schon früh in das Feld der abwertenden Unterschichtenbezeichnungen integriert, das im 18. und 19. Jahrhundert mit Wörtern wie MobWGd, PöbelWGd oder PackWGd bereits als relativ reichhaltig und differenziert gelten konnte (vgl. 1889).
Grammatische Integration: Vom Femininum zum Maskulinum
Auf Seiten der Grammatik zeigt sich diese Integration dadurch, dass das Wort häufig und zur Gegenwart hin zunehmend als Maskulinum verwendet wird (so bereits 1830 und 1902), und zwar wohl in Anlehnung an das bedeutungsverwandte der Pöbel (vgl. auch Pfeifer unter PlebsDWDS. Die Loslösung vom lateinischen Ursprung bezeugen auch Verwendungen, in denen das Wort als Pluralbildung interpretiert wird, so offenbar in einem Beleg von 1831b). Das feminine Genus hält sich allerdings noch lange, und zwar nicht nur – wie zu erwarten – bei Bezugnahmen auf Verhältnisse im alten Rom, sondern auch darüber hinaus (1889, 1918a, 1933, 1960). Der Plebs ist dabei tendenziell umgangssprachlich, die Plebs lässt hingegen klassische Bildung durchscheinen und wird daher gelegentlich auch als geziert kritisiert (1931).
Semantische Spiegelungen
Plebs ist eine deutlich abwertende Bezeichnung für die Unterschicht einer Gesellschaft bzw. für Menschen, deren Verhalten als in irgendeiner Weise typisch für die Unterschicht charakterisiert werden soll: Die Plebs wird schon seit den Belegen des 18. Jahrhunderts als ungläubig, irrational oder naiv dargestellt (1733b, 1889, 2004), sie besitzt auch keinen Geschmack (1918a) und neigt zu Aufruhr und Empörung (1902, 1931).
Auch wenn Plebs die geläufigen Stereotypen aufruft, die auch sonst mit Unterschichtenbezeichnungen verbunden sind, so unterscheidet es sich doch von vergleichbaren Ausdrücken in einem besonderen Punkt. Die Abwertung der gemeinten Personen durch ein lateinisches Wort, das klassische Bildung exemplarisch vorführt, wertet den Sprecher gleichzeitig auf; die Abwertung auf der einen korrespondiert somit mit einer Aufwertung auf der anderen Seite. Hierdurch wird gleichzeitig maximale Distanz zwischen dem Sprechenden und den Angesprochenen geschaffen.
Die Bedeutungsverhältnisse sind im Einzelnen aber noch verwickelter. Der Ausdruck Plebs wird in vielen Belegen jemandem in den Mund gelegt oder es wird angenommen, dass jemand andere Personen als Plebs ansieht. So wird im Beleg 1900 der Aristokratie unterstellt, dass sie auf uns bürgerlichem Plebs herabblickt, und im Beleg im Beleg 1970 ist von der Dienerschaft eines Schlosses die Rede, die das Publikum offenbar sehr herablassend als Plebs behandelt (vgl. auch 1902). Hier geht es somit weniger um eine Abwertung der als Plebs bezeichneten Personen, sondern vielmehr – gewissermaßen spiegelbildlich – um eine Abwertung der Sprechenden: Wer jemanden als Plebs bezeichnet oder ansieht, charakterisiert sich selbst vielleicht einerseits als lateinkundig und gebildet, andererseits aber vor allem auch als arrogant und abgehoben. In diesen Gebräuchen wird somit, zugespitzt formuliert, eine Abwertung des Sprechenden über eine diesem unterstellte Abwertung des Bezeichneten konstruiert, die dann auf den Sprechenden als Arroganz zurückfällt.
Die Personenbezeichnung Plebejer
Neben der Kollektivbezeichnung Plebs wird auch die Individuenbezeichnung Plebejer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus dem Lateinischen entlehnt. Grundlage ist hier das lateinische Adjektiv plēbēius zum (einfachen) Volk gehörig, nicht patrizisch, einfach, gering
bzw. dessen Substantivierung mit der Bedeutung Angehöriger der Plebs
(vgl. Pfeifer unter PlebejerDWDS). Ähnlich wie Plebs wird auch Plebejer zunächst als Exotismus zur Bezeichnung antiker Verhältnisse verwendet (1772). Seit der Zeit um 1800 wird es dann auch auf zeitgenössische Gegebenheiten angewandt, hier dann mit einem deutlich abwertenden Bedeutungsgehalt (1795, 1803, 1839, 1918b, 1990). Die semantischen Spiegelungseffekte, die für das Plebs charakteristisch sind, treten bei der Individuenbezeichnung ebenfalls auf (z. B. 1975), sind offenbar aber weniger ausgeprägt.
Die Plebejer proben den Aufstand
Das 1966 uraufgeführte gleichnamige Stück von Günter Grass spielt mit mehrfachen Überblendungen, so zwischen Theaterwirklichkeit und geschichtlicher Realität sowie zwischen antiken Verhältnissen (gespiegelt in Shakespeares Coriolan
) und den Ereignissen des 17. Juni 1953; hierdurch werden auch das Volk der DDR und die Plebejer der Antike bzw. in Shakespeares Antikenstück in eine Beziehung gesetzt. Sprachgeschichtlich folgenreich ist hier vor allem der Titel des Stücks, der sich zu einer festen Verbindung entwickelt: den Aufstand proben ist von hier ausgehend zu einer festen Verbindung geworden, die sich von ihrem Ausgangspunkt völlig entkoppelt hat .
Das Adjektiv plebejisch
Das Adjektiv plebejisch erhält, nach seiner Verwendung als Exotismus in Texten mit Bezug zur Antike, um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Bedeutung roh, ungehobelt
, die es bis heute hat (1851). Die abwertende Verwendung ist einerseits durch einen entsprechenden Gebrauch des Substantivs gestützt, andererseits hat auch die lateinische Vorlage bereits eine Bedeutung roh, ungehobelt
herausgebildet, die hier möglicherweise Vorbild war (zu plēbēius vgl. OLD 1389).
Literatur
OLD Oxford Latin Dictionary. Ed. by P. G. W. Glare. Oxford u. a. 2000.
2Pauly Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Hrsg. von Hubert Cancik, Helmuth Schneider und Manfred Landfester. Bd. 1–16, Supplementbd. 1–4. Stuttgart 1996–2008 (Online-Ausgabe Brill’s New Pauly). (han.sub.uni-goettingen.de)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Plebs, Plebejer, plebejisch.