Wortgeschichte
Das wankelmütige Volk
: Zum lateinischen Ursprung
Mob ist eine Entlehnung aus dem Englischen, die vereinzelt schon ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, verstärkt dann aber nach 1840 in deutschen Texten greifbar wird (1747, 1795, 1840; vgl.
2DFWB, online. Das englische Wort selbst hat eine längere Geschichte: Es stellt eine Kürzung des Substantivs mobile dar, das wiederum aus der lateinischen Verbindung mobile vulgus hervorgegangen ist, die ab ca. 1600 in englischen Texten gebräuchlich war (dazu 3OED
unter
mob
n. 2 und mobile). Die ursprüngliche Bedeutung ist somit wohl wankelmütiges, erregbares Volk
. Damit schließt das Wort an das schon auf die Antike zurückgehende Stereotyp von der irrationalen, schwankenden und daher leicht verführbaren Volksmasse an (dazu OLD, 1122
unter uulguslat. 5).
Mob auf dem Weg ins Deutsche
In deutschen Texten wird Mob zunächst ausschließlich mit Bezug auf Verhältnisse in Großbritannien bzw. den Vereinigten Staaten verwendet (1747, 1795, 1840, 1855 sowie auch mehrfach in der breit rezipierten Zeitschrift Gartenlaube, vgl. 1854a). Spätestens seit den 1870er Jahren wird das Wort zunehmend aus seinem Herkunftskontext herausgelöst und nicht mehr auf spezifisch englisch-amerikanische Verhältnisse angewandt (1871, 1877, 1889). Das Wort Mob ist damit ein gutes Jahrhundert nach seinem ersten Auftreten vollständig ins Deutsche integriert.
Semantische Übernahmen – semantische Übertragungen
Schon in den frühen, noch ausschließlich auf den angloamerikanischen Raum bezogenen Verwendungen tritt Mob in den beiden wichtigsten Bedeutungen auf, die das Wort auch im Englischen hat: aufgebrachte, gewaltbereite, gewalttätige Menschenmenge
sowie ungebildete, verwahrloste, anonyme Masse der Unterprivilegierten innerhalb einer Gesellschaft
(vgl.
1897, 1919, 1934
bzw.
1871, 1877, 1889). Im ersten Fall handelt es sich um ein Konkretum: Der Mob tritt hier als gewalttätig wütende Menschenmenge zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort in Erscheinung. Die zweite Bedeutung ist abstrakter: Mit Mob wird hier – durchaus mit verächtlicher Note – eine ganze gesellschaftliche Schicht bezeichnet, die sich typischerweise als randalierende Masse manifestiert (dazu etwa 1871). Diese beiden gleichermaßen abwertenden Wortgebräuche halten sich bis in die Gegenwart, wobei der erste im 20. Jahrhundert offenbar wesentlich häufiger ist.
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Auffallend ist, dass sich in den ersten deutschen Belegen eine Bedeutung findet, die das 3OED
unter
mob
n. für das englische Substantiv nicht nachweist, nämlich die Verwendung des Wortes als Ereignisnomen im Sinne von Zusammenrottung einer (gewaltbereiten) Menschenmenge
(s.
1795, 1847; wohl auch schon 1747). Eine Erklärungsmöglichkeit wäre, dass das OED den historischen Sprachgebrauch nicht vollständig abbildet (ein vom Substantiv abgeleitetes Verb mobengl.
sich zusammenrotten
ist freilich dokumentiert, s.
3OED
unter
mob
v.). Denkbar ist aber auch, dass die ersten deutschen Autoren, die das Wort verwenden, es zumindest partiell missverstanden haben. Dieser Annahme wäre freilich entgegenzuhalten, dass Nicolaus von Zinzendorf, von dem der früheste bisher greifbare Beleg stammt, selbst Nordamerika bereist und auch einige Zeit in London gelebt hat (s.
ADB 45, 344–353, online). Dies macht zumindest in seinem Fall ein bloßes Missverständnis unwahrscheinlich.
Eine ähnliche Schwierigkeit stellt sich für die Verbindung süßer Mob (z. B.
1866, 1874 ). Dabei handelt es sich offenbar um eine wörtliche Übersetzung von englisch swell mob, das allerdings Bande von Taschendieben in vornehmer Verkleidung bedeutet
(3OED s. v. swell). Die beiden – schwer zu interpretierenden – deutschen Belege sind aber kaum so zu verstehen; hier liegt eher eine Bedeutung Hochstapler, vornehm wirkende, aber im Grunde sozial wenig angesehene Personengruppe
vor.
Schon relativ kurz nach der vollständigen Integration des Wortes um die Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sich auch bereits eigenständige semantische Weiterentwicklungen innerhalb des Deutschen erkennen. So wird Mob auch in übertragenem Sinne zur Herabsetzung von Gruppen verwendet, die eigentlich nicht der sozialen Unterschicht zuzurechnen sind, die aber als niveaulos und enthemmt charakterisiert werden sollen. Als Mob werden dann gerade solche Gruppen abqualifiziert, die man sonst als intellektuell
bezeichnen würde: der theologische, politische, ökonomische, literarische Mob (1865b, vgl.
1910), der lesende Mob (1909), der immatrikulierte Mob (1968 für die protestierenden Studenten in der Springer-Presse
).
Die deontische Bedeutungskomponente von Mob
Charakteristisch für die Semantik von Mob ist nicht allein eine starke Abwertung der so bezeichneten Gruppe, sondern auch eine sog. deontische Bedeutungskomponente, d. h. eine implizite Handlungsaufforderung, die je nach Kontext mehr oder weniger gut greifbar ist (dazu grundlegend Hermanns 19891)). Wie diese deontische Komponente funktioniert, kann der Beleg 1939a zeigen:
Frl. Gump wurde vom Mob gestoßen und belästigt, Polizei stand unbewegt dabei.
Wenn, wie in diesem Fall, ein Mob wütet, dann wird die Erwartung geweckt, dass diesem Tun Einhalt zu gebieten ist. Dieser Normalitätserwartung entsprechend müsste also in der im Beleg geschilderten Situation die Polizei einschreiten. Das Wüten des Mobs ist dabei nicht nur brutal und verachtenswert, sondern zutiefst illegitim; die Gegenreaktion erscheint dagegen – gewissermaßen spiegelbildlich – als legitim. In dem zitierten Beleg besteht der Skandal gerade darin, dass der Erwartung der Mob handelt illegitim und es ist notwendig und auch legitim, sich ihm entgegenzustellen
nicht entsprochen wird – Polizei stand unbewegt dabei
.
Dieser deontische Bedeutungsaspekt des Wortes Mob kann auch propagandistisch genutzt werden. Dafür lässt sich die im NS-Sprachgebrauch verbreitete Verbindung der rote Mob anführen. Mit dieser Verbindung wird auf Kommunisten und Sozialdemokraten als Gegner in den Auseinandersetzungen der Weimarer Republik bzw. im spanischen Bürgerkrieg Bezug genommen (1930, 1937, 1939b). Durch die Verwendung des Wortes Mob wird einerseits die Gegenpartei diffamiert und delegitimiert, andererseits erscheint das eigene Verhalten in der Auseinandersetzung mit diesem Gegner als gerechtfertigt – allein daraus, dass eine Gruppe als Mob bezeichnet wird, geht hervor, dass diese bekämpft werden muss. Dadurch erscheint auch ein brutales Vorgehen als angemessen und legitim.
Anmerkungen
1) Die deontische Bedeutungskomponente ist laut Hermanns diejenige, kraft derer Wort oder Wendung bedeutet oder mitbedeutet, daß wir, in Bezug auf einen Gegenstand, etwas nicht dürfen, dürfen oder sollen
(Hermanns 1989, 75).
Literatur
ADB Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 1–56. Leipzig 1875–1912. (deutsche-biographie.de)
2DFWB Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache von Gerhard Strauß u. a. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1995 ff. (owid.de)
Hermanns 1989 Hermanns, Fritz: Deontische Tautologien. Ein linguistischer Beitrag zur Interpretation des Godesberger Programms (1959) der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. In: Josef Klein (Hrsg.): Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung. Opladen 1989, S. 69–152. (doi.org)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
OLD Oxford Latin Dictionary. Ed. by P. G. W. Glare. Oxford u. a. 2000.