Wortgeschichte
Anfänge
Elite stellt eine Entlehnung aus élitefrz. Auslese, Auswahl
dar, einer Bildung zum Verb élirefrz. auswählen
, das auf gleichbedeutendes *exlegerevulglat., ēligerelat. zurückgeführt wird (s. Pfeifer unter EliteDWDS). Ins Deutsche gelangt das Wort zunächst als Ausdruck des Militärs. Hier bezeichnet es eine kleine, für eine bestimmte Mission ausgewählte Gruppe besonders kampfstarker Soldaten
(1663), später dann auch eine besonders erfahrene, gut ausgebildete und schlagkräftige militärische Einheit
(1831, 1848a; vgl. auch GardeDWDS).
Elite als herausgehobene Gruppe
Seit den 1830er Jahren des 19. Jahrhunderts (vgl. 1834) findet sich Elite dann in der allgemeineren Bedeutung, die heute noch bekannt ist: kleine Gruppe von Menschen, die sich durch eine besondere Eigenschaft vor der großen Mehrheit auszeichnet
. Vermutlich ist diese Bedeutung ebenfalls aus dem Französischen übernommen (s. 1DHLF 1, 722). Je nachdem, worin diese besondere Eigenschaft besteht, kann man verschiedene Spielarten von Elite unterscheiden: a) kleine Gruppe von Menschen, die sich durch besondere Leistungen, Fähigkeiten vor der großen Mehrheit auszeichnet
, b) kleine Gruppe von Menschen, die sich durch ein besonderes Sozialprestige vor der großen Mehrheit auszeichnet
sowie c) kleine Gruppe von Menschen, die besondere Macht, besonderen Einfluss besitzt und sich dadurch vor der großen Mehrheit auszeichnet
. Kurz gesagt: Es gibt a) Leistungseliten, b) Standeseliten und c) Machteliten. Dass diese drei Formen der Elite nicht immer scharf zu trennen sind, dürfte auf der Hand liegen – Leistung, Macht und Prestige gehen nicht immer, aber doch häufig miteinander einher. Die für diesen Artikel ausgewerteten Belegstellen sind daher auch nicht immer eindeutig zuzuordnen.
Leistungseliten
Belege, in denen von Leistungseliten die Rede ist, finden sich seit den 1830/40er Jahren. Es gibt z. B. Eliten von Priestern, Intellektuellen, Künstlern (s. 1845, 1848c, 1856); auch die militärischen Eliten, von denen in den frühen Belegen die Rede war (1663, 1831), lassen sich diesem Konzept zuordnen. Gelegentlich ist auch von kleineren Gruppen die Rede, die für einen bestimmten Zweck und für eine begrenzte Zeit zusammengestellt werden: eine Elite deutscher Schauspieler, die auf Reisen geht (1913). In allen Fällen ist aus dem Beleg bzw. Belegkontext zu erschließen, dass die Personen, die als Elite beschrieben werden, besonders gut sind in dem, was sie tun. Die ursprüngliche Wortbedeutung Auslese, Auswahl
scheint hier somit noch durch.
Leistungseliten werden bis in die Gegenwart hinein breit thematisiert. Dabei tut sich ein ganzes Spektrum von Gebieten auf, in denen Leistungen erbracht bzw. Fähigkeiten gezeigt werden können. Hier wären beispielsweise, zusätzlich zu den oben genannten Leistungseliten, die geistige Elite (1919), die musikalische Elite (1922b), die Elite der Reiterinnen und Reiter (1932), die Elite von Wissenschaftlern und Technokraten (1961) zu nennen. Das Feld, auf dem die Referenten als die jeweils Besten anzusehen sind, wird meist als Adjektivattribut ausgedrückt (geistige, wissenschaftliche, musikalische Elite usw.); die größere Gruppe, aus der die Referenten als Elite hervorragen, erscheint oft als Genitivattribut bzw. präpositionales Attribut (Elite der Reiterinnen, Elite von Wissenschaftlern).
Macht- und Standeseliten
Im 19. Jahrhundert steht das Wort auch für eine kleine Schicht sozial Privilegierter, etwa die Oberschicht einer Stadt bzw. eines Landstrichs (1848b, 1896) oder für den Hochadel (1840). Eine spezifische Leistung oder Fähigkeit, die jemanden für diese Art von Elite qualifiziert, ist in den einschlägigen Belegen nicht erkennbar. Hier kann man folglich von einer Standeselite sprechen, wobei Standeszugehörigkeit und Herrschaftsausübung gerade in der immer noch stark hierarchisch strukturierten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts oftmals auf das Engste zusammengehören, so dass man sie nur schwer trennen kann (zur französischen Entsprechung zu dieser Verwendung s. TLFi unter élitefrz.). Dass die Standeselite durchaus nicht mit der Leistungselite zusammenfällt, wird gelegentlich auch von den Zeitgenossen kritisch angesprochen (1843). Die Tatsache, dass eine solche – zutiefst bürgerliche – Kritik laut wird, ist zugleich aber auch Beleg dafür, dass es ein gewissermaßen übergreifendes Eliten-Ideal gibt: Wer zur Standes- und Machtelite gehört, soll dafür auch durch eine positive Eigenschaft, vorzugsweise durch Bildung, qualifiziert sein.
Für die weitgehend egalitäre Gesellschaft des 20. Jahrhunderts spielt die Kategorie des Standes keine wesentliche Rolle mehr, und die Bedeutung der Standeseliten nimmt dementsprechend ab, auch wenn gelegentlich noch von der Elite der Gesellschaft als der Schicht mit dem höchsten Sozialprestige die Rede ist (1906, 1922b, 1926). Umso stärker profiliert sich im 20. Jahrhundert die Lesart herrschende Schicht innerhalb einer Gesellschaft, eines Staates
(1907a, 1939), d. h. die Lesart, die sich klar auf eine Machtelite bezieht. Damit entfernt sich das Wort auch von seiner ursprünglichen Bedeutung: Wenn Elite nun einfach die herrschende Klasse bezeichnet, tritt der Aspekt der Bestenauswahl, der fest zur Ausgangsbedeutung gehörte, zunehmend in den Hintergrund. Die Frage, warum jemand zur Machtelite zählt, ist damit nicht mehr relevant.
Die Wortgebräuche, die auf Machteliten referieren, sind oft an einem Attribut erkennbar, das den Herrschafts- oder Einflussbereich angibt (die agrarischen, politischen Eliten 1939, 1981), oder es ist schlicht von den herrschenden, führenden Eliten die Rede (1907b, 1929b). Vereinzelt ist die Bezugsgröße auch nicht die gesamte Gesellschaft, sondern eine etwas kleinere Gruppe, innerhalb der ein innerer Kreis die tonangebende Gruppe
bildet (1921, im Beleg Elite mit Genitivattribut).
Die Eliten: Präferenz des Plurals
Auffällig ist, dass das Wort seit Ende der 1920er Jahre häufiger im Plural belegt ist (1929a, 1939, 1973), und zwar zunächst offenbar in Fachtexten der Soziologie. Der Plural Eliten (ein sog. Sortenplural
) wird hier offenbar verwendet, um einen höheren Grad an interner Differenzierung innerhalb der führenden Gruppen in einer Gesellschaft auszudrücken. Damit steht eine Bezeichnung zur Verfügung, die neben den Herrschenden im engeren Sinne auch sämtliche anderen Personengruppen übergreifend benennen kann, die in irgendeiner Weise über Privilegien und Ressourcen verfügen (Macht, Bildung, Reichtum) und die sich dadurch von den MassenWGd (1929a) abheben. Eliten hat als soziologischer Begriff neben einer größeren Binnendifferenzierung den Vorteil, dass er weniger wertend und vor allem ideologisch neutraler als z. B. Oberschicht oder herrschende Klasse ist – er weckt unter Umständen sogar eher positive Assoziationen, wenn man an die ursprüngliche Bedeutung Auslese
denkt.
Elite als Fahnenwort
In demokratischen Gesellschaften stehen Privilegierte und Privilegien unter Rechtfertigungsdruck. Dies spiegelt sich in öffentlichen Debatten darüber, welche Rolle Eliten einnehmen sollen, wie sie sich rekrutieren und wie ihr Verhältnis zur Mehrheit gestaltet sein soll. Fast schon stereotype Fragen wie Brauchen wir Eliten? (2003, 2018), Wieviel Elite brauchen wir? (2005a) bzw. Aussagen wie Deutschland braucht eine Elite (1993, 2005b) sind Indiz dafür, dass Elite vor allem im Bereich der Bildungspolitik bereits der Charakter eines Fahnenworts zukommt, da sich hieran gesellschaftliche und politische Positionen – für oder gegen Selektion in der Bildung, für oder gegen Exzellenzuniversitäten usw. – festmachen lassen (vgl. 1993, 2000, 2003). Ein Kennzeichen für den Wortgebrauch im Rahmen dieser Debatte scheint zu sein, dass die etablierten Bedeutungsunterschiede zwischen Leistungs- und Machtelite zugunsten eines diffusen Elitenbegriffs verwischt werden – Elite sind in gewisser Weise alle, die über Wissen, Macht und Einfluss verfügen und sich dadurch von der Bevölkerungsmehrheit abheben.
In jüngster Zeit ist das Wort Elite auch im Kontext einer populistischen Elitenkritik virulent geworden. Eliten werden hier als abgehoben, arrogant, nicht volksnah, ja als korrupt und parasitär charakterisiert (z. B. 1989, 2008, 2013, 2016), eben als elitärWGd. Das Wort Elite erfährt in diesem Rahmen zumindest im Ansatz eine Pejorisierung (wobei die genannten negativen Charakterisierungen im Wesentlichen in Zeitungskorpora zu greifen sind, in denen über populistische Elitenkritik berichtet wird bzw. diese selbst debattiert und kritisiert wird). Auch in diesem Fall zeichnet sich der Wortgebrauch durch eine gewisse Unschärfe aus: Gegenstand der Kritik sind offenbar sämtliche Gruppen, die sich durch tatsächliche oder vermeintliche Privilegien von der (wie auch immer definierten) Allgemeinheit abheben; diese bildet gleichzeitig den positiven Bewertungsmaßstab.
Weitere Wortgebräuche
Jenseits der für das Feld Politik und Gesellschaft relevanten Hauptlinien hat das Wort auch einige weitere Verwendungsweisen ausgebildet, die freilich nur selten bezeugt sind. So tritt es in einem der frühesten Belege in der Bedeutung Auswahl
auf, und zwar mit Bezug auf Bücher (1727). Gemeint ist an dieser Stelle offenbar schlicht eine Zusammenstellung empfehlenswerter juristischer Werke (vergleichbar ist hier eventuell 1858). Ferner tritt das Wort auch mit Bezug auf die Auswahl der besten Ergebnisse in der Tier- und Pflanzenzucht auf (2DWB 7, 1234–35). Dabei handelt es sich wohl um eine metaphorische Übertragung von der Domäne der Menschen auf andere Lebewesen.
Literatur
1DHLF Dictionnaire historique de la langue française, par Alain Rey et al., 3. Aufl. Bd. 1–2. Paris 2000.
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Elite.