Wortgeschichte
Die Entlehnungsgrundlage und ihre Modifikation
Das Wort geht auf die französische Verbindung de (la/la plus) haute volée von hohem bzw. höchstem Rang
zurück, mit der sowohl Sachverhalte als auch Personen näher bestimmt werden (z. B. des gens de la (plus) haute volée Leute von hohem/höchstem Rang
). Französisch volée bedeutet ursprünglich Flug, Flughöhe
(vgl. TLFi unter volée C 1 b, zur Herkunft auch Pfeifer unter HautevoleeDWDS).
Im Zuge der Übernahme des Ausdrucks aus dem Französischen ins Deutsche wird dieser in mehrfacher Hinsicht modifiziert: Die Präposition de wird weggelassen bzw. nicht übertragen, und auch die Möglichkeit, einen Superlativ (de la plus haute) zu bilden, entfällt. Aus der Verbindung von Präposition, Adjektiv und Substantiv übernimmt das Deutsche somit lediglich die Adjektiv-Substantiv-Kombination haute volée, die dann zu einem Wort verschmolzen wird. Auch auf der Bedeutungsseite weicht die deutsche Entlehnung von ihrer Quelle ab: Während der französische Ausdruck auf ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Bezugsgrößen anwendbar ist, denen hoher Rang zugesprochen wird, steht die ins Deutsche übernommene Verbindung ausschließlich für die hohe soziale Stellung von Personen. Im Zuge der Entlehnung ist somit aus einem qualifizierenden Präpositionalattribut mit der Bedeutung von hohem/höchstem Rang
ein Kollektivnomen geworden.
Hautevolee als Bezeichnung für die Oberschicht
Der Ausdruck ist seit den 1830er Jahren in deutschen Texten bezeugt (1833, 1847). Neben die französische Originalschreibung tritt sehr früh auch schon die ans Deutsche angepasste Variante Hautevolee (mit Großschreibung des französischen Adjektivs und ohne Akzent).
Wer zur Hautevolee als der Oberschicht der Gesellschaft
gehört, ist nur relativ zu bestimmen: Die Hautevolee ist immer die jeweils höchste, die mit dem jeweils größten Prestige versehene Schicht in einem sozialen Gebilde; dabei kann es sich im konkreten Fall um den Hochadel (1847, 1855), aber auch um Angehörige des Bürgertums handeln (so 1911 und 1919, hier in Bezug auf Beamte und Kaufleute im Gegensatz zum mittlere[n] und Kleinbürgertum); oftmals lassen die Belege – abgesehen von der Situierung der Gruppe auf der höchsten Stufe der Sozialhierarchie – auch weitergehende soziale Situierungen erkennen, etwa wenn von der Hautevolee einer Kleinstadt oder einem Dorf die Rede ist (1974b). Gelegentlich findet sich das Wort auch in ironisch-spöttischer Verwendung und in einer dem mündlichen Gebrauch angepassten Schreibung (1924, 1969).
Übertragungen
Ist Hautevolee zunächst und überwiegend auf die Gesellschaftsordnung eines Gemeinwesens, d. h. eines Landes oder einer Stadt, bezogen (1847, 1919, 1956), so kann es dann von hier ausgehend auch auf weitere Lebensbereiche angewandt werden, in denen hierarchische Strukturen eine Rolle spielen. Der Ausdruck bedeutet dann auch Personengruppe mit dem größten Einfluss und Ansehen auf einem bestimmten Gebiet
. Dabei kann es sich um die führende Schicht im kulturellen Leben (1852), in der Wirtschaft (1984) oder im Sport bzw. in einer bestimmten Sportart (1974a) handeln.
Ablösungen: Beaumonde und High Society
In der Forschung wird darauf hingewiesen, dass Hautevolee die ältere Bezeichnung BeaumondeWGd abgelöst habe (2DFWB unter Hautevolee, 25Kluge, 400). Beaumonde bedeutet vornehme Gesellschaft
(wörtlich schöne Welt
) und stammt aus dem gleichlautenden französischen Ausdruck. Dieser wird in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ins Deutsche übernommen. Semantisch entspricht er in der Tat teilweise dem jüngeren Hautevolee. Allerdings geht es in den Belegen zu Beaumonde weniger um den sozialen Rang, sondern eher um Eleganz und vornehme Lebensart der so Bezeichneten (vgl. 1831, 1857). Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Übertragungen, wie sie bei Hautevolee auftreten, für Beaumonde nicht belegt sind.
Das ohnehin nicht sehr häufig bezeugte Beaumonde tritt seit ca. 1900 kaum mehr in Erscheinung (vgl. noch 1906 und 1964). Da um diese Zeit eine ganze Reihe von Bezeichnungen für die elegant lebende Oberschicht zur Verfügung steht – so die oberen ZehntausendWGd, die Crème der GesellschaftWGd oder partiell auch EliteWGd –, liegt es sicherlich nicht allein an einer Konkurrenz durch Hautevolee, dass sich Beaumonde nicht weiter etabliert hat.
Im Zusammenhang mit der Frage nach möglichen lexikalischen Ablösungsprozessen, die zu einem Rückgang von Hautevolee geführt haben, ist aber in jedem Fall auf High SocietyWGd hinzuweisen. Dieses kann als starker Konkurrent von Hautevolee wie von BeaumondeWGd angesehen werden, da damit eine Bezeichnung vorliegt, die nach verschiedenen Seiten hin moduliert werden kann, nämlich sowohl in Richtung auf die soziale Stellung als auch im Hinblick auf die Lebensart der Oberschicht.
High Society ist aber wohl letzten Endes auch deshalb erfolgreicher, weil Anglizismen im Themenfeld Politik und Gesellschaft – und selbstverständlich darüber hinaus – seit der Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich an sprachlichem Prestige gewinnen. Gleichwohl ist festzuhalten, dass Hautevolee auch noch nach der Jahrtausendwende bezeugt ist (vgl. 2003, 2004). Die Ablösung hat sich somit nicht vollständig vollzogen.
Literatur
2DFWB Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache von Gerhard Strauß u. a. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1995 ff. (owid.de)
25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Hautevolee.