Wortgeschichte
Die Mehrfachentlehnung von Crème
Das französische Wort crème wurde im Laufe der jüngeren Sprachgeschichte mehrfach und mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen ins Deutsche übernommen: zuerst zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den Bedeutungen rahmartige Süßspeise aus Wein, Eidotter u. dgl.
sowie Sahne
(1715a, 1715b), dann zu Anfang des 19. Jahrhunderts sowohl in der Bedeutung Salbe, Pflegeprodukt mit pastenartiger Konsistenz
(1811) als auch für Elite
(s. auch 2DWB 5, 1169). Die heutige Bedeutungsvielfalt des Wortes hat sich somit nach und nach aufgebaut (zur französischen Grundlage vgl. TLFi unter crème). Im Hinblick auf die Schreibung hat sich dabei eine partielle Differenzierung etabliert, da sich vor allem für die zuletzt entlehnte Wortbedeutung Salbe, Pflegeprodukt
sowie für Sahne, aufgeschlagene Masse
auch die eingedeutschte Schreibung Krem herausgebildet hat (vgl. 1932, 1963).
Die Sahneschicht
der Gesellschaft
Die Verwendung des Wortes Crème in Bezug auf Personen tritt seit den 1810er Jahren zuerst in deutschen Texten auf (1815, 1835, 1841). Es kommt damit etwas früher auf als die entsprechende Verwendung des Wortes EliteWGd, das ab ca. 1830 zuerst auf soziale Phänomene angewandt wird. Die frühen Belege für diese Verwendung von Crème zeigen dabei durchaus einen ironisch-kritischen Einschlag. So handelt sich bei der Crème zwar um eine Elite, die Besten innerhalb einer Gruppe
; ausschlaggebend für die Zugehörigkeit zur Crème sind jedoch in erster Linie Eleganz und Vornehmheit und damit Faktoren, die nur ein vergleichsweise äußerliches, stark auf Repräsentation beruhendes Sozialprestige begründen.
Die Lesart Crème Elite, die Besten innerhalb einer Gruppe
kann als Metapher verstanden werden, die einen kulinarischen Sachverhalt (Sahne
) mit einem sozialen Phänomen in Beziehung setzt – und damit sehr weit auseinanderliegende Erfahrungsbereiche miteinander verknüpft. Eine solche Metapher weist bereits das Französische auf, wo das Bild von der Sahne
als dem gewissermaßen besten Teil
der Gesellschaft mindestens seit dem 16. Jahrhundert präsent ist (vgl. TLFi unter crème sowie 1DHLF, 1027). Die Metapher kann als doppelt motiviert angesehen werden: Einerseits ist die Sahne der hochwertigste Bestandteil der Milch, andererseits setzt sie sich stets oben ab, während die weniger wertvollen Bestandteile nach unten absinken. Die erste Analogie ist so zu verstehen, dass sich die soziale Elite aus den besten und edelsten Repräsentanten der Gesellschaft rekrutiert – die Reichen und Mächtigen sind, vor allem im eigenen Verständnis, stets auch die Guten (was sich z. B. auch in der Polysemie des Adjektivs edel zeigt, das ja sowohl hochwertig
als auch adelig
bedeutet). Die zweite Analogiebeziehung beruht auf einem allgemeinen Metaphernmuster, das räumliche Verortungen auf Qualitätszuschreibungen projiziert: oben ist gut
und unten ist schlecht
. In einer vertikalen Konzeption von Gesellschaft handelt es sich dann bei den Reichen und Mächtigen um diejenigen Personen bzw. Gruppen, die oben
, an der Spitze, anzusiedeln sind, während am anderen Ende der Skala unten
, schlecht
bzw. von geringem Sozialstatus
miteinander assoziiert sind.1)
Entsprechend dem französischen Gebrauch wird auch im Deutschen Crème Elite, die jeweils Besten innerhalb einer Gruppe
mit spezifizierenden Genitivattributen verwendet: das bischen Crème Menschen (1815), die Crème der Saison (1835), der pariser Fashion (1841), unserer Eklektiker (1848), des Theaters (1849), der vermenschlichten Affen (1909), des Stadt- und Landadels (1922). Zuweilen kann das Wort aber auch ohne ein solches Attribut stehen; um welche Bezugsgröße es sich handelt, ist dann dem Kontext zu entnehmen (im Fall des Belegs 1845 handelt es sich um den Adel, im Beleg 1919 um die besten Offiziere). Die Belege lassen, wie oben bereits angemerkt, häufig einen distanzierten und teilweise auch spöttisch-ironischen Unterton erkennen.
Die Crème der Gesellschaft
Von besonderer Bedeutung für das Deutsche ist auch die französische Verbindung la crème de la société (wörtlich die Sahne der Gesellschaft
), die als Crème der Gesellschaft übernommen wird (1847, 1890, 1949). Hierbei handelt es sich um eine partielle Lehnübersetzung: Die aus dem Französischen stammende Form Crème bleibt erhalten, de la société wird übersetzt. Diese Fügung hält sich bis in die Gegenwart (vgl. 1960, 2005), während die Verbindung des Wortes mit anderen Attributen offenbar zurückgeht.
Anmerkungen
1) Bei 25Kluge, 176 wird noch auf eine andere mögliche Motivation für das Bild hingewiesen, und zwar auf die Torte, wo die Creme die oberste Schicht darstellt.
Literatur
2DFWB Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache von Gerhard Strauß u. a. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1995 ff. (owid.de)
1DHLF Dictionnaire historique de la langue française, par Alain Rey et al., 3. Aufl. Bd. 1–2. Paris 2000.
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Crème, Crème der Gesellschaft.