Wortgeschichte
Eine verdrießliche Wortfamilie: Herkunft und Wortbildung
Das Adjektiv aufmüpfig widerständig, aufbegehrend
ist eine junge Bildung, die in den 1950er Jahren zunächst im Schweizerdeutschen (1953) und etwa 20 Jahre später auch überregional gebräuchlich wird. Die Wortfamilie, zu der aufmüpfig gehört, weist eine lange Vorgeschichte mit diversen verwandten Bildungen auf. Geläufig sind heute z. B. muffen, muffeln, muffig, muffelig, Muffel, Mief und Muff, und auch die Hundebezeichnung Mops wird der Familie zugeordnet (s. 5Duden Herkunft, S. 563, 567).
Die Basis der Präfixbildung aufmüpfig ist die oberdeutsche Formvariante des Adjektivs muffig, das in den Bedeutungen unfreundlich, mürrisch
und modrig riechend
gegenwartssprachlich geläufig ist. Das der Adjektivbildung zugrundeliegende Verb muffen mit den Formvarianten müpfen/mupfen (vgl. 2DWB 3, 621;
Idiotikon 4, 351) ist seit dem 14. Jahrhundert in der Lesart (ver)spotten, maulen, murren
bezeugt (detaillierter s. FWB-online unter
muffen und 1DWB 6, 2625); heute kennt man die weitergebildete Verbform muffeln in dieser Bedeutung. Als Ableitungsgrundlage könnte auch das präfigierte Verb aufmüpfen/aufmupfen sich auflehnen, aufbegehren
angesehen werden (vgl. Pfeifer unter MupfDWDS), allerdings ist das Verb insgesamt sehr selten und vergleichsweise spät nachgewiesen (1959a, 1971a, 1992a). Seit Beginn der 1970er stellt sich zu dem neuen Adjektiv auch die Substantivbildung Aufmüpfigkeit (1971b, 1992b).
Das allen Bildungen der Wortfamilie zugrundeliegende Substantiv Muff/Mupf bedeutet ursprünglich Verziehung des Mundes
(zu Etymologie und Bedeutungsspektrum s. Pfeifer und 1DWB 6, 2622). Ausgehend von dieser Bedeutung ist auch weiteren verwandten Bildungen der Wortfamilie gemeinsam, dass sie sich nicht nur auf einen inneren Gefühlszustand beziehen (mürrisch, maulig
), sondern ebenso einen Unzufriedenheit, Verachtung, Spott o. Ä. ausdrückenden Gesichtsausdruck implizieren. Verdrießlich das Maul hängen
schreibt der Dialektforscher Andreas Schmeller zur Bedeutung des Verbs muffen im Bayerischen Wörterbuch vor etwa 200 Jahren (s. 1Schmeller Wörterbuch 2, 554). Was er damit meint, versteht man auch heute noch sehr gut, zum Beispiel, wenn man von einem muffigen bzw. muffeligen Teenager spricht (2012a).
Widerständig gegen Autoritäten
Die frühesten greifbaren Belege für aufmüpfig finden sich in Schweizer Tageszeitungen der 1950er Jahre (1954, 1959b). Die Präfigierung mit auf- führt zu einer Bedeutungsverschiebung im Vergleich zur Ableitungsbasis müpfig mürrisch
. Mit der neuen Bildung wird nicht mehr ein übellauniger oder verstockter Mensch gekennzeichnet, sondern jemand, der mit Worten oder Taten mit Trotz, Widerspruch oder Widerstand gegen etwas aufbegehrend
ist.
Wer als aufmüpfig bezeichnet wird, stellt überholte Vorstellungen und vorgegebene Strukturen in Frage – es geht um ein Aufbegehren gegen Autoritäten. Dies betrifft zumeist die Bereiche des politischen Handelns oder Denkens (1969a, 2003a, 2015), kann sich jedoch auch auf andere Verwendungszusammenhänge beziehen (1968a, 1988), zum Beispiel auf familiäre Beziehungsgefüge (1973a, 2006).
Das "Wort des Jahres 1971"
Erst im Laufe der 1970er Jahre ist eine überregionale Gebrauchszunahme des Adjektivs feststellbar, zuvor wird das Wort in der deutschen Presse eher zurückhaltend verwendet (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Wortverlaufskurve „aufmüpfig“
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Gleichwohl wird die junge Bildung bei der erstmals stattfindenden Wahl zum "Wort des Jahres 1971" von der "Gesellschaft für Deutsche Sprache" auf den ersten Platz gewählt, vor Konkurrenten wie Umweltverschmutzung und Nostalgie (Bär 2003, 311). Aufmüpfig wird demnach als ein Wort wahrgenommen, dass das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der beginnenden 70er Jahre in besonderer Weise bestimmt hat .
Das Adjektiv mit seiner Auflehnung und Widerstand ausdrückenden Bedeutung entspricht offenbar dem Zeitgeist der 68erWGd, und doch ist aus heutiger Sicht fraglich, ob aufmüpfig tatsächlich, wie seinerzeit behauptet, im Zusammenhang mit der Sprache der
häufiger verwendet worden sei (s. Carstensen 1972, 49). In der damaligen Berichterstattung wird das Wort nämlich zunächst nur gelegentlich auf die Studentenbewegung bezogen (1966, 1967). Rückblickend wird aufmüpfig allerdings häufig mit den gesellschaftlichen Entwicklungen dieser "bewegten Zeit" verknüpft (2016, 2018a). In diesem Zusammenhang findet sich die Verbindung aufmüpfige GenerationWGd (1995a, 2004, 2008), von der auch aktuell, allerdings in einem anderen Zusammenhang, zu lesen ist: Als Bezeichnung einer neuen Gruppe widerständiger junger Menschen – der Fridays-for-Future-Bewegung (2019a, 2019b).Linken
Wortverbindungen und Wortfeld
In attributiven Verbindungen wie z. B. aufmüpfige Hausfrau, aufmüpfiges Kind, aufmüpfige Mitarbeiter, aufmüpfiger Schüler, aufmüpfiger Student kennzeichnet das Adjektiv Personen, die in einer bestimmten Beziehungshierarchie untergeordnet sind (1970a, 1973b, 1995b, 2003b, 2019c) und sich beispielsweise gegen Eltern, das EstablishmentWGd, die Obrigkeit oder Vorgesetzte auflehnen (1995c, 2012b, 2018b, 2020). Auch Handlungen, Ereignisse oder Sachen werden als aufmüpfig beschrieben, beispielsweise aufmüpfiger Gesang, aufmüpfiges Nachrichtenmagazin, aufmüpfige Reden und aufmüpfige Schilder (1964, 1968a, 1969b, 1970b). In Verbindung mit Verben finden sich Verbindungen wie sich aufmüpfig gerieren bzw. zeigen, aufmüpfig wirken und als aufmüpfig gelten (1968b, 1969c, 1973c, 2003a).
Die Vielzahl an bedeutungsähnlichen und je nach Kontext synonym zu verwendenden Adjektiven des Wortfelds wie aufbegehrend, aufrührerisch, aufsässig, empörerisch, rebellischWGd, renitent, trotzig, ungehorsam, widersetzlich, widerständig zeigt die Bedeutungsnuancen von aufmüpfig. Ein aufmüpfiges Kind wird man wohl als trotzig
oder ungehorsam
, jedoch nicht als widerständig
begreifen, wogegen Letzteres wohl auf den als aufmüpfig bezeichneten Studenten (2001) zutreffen würde.
Literatur
Bär 2003 Von „aufmüpfig“ bis „Teuro“. Die „Wörter der Jahre“ 1971–2002. Hrsg. von Jochen A. Bär. Mannheim u. a. 2003.
Carstensen 1972 Carstensen, Broder: Die Wörter des Jahres 1971. In: Der Sprachdienst 16/2 (1972), S. 49–50.
5Duden Herkunft Duden – das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 5., von Jörg Riecke neu bearbeitete Aufl. Berlin u. a. 2014.
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
Förster 1970 Förster, Uwe: Aufmüpfig. In: Der Sprachdienst 14/9 (1970), S. 131–133.
FWB-online Frühneuhochdeutsches Wörterbuch/FWB-online. Hrsg. von Ulrich Goebel, Anja Lobenstein-Reichmann, Oskar Reichmann. 2017 ff. (fwb-online.de)
Idiotikon Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Bd. 1 ff. Basel/Frauenfeld 1881 ff. (idiotikon.ch)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
1Schmeller Wörterbuch Schmeller, Johann Andreas: Bayerisches Wörterbuch. Sammlung von Wörtern und Ausdrücken, die in den lebenden Mundarten sowohl, als in der ältern und ältesten Provincial=Litteratur des Königreichs Bayern, besonders seiner ältern Lande, vorkommen, und in der heutigen allgemein=deutschen Schriftsprache entweder gar nicht, oder nicht in denselben Bedeutungen üblich sind. Bd. 1–4. Stuttgart/Tübingen 1827–1837.