Wortgeschichte
Gegenwehr und Gegenkraft
Widerstand ist eine Ableitung vom Verb widerstehen der Einwirkung einer Kraft standhalten, sich widersetzen
. Das Verb ist schon im Althochdeutschen (8. Jahrhundert) belegt, die substantivische Ableitung tritt seit dem 14. Jahrhundert auf (s. Pfeifer unter WiderstandDWDS und 1DWB 14, 1, 2, 1262).
Das Substantiv Widerstand bezeichnet ganz allgemein eine Kraft, die einer anderen Kraft entgegenwirkt. Die übergreifende Bedeutung des Wortes ist entsprechend als Gegenkraft
anzugeben. Bei dieser Gegenkraft kann es sich zum einen um ein Hemmnis handeln, das einer Person oder einem Gegenstand bei der eigenen Bewegung oder der eigenen Kraftentfaltung im Weg steht (1696). Mit Widerstand kann aber auch eine aktiv ausgeübte Gegenwehr gemeint sein, die gegen eine andere, gewissermaßen antagonistische
Kraft gerichtet ist. In dieser Lesart bezieht es sich oft auf Personen, die sich im Kampf oder im Krieg gegen einen Gegner zur Wehr setzen (1488, 1870). Die häufige Verbindung Widerstand tun, jünger auch Widerstand leisten, bedeutet dementsprechend auch sich gegen etwas wehren, widersetzen
(vgl. auch 1522, 1659, 1895). Ob der Widerstand dabei eher passiv oder aktiv ist, ob es sich um eine unmittelbar körperliche Kraftausübung oder um eine innere, seelisch-geistige Gegenkraft oder Gegenwehr handelt, variiert stark je nach Kontext.1) Als Beispiele für eine solche innere Gegenwehr vgl. den Beleg 1524 sowie die Verbindung innerer Widerstand in den Belegen von 1745 und 2000.
Widerstand als Kampf gegen Unterdrückung
Als Kampf gegen Unterdrückung, eine als illegitim angesehene staatliche Ordnung
erhält das Wort schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine erkennbare politische Bedeutungsdimension (1809, 1827a, 1914a, 1914b; 1808 als bewaffneter Widerstand gegen die napoleonische Fremdherrschaft). In dieser Lesart schließt Widerstand an die ältere Wortbedeutung aktiv ausgeübte Gegenwehr
an. Der Übergang ist als Bedeutungsverengung zu beschreiben. Diese politische Interpretation ist auch in dem Kompositum Widerstandsbewegung organisierte Bestrebung zum Kampf gegen Unterdrückung
deutlich profiliert (1849).
In dieser um 1800 neu aufkommenden Bedeutung ist Widerstand überwiegend positiv besetzt: Der Widerstand wird als legitim, die Ordnung, gegen die er sich richtet, dagegen als illegitim aufgefasst. In der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte durch die französische Nationalversammlung im Jahr 1789, über die auch in deutschsprachigen Quellen berichtet wird, kommt dem Widerstand gegen Unterdrückung dementsprechend der Status eines unveräußerlichen Rechts zu, das in einem Atemzug mit dem Recht auf Freiheit und Eigentum genannt wird (1789, 1914c).2) In Abhängigkeit vom jeweiligen Standpunkt kann Widerstand indes gelegentlich auch neutral oder auch negativ perspektiviert werden. Letzteres ist dann der Fall, wenn vom Widerstand als etwas Unerwünschtem, zu Vermeidendem die Rede ist. Die Wortbedeutung tendiert in diesem Fall eher in Richtung Kampf gegen die legitime staatliche Ordnung
(1880). Diese Interpretation tritt auch in der Verbindung Widerstand gegen die Staatsgewalt zu Tage (1803, 1847).
In den Widerstand gehen: Der Widerstand gegen das NS-Regime
Ein besonders konturierter Wortgebrauch bildet sich – wiederum per Bedeutungsverengung – im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus. Das Wort wird hier sehr spezifisch im Sinne von Opposition, Kampf gegen das nationalsozialistische Regime
verwendet (auch synonym zu Widerstandsbewegung und Widerstandskampf, vgl. 1943, 1949a, 1949b). Aus der Zeit des NS-Regimes selbst freilich gibt es – möglicherweise bedingt durch eine unzureichende Quellenlage – nur wenige Beispiele für eine positiv zu verstehende Selbstbezeichnung derjenigen, die sich gegen das Regime engagieren. Zu nennen wäre hier ein Beleg von 1935 oder auch der für 1938 bezeugte Aufruf Leistet Widerstand!.
Die betreffende Verwendung von Widerstand hat sich wohl erst nach dem 2. Weltkrieg etabliert (vgl. auch Eitz/Stötzel 2007), 649-665). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie – gewissermaßen als Sammelbegriff – unterschiedlichste Formen der Opposition gegen die NS-Herrschaft, vom Attentat bis hin zur Befehlsverweigerung, unter einem Label zusammenfasst (1945a, 1945b, 1945c, 1945d, 1947, 1949a, 1950, 2004). Auch die Widerstandsbewegungen in den von Nazi-Deutschland besetzten Ländern Europas werden im Deutschen als Widerstand bezeichnet (1968a). Im Zuge dieser Verwendung kommen auch die festen Wortverbindungen in den Widerstand gehen, im Widerstand sein oder dem Widerstand angehören auf, die seither gebräuchlich sind (1956, 1989, 1963). Besonders in diesen Verbindungen hat sich die Bedeutung Opposition, Kampf gegen das nationalsozialistische Regime
soweit verfestigt, dass Widerstand, wenn es ohne weitere Attribute oder Erläuterungen steht, für das mehr oder weniger stark ausgeprägte Engagement gegen das Nazi-Regime schlechthin gilt (vgl. 2001, 2006). Mit dieser klaren Referenz auf einen bestimmten historischen Sachverhalt erhält das Wort einen namenartigen Charakter.
Widerstand um 1970
In der Bedeutung Opposition, Kampf gegen das NS-Regime
ist Widerstand ein Prestigewort im öffentlichen Sprachgebrauch der Nachkriegszeit. Von diesem Prestige profitiert auch der im Kontext der Protestbewegungen um 1970 aufkommende Wortgebrauch. Widerstand wird hier als legitime Form der Opposition gegen eine als illegitim empfundene Gesellschaftsordnung
gefasst; diese Opposition richtet sich sowohl gegen konkrete Formen staatlicher Machtausübung, etwa die Notstandsgesetze (1968b, 1971b), oder auch allgemein gegen die kapitalistische Herrschaft (1968c). Die Wortbedeutung erhält gleichzeitig eine stark deontische Komponente: Widerstand ist etwas, was von profilierten Akteuren der Bewegung eingefordert wird, und zwar nicht nur als Haltung oder Meinungskundgabe, sondern als konkrete Aktion.
Für diesen handlungsbetonten Aspekt der politischen Semantik von Widerstand steht besonders der von Ulrike Meinhof verfasste Aufruf Vom Protest zum Widerstand
; in diesem Text werden auch gewalttätige Aktionen als Formen des Widerstands gegen den Staat legitimiert und eingefordert, womit gleichzeitig eine ideologische Grundlagen für den Linksterrorismus der 1970er Jahre gelegt ist (1968d, vgl. auch 1968e und die Verbindung bewaffneter Widerstand 1972).3) Wie stark dieser deontische Gehalt sein kann, wird auch in dem Slogan Wo Unrecht Recht wird, wird Widerstand Pflicht explizit gemacht (1979). In der Bedeutung Opposition gegen eine als illegitim empfundene Gesellschaftsordnung
ist Widerstand auch gegenwärtig noch als Fahnenwort vornehmlich linker Protestbewegungen im Gebrauch (2019).
Widerständig als Prestigewort
Die Ableitung widerständig ist mindestens seit dem Mittelhochdeutschen bezeugt (1DWB 14,1,2, 1270DWDS). Das Adjektiv bedeutet, wenn es von Personen gebraucht wird, Widerstand leistend, zum Widerstand neigend
(1877a in Verbindung mit sein). In Bezug auf unbelebte Gegenstände steht es für widerstandsfähig
(1877b). Im Anschluss an den Prestigewortgebrauch von Widerstand in den 1970er Jahren bildet auch das Adjektiv eine entsprechend positiv akzentuierte Verwendung aus. Widerständig bedeutet hier unangepasst, unkonventionell
. In dieser Bedeutung steht es oft als Attribut entweder für Intellektuelle oder Künstler, die eine entsprechende Haltung einnehmen (1978, 1980, 1999), und auch Kunstwerken kann widerständig als Qualität zugeschrieben werden (2005). Damit geht die positive Perspektivierung noch einen Schritt weiter als bei den vergleichbaren Adjektiven aufmüpfigWGd oder rebellischWGd.
Passiver Widerstand als Protestform
Die Verbindung passiver Widerstand nicht gewaltsamer, z. B. durch Befehlsverweigerung ausgeübter Widerstand
ist seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überliefert (1819, 1827b, 1846). Laut Gombert 1906, 229 handelt es sich um eine Lehnübersetzung zu der gleichbedeutenden englischen Verbindung passive resistance (vgl. auch 3OED unter resistance). Neben dem Beleg 1819, der in der Tat auf Sachverhalte in England bezogen ist, gibt es freilich auch Textstellen aus dieser Zeit, in denen ein Bezug zu Frankreich hergestellt wird (1827b). Da französisch résistance passive in dieser Bedeutung ebenfalls in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt ist (vgl. TLFi unter résistance), erscheint die Annahme eines englischen Vorbilds nicht zwingend. Dies gilt möglicherweise auch deshalb, weil die Verbindung passiver Widerstand früh auch schon mit Bezug auf physikalische Kräfteverhältnisse verwendet wird (1838); damit könnte die Verbindung zumindest ausdrucksseitig schon vorgeprägt sein.
Passiver Widerstand bezeichnet eine Protestform, die in der deutschen Geschichte vor allem im Widerstand gegen die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich (1923, 1930) sowie später im Rahmen der Protestbewegungen um 1970 virulent war (1971a). Seit den 1920er Jahren tritt dann auch ziviler UngehorsamWGd als Synonym hinzu.
In semantischem Gegensatz zu passiver Widerstand steht neben aktiver Widerstand (1848) auch offener Widerstand (1818, 1900) sowie bewaffneter Widerstand (1808, 1972).
Widerstand als Ausdruck der Allgemeinsprache und der Naturwissenschaften
Widerstand kann seit alters auf Kräfteverhältnisse in der unbelebten Natur angewandt werden. Es wird daher auch im Sinne von die Bewegung eines Körpers hemmende Kraft
gebraucht, so schon ab dem 15. Jahrhundert (1493, 1696). Das Wort entwickelt sich dann auch zum Begriff der Mechanik und der Naturwissenschaften im Allgemeinen. Die terminologische Verbindung elektrischer Widerstand ist in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals bezeugt (1860), vgl. das englische electric resistance (3OED unter electric resistance).
Anmerkungen
1) Zum breiten Verwendungsspektrum in seiner historischen Entfaltung s. auch 1DWB 14, 1, 2, 1262.
2) Im französischen Original: „Le but de toute association politique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l’homme. Ces droits sont la liberté, la propriété, la sûreté et la résistance à l’oppression”, vgl. Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte.
3) Hierzu auch Kämper, Protestdiskurs.
Literatur
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
Eitz/Stötzel 2007 Eitz, Thorsten/Georg Stötzel: Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Hildesheim u. a. 2007.
Gombert 1906 Gombert, Albert: Sprechsaal. Einige weitere Bemerkungen zu O. Ladendorfs historischem Schlagwörterbuch. In: Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins 21 (1906), S. 226–229. (archive.org)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Protestdiskurs 1967/68 Leibniz-Institut für deutsche Sprache (IDS): Diskurswörterbuch Protestdiskurs 1967/68. (owid.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Widerstand, passiver Widerstand, widerständig.