Wortgeschichte
Herkunft und Übernahme im Deutschen
Das Wort Generation wird im 16. Jahrhundert aus dem Lateinischen entlehnt. Der gegenwartssprachliche Gebrauch im Deutschen geht dabei zurück auf zwei Bedeutungskomponenten, die bereits im Lateinischen angelegt sind: Während generātio im klassischen Latein Zeugung, Fortpflanzung
bedeutet, bezeichnet es im Mittellateinischen auch eine bestimmte Zugehörigkeit durch Abstammung: Familie, Geschlecht, Stamm, Sippe
(vgl. dazu OLD und MLW unter generātio und Pfeifer unter GenerationDWDS; vgl. auch Lüscher/Liegle 2003, 35–43 und SippeWGd). In deutschen Texten wird bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts gelegentlich noch die lateinische Form verwendet.
Bedeutungen in den Anfängen
Einer der ersten Belege in einem deutschen Text stammt von Paracelsus aus der Zeit um 1530: alle heuser und secten, alle generationes und secula werden zergehn
. Generation in der Aufzählung zwischen secten
und secula
bedeutet hier wohl Gemeinschaft von Menschen gleicher Abstammung
. Daneben findet man vielfach die Bedeutung Zeugung
, dann aber auch Geburt, Entstehung
(1603, 1682, 1737, 1764a, 1784).
In der ersten Zeit der Bezeugung hat das Wort Generation bzw. generātiolat. ein breites Bedeutungsspektrum. Neben Gemeinschaft von Menschen gleicher Abstammung
, das bereits im 16. Jahrhundert belegt ist (1557, zur Bedeutung vgl. aber 2DFWB, 153), bedeutet es auch Abstammung
: Jhres Lebens Eingang. Darzu vors 1. gehoͤret Generatio; […]
so lautet eine Einleitung zu einem Stammbaum (1640).
In den Textbelegen des 17. Jahrhunderts stellt sich die Bedeutung einzelne Stufe in der Geschlechterfolge
klarer heraus (1653, 1684) und etabliert sich zunehmend als vorläufige Hauptbedeutung (1724, 1772). Entsprechend verzeichnet das Fremdwörterbuch von F. E. Petri neben den Bedeutungen Erzeugung
und Menschenalter, Menschengeschlecht
auch die Geschlechtsreihe (ein Zeitraum von 30 Jahren)
(1823, vgl. auch 1909). Offenbar dient das Wort zugleich der zeitlichen Ordnung innerhalb der Generationenfolge.
Die Zeitspanne von 30 Jahren
Wenn Generation auch ein Zeitmaß ist, dann muss man es berechnen können. Schon früh hat man sich mit dieser Frage auseinandergesetzt (1741, vgl. auch Rümelin 1875, 285–304 u. Mannheim 1928, 157–161):
So wurde noch im frühen 18. Jh. die Auffassung vertreten, ein Jahrhundert werde durch die systematische Abfolge von drei G. ausgefüllt. Der Demograph Johann Peter Süßmilch definierte z. B. eine G. als ein Menschenalter, welches er auf durchschnittlich 28,988 Jahre ansetzte […]. Ebenso lassen sich zeitgenössische Belege für die Auffassung finden, eine ideale G.-Spanne betrage 33,3 Jahre, womit dann drei G. sich exakt in ein Jahrhundert einfügten. [EdN unter Generation]
Die Annahme, dass eine Generation ca. 30 Jahre umfasst, schlägt sich auch alltagssprachlich in gängigen Formulierungen wie in ein bis zwei Generationen
, in der nächsten Generation
, das wird noch eine Generation dauern
als Zeitangabe nieder (1775, 1866, 2004).
Generation ist hoch produktiv
Das Wort Generation ist sehr produktiv, und das in vielfältiger Weise. Einerseits bildet es als Bestimmungswort zahlreiche Komposita aus. Bereits in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts spricht man in den Naturwissenschaften vom Generationsgeschäft, was so viel bedeutet wie Fortpflanzungs-, Zeugungstätigkeit
(1764b, 1797). Auch Generationstheorie (1780) und Generationssystem (1798) gehören zu den frühen Bildungen. Seit dem 19. Jahrhundert nehmen die Zusammensetzungen mit Generation zu, seit etwa Mitte des Jahrhunderts findet man Bildungen, in denen Generation einzelne Stufe in der Geschlechterfolge
, aber auch Menschengeschlecht
oder Interessengruppe
bedeuten kann, darunter Generationsfolge (1868), Generationsfrage (1944), GenerationskonfliktWGd oder Generationsroman (1984). Das Kompositum GenerationswechselWGd hat einen Bedeutungswandel erfahren: Zunächst mit naturwissenschaftlicher Bedeutung, wird es um 1900 auch in der Soziologie verwendet.
Ob man das Erst- und das Zweitglied durch das Fugenelement -s oder -en miteinander verbindet (vgl. Generationskonflikt), scheint dabei fast Geschmacksache
zu sein. Während zunächst offenbar Unsicherheit besteht, welches dieser Fugenelemente das richtige sei, werden phasenweise beide mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander genutzt und auch in Wörterbüchern aufgeführt. Später entwickeln sich regionale Unterschiede und Besonderheiten (s. Variantengrammatik 2018 unter Generationen-/Generations-).
Andererseits fungiert Generation in seiner Bedeutung durch gleiches Alter, gemeinsame Interessen oder Erfahrungen, ähnliches Verhalten usw. miteinander verbundene größere Menschengruppe
als Grundwort in Zusammensetzungen. Zu den ersten Bildungen gehören u. a. Schriftstellergeneration (1800), Studentengeneration (1826), Arbeitergeneration (1867) und Kriegsgeneration (1915b). Jüngere Komposita sind z. B. Managergeneration (1966), Computergeneration (1968c), 68er-Generation (1980) oder Turnschuhgeneration (1981).
Daneben findet man zur näheren Bestimmung von Generation auch Wortverbindungen mit folgendem Genitivattribut: Das Spektrum reicht von der Generation der Primaner über die Generation der Marathonkämpfer oder des Friedens bis hin zur Generation der Überflüssigen (1786, 1875, 1915a, 1998). Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts kommt der Bereich der Technik hinzu, die Generationenfolge wird auf die Weiterentwicklung technischer Geräte und anderer Errungenschaften übertragen. Erste Belege gibt es im Flugwesen, so ist beispielsweise von der Generation der Düsenmaschinen oder der Überschallflugzeuge die Rede (1968b, 1969). Seit den 70er Jahren kommen auch Wortverbindungen aus anderen technischen Gebieten hinzu (1999, 2016); die Computerbranche entdeckt das Wort Generation zum Ende des 20. Jahrhunderts (1996, vgl. auch 2006). Verbindungen wie Cabriolet der neuen Generation, in denen das Wort Generation im Genitiv mit einem Adjektiv oder einer Ordinalzahl kombiniert wird, bringen die Abfolge in der Produktentwicklung sowie den damit verbundenen neuen Zeitabschnitt zum Ausdruck (1968a, 1985, 2020a).
In der Funktion als Grundwort in Zusammensetzungen entwickelt sich zu dem Wort Generation ein besonderes Konstruktionsmuster, bei dem gewissermaßen das Bestimmungswort dem Grundwort nachgestellt wird (vgl. Steffens 2015, 64 u. Bär 2017b). Ein frühes Beispiel dieser Art in einem deutschen Text findet man in einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1974: Zur Kennzeichnung einer bestimmten Schriftstellergeneration wird das Lemma Generation durch einige Autorennamen ergänzt: Generation Crossmann, George Orwell und V. S. Pritchett (1974). Anfang der 90er Jahre erscheint der Roman Generation X von Douglas Coupland. Das Buch wird im Jahr 1993 ins Deutsche übersetzt und macht die Wortverbindung Generation X bekannt (1993, 1995).
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Die Wortverbindung Generation X geht ursprünglich auf den ungarisch-US-amerikanischen Fotografen Robert Copa zurück, der 1953 einer Fotoreihe den Titel Generation X gibt und darunter die nach 1945 geborene Jugend
versteht (vgl. Meixner 2015, 12). In den 60er Jahren veröffentlichten die britischen Journalisten Charles Hamblett und Jane Deverson das Buch Generation X (1965) und schließlich nannte Billy Idol eine Punkband Mitte der 70er Jahre Generation X (2005).
Die Bedeutung von Generation X definiert sich über bestimmte Geburtsjahrgänge sowie typische Merkmale, die den in dieser Zeit geborenen Menschen im Hinblick auf Lebensführung und Lebensgefühl zugeschrieben werden. Wenngleich in der Forschung insbesondere die Angaben zur Zeitspanne variieren, so entspricht die Beschreibung des Duden-Wörterbuchs wohl dem gegenwartssprachlich gängigen Verständnis von Generation X: Altersgruppe der etwa 1965 bis 1975 Geborenen, die durch Orientierungslosigkeit, Desinteresse am Allgemeinwohl u. a. charakterisiert ist
(Duden online).
Bekannter wird diese Art der Wortverknüpfung erst mit dem wenig später erscheinenden Buch Generation Golf von Florian Illies (s. Illies 2000), der dabei eine Werbekampagne von Volkswagen aufgreift (1997; vgl. auch die Volkswagen-Werbung 1998):
Illies machte damit den Begriff zwar populär, reagierte aber auch nur auf eine VW-Werbekampagne, die in den späten neunziger Jahren einfach selbst ihre Zielgruppe zur Generation Golf vereinte. Anfang 1998 blickte Illies in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein wenig ratlos auf die Werbespots von Volkswagen, in der hippe Twens, die ihr Leben mal so richtig selbst in die Hand nehmen, dank ihres VW Golf mobil und flexibel sind. [2012a]
Man liest diese und ähnliche Wortfolgen nun immer häufiger, inzwischen nimmt die Produktivität deutlich zu, so gibt es neuerdings die Generation Kopf unten (Consbruch 2017), die Generation Praktikum (Krüger 2017) oder die Generation Sandsack (Schütte/Bär 2017). Auch andere Verbindungen wie Generation Geil sind mittlerweile anzutreffen (zur Vielfalt der Verbindungen s. etwa 2012b). Der Start in die 2020er Jahre brachte schon früh die Bezeichnung Generation Corona hervor (2020b).
Literatur
Bär 2017b Bär, Jochen A.: Generation. In: Jochen A. Bär/Jana Tereick (Hrsg.): Von „Szene“ bis „postfaktisch“. Die „Wörter des Jahres“ der Gesellschaft für deutsche Sprache 1977 bis 2016. Hildesheim u. a. 2017, S. 142–143.
Consbruch 2017 Consbruch, Benita von: Generation Kopf unten. In: Jochen A. Bär/Jana Tereick (Hrsg.): Von „Szene“ bis „postfaktisch“. Die „Wörter des Jahres“ der Gesellschaft für deutsche Sprache 1977 bis 2016. Hildesheim u. a. 2017, S. 144–145.
2DFWB Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache von Gerhard Strauß u. a. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1995 ff. (owid.de)
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
EdN Enzyklopädie der Neuzeit online. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern hrsg. von Friedrich Jaeger. Leiden 2019. [basierend auf der Druckausg. im J. B. Metzler Verlag Stuttgart, 2005–2012]. (brillonline.com)
Heine 2016b Heine, Matthias: Generation. Irgendwann ist jeder eine – aber nur für 15 Minuten. In: Ders.: Seit wann hat „geil“ nichts mehr mit Sex zu tun? 100 deutsche Wörter und ihre erstaunlichen Karrieren. Hamburg 2016, S. 80–85.
Hikel 2008 Hikel, Christine: Generation. In: Farzin, Sina/Stefan Jordan: Lexikon Soziologie und Sozialtheorie. Hundert Grundbegriffe. Stuttgart 2008, S. 78–80.
Illies 2000 Illies, Florian: Generation Golf. Eine Inspektion. Ungekürzte Lizenzausg. [Rheda-Wiedenbrück] 2000.
Krüger 2017 Krüger, Birte: Generation Praktikum. In: Jochen A. Bär/Jana Tereick (Hrsg.): Von „Szene“ bis „postfaktisch“. Die „Wörter des Jahres“ der Gesellschaft für deutsche Sprache 1977 bis 2016. Hildesheim u. a. 2017, S. 145–146.
Lüscher/Liegle 2003 Lüscher, Kurt/Ludwig Liegle: Generationenbeziehungen in Familie und Gesellschaft. Konstanz 2003.
Mannheim 1928 Mannheim, Karl: Das Problem der Generationen. In: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 7 (1928), S. 157–185, 309–330.
Meixner 2015 Meixner, Wolfgang: Begrüßung. Gründung der Universität: damit die Studenten im Land bleiben. In: Lackner, Erna (Hrsg.): Die Generationen Y und Z zwischen Kultur und Wirtschaft. Innsbruck 2015, S. 11–13.
MLW Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert. In Gemeinschaft mit den Akademien der Wissenschaften zu Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, Wien und der Schweizerischen Geisteswissenschaftlichen Gesellschaft hrsg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Begr. von Paul Lehmann und Johannes Stroux. Bd. 1ff. Berlin 1967ff. (woerterbuchnetz.de)
OLD Oxford Latin Dictionary. Ed. by P. G. W. Glare. Oxford u. a. 2000.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Rümelin 1875 Rümelin, Gustav: Ueber den Begriff und die Dauer einer Generation. In: Ders.: Reden und Aufsätze. Tübingen 1875, S. 285–304.
Schütte/Bär 2017 Schütte, René/Jochen A. Bär: Generation Sandsack. In: Jochen A. Bär/Jana Tereick (Hrsg.): Von „Szene“ bis „postfaktisch“. Die „Wörter des Jahres“ der Gesellschaft für deutsche Sprache 1977 bis 2016. Hildesheim u. a. 2017, S. 146–147.
Steffens 2015 Steffens, Doris: Zur Benennungsfunktion von Neologismen am Beispiel von phraseologischen Einheiten. In: Der Deutschunterricht 67/3 (2015), S. 58–67.
Variantengrammatik 2018 Variantengrammatik des Standarddeutschen (2018). Ein Online-Nachschlagewerk. Verfasst von einem Autorenteam unter der Leitung von Christa Dürscheid, Stephan Elspaß und Arne Ziegler. Open-Access-Publikation. (ids-mannheim.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Generation, Generation Golf, Generation X.