Wortgeschichte
Herkunft
Das Verb protestieren ist im Deutschen mindestens seit dem Spätmittelhochdeutschen mit der Bedeutung öffentlich erklären
belegt (1347; vgl. auch Findebuch mittelhochdeutscher Wortschatz
1, 277). Es ist über das Französische auf lateinisch prōtestāre/prōtestārī, Zeugnis ablegen, öffentlich beweisen
zurückzuführen (vgl.
Pfeifer unter protestierenDWDS).
Öffentlich, förmlich. Rechtliche und kaufmännische Verwendungen im Frühneuhochdeutschen und älteren Neuhochdeutschen
Im Frühneuhochdeutschen begegnet das Wort vorwiegend in Urkunden und Rechtstexten und kann hier die Bedeutungen etwas bezeugen, für etwas Zeugnis ablegen
, (gegen etwas) Einspruch einlegen
, aber auch sich auf etwas beziehen, berufen
und sich gegen etwas auflehnen
annehmen (vgl.
fwb-online; vgl. daneben auch die Buchung im DRW
X 1386–1387). Noch an der Schwelle zum älteren Neuhochdeutschen begegnet protestieren zunächst besonders in förmlichen bzw. rechtlichen Kontexten in entsprechenden Bedeutungen (1521, 1571). In seiner förmlich-rechtlichen Verwendung wird das Verb 1529 im Übrigen auch im Wortlaut der Protestation der evangelischen Reichsstände beim Reichstag in Speyer im Jahr 1529 verwendet, hier übrigens wohl in der Bedeutung bezeugen, erklären
(1529; vgl. zur auch wortgeschichtlichen Relevanz der Protestation zu Speyer auch den entsprechenden Artikel ProtestationWGd). In der Nachfolge begegnet das Wort vielfach in religiösen Kontexten (1584, 1605, 1682b).
Daneben steht seit dem 16. Jahrhundert auch eine auf das italienische protestare
Verwahrung einlegen, erklären, versichern
zurückzuführende kaufmännische Verwendung des Wortes in der Bedeutung Annahme oder Zahlung eines Wechsels verweigern
(1706, 1741; vgl. auch Pfeifer unter protestierenDWDS).
Von gegenwärtigen Bedeutungen unterscheidet sich die Semantik dieser älteren Verwendungen insbesondere durch zwei Implikationen: Zum einen gehört die Implikation Öffentlichkeit
zentral zum Wort (1635, 1650; vgl. daneben auch die Belege in DRW
X 1386–1387). Zum anderen hat sowohl die rechtliche als auch die kaufmännische Verwendung den Charakter eines formellen (Sprech-)Aktes (1656).
Verlust der zentralen Implikationen förmlich, rechtlich
und öffentlich
. Protestieren im jüngeren Neuhochdeutschen
Vereinzelt finden sich bis in die Gegenwart Belege des Verbs, in denen die älteren Bedeutungen mehr oder weniger offen nachwirken, wobei die kaufmännische Verwendung sich gegenüber der rechtlichen wohl länger gehalten hat (1901; 1852a, 1955). Gleichwohl setzt sich im Laufe der Zeit gegenüber den älteren Verwendungen die weiter gefasste Bedeutung (spontan) Missfallen bekunden, etwas zurückweisen
durch, die gegenwärtig die gängige Verwendungsart ist (1789, 1840b, 1999). Schon im Frühneuhochdeutschen konnte das Verb, auch wenn es vorwiegend in Rechts- und Urkundentexten begegnet, die Bedeutung sich gegen etwas auflehnen
annehmen (vgl.
fwb-online). Belege, in denen das Verb in einer weniger förmlichen-rechtlichen Weise verwendet wird und bezeugen, bekunden
bedeutet, sind mindestens seit dem 17. Jahrhundert belegt (1605, 1610, 1679). Spätestens seit Ende des 17. Jahrhunderts finden sich vereinzelt Belege in einer weit gefassten, allgemeinsprachlichen Verwendung auch abseits kaufmännischer, rechtlicher und religiöser Zusammenhänge (1690). Gleichwohl überwiegen nach wie vor förmlich-rechtliche Verwendungen (1639, 1647, 1656, 1682a). Auf breiter Ebene setzt sich die gegenwärtig dominante Bedeutung erst sukzessive ab der Mitte des 18. Jahrhunderts und damit im jüngeren Neuhochdeutschen durch (1743, 1748, 1764, 1811, 1845).
Die Herauslösung aus dem rechtlichen und kaufmännischen Rahmen geht mit dem Verlust der dominanten Implikation öffentlich
einher, infolge dessen das Wort auch allgemeiner für einen spontanen Einspruch bzw. Widerspruch im auch nichtöffentlichen Rahmen bedeuten (1840a, 1910a) sowie übertragen (1822) verwendet werden kann. Daneben stehen nun auch weiterhin Verwendungen, in denen Öffentlichkeit ein wichtiger Bedeutungsaspekt bleiben kann – ohne dass dieser Aspekt dabei zwingend zur Semantik des Wortes gehört (1852b, 1887, 1919, 1994). Verwendungen dieser Art verdeutlichen den zweiten Aspekt der Bedeutungserweiterung, genauer den Verlust der Implikation des Formalrechtlichen, die das Wort zumindest zeitweise getragen hat. In dieser Bedeutung hat protestieren gegenwärtig zumindest partiell eine gewisse semantische Nähe zum Verb demonstrierenWGd (1910b, 2000).
Mit der Bedeutungserweiterung des Verbs protestieren korrelieren zum einen der Rückgang der Verwendungshäufigkeit von ProtestationWGd
(förmlicher) Einspruch, Rechtsverwahrung (Recht, Kaufmannssprache)
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie der Bedeutungswandel von ProtestWGd, das zunächst ebenfalls (rechtlicher) Einspruch, Beurkundung
, ab etwa 1800 allgemeiner Einspruch, (öffentliche) Bekundung von Missfallen
bedeutet.
Literatur
DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Bis Bd. 3 hrsg. von der Preußischen Akad. der Wiss., Bd. 4 hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin, Ost), ab Bd. 5 hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (bis Bd. 8 in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften der DDR). Bd. 1 ff. Weimar 1912 ff. (adw.uni-heidelberg.de)
Findebuch mittelhochdeutscher Wortschatz Gärtner, Kurt et al.: Findebuch zum mittelhochdeutschen Wortschatz. Mit einem rückläufigen Index. Stuttgart 1992. (woerterbuchnetz.de)
FWB Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Hrsg. von Robert R. Anderson [für Bd. 1]/Ulrich Goebel, Anja Lobenstein-Reichmann [ab Bd. 5], Oskar Reichmann. Bd. 1 ff. Berlin u. a. 1986 ff. (fwb-online.de)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu protestieren.