Wortgeschichte
Von Diskriminierung zu positive Diskriminierung. Ein neuer Mehrwortausdruck entsteht
Während DiskriminierungWGd im Deutschen bereits im dem 19. Jahrhundert belegt ist, handelt es sich bei der Ausbildung des Mehrwortausdrucks positive Diskriminierung um eine Entwicklung der 1980er Jahre (1981, 1983). Der Ausdruck basiert auf der – sowohl im Deutschen als auch im Englischen verbreiteten – Lesart Herabwürdigung, gesellschaftliche und soziale Ausgrenzung
des Ausdrucks Diskriminierung und bezeichnet demgegenüber die bewusste Bevorzugung von Menschen, die einer Bevölkerungsgruppe angehören, die üblicherweise benachteiligt wird oder unterprivilegiert ist, um diese Nachteile auszugleichen.
Positive Diskriminierung begegnet zunächst über Anführungszeichen als noch nicht im deutschen Wortschatz als feste Wortverbindung sedimentiert markiert und in Bezug auf England (1978, 1985a). Das legt nahe, dass die Bildung mindestens unter Einfluss des Englischen erfolgt. Im britischen Englisch ist das bedeutungsgleiche positive discrimination seit den 1960er bezeugt (vgl. 3OED unter positive discrimination, n.). Im englischsprachigen Raum steht daneben zudem die ältere Wortverbindung affirmative action. Sie bezeichnet ursprünglich US-amerikanische Maßnahmen zur Bestätigung einer etablierten Politik, spätestens ab der Mitte des Jahrhunderts aber ebenfalls insbesondere aktive Maßnahmen etwa eines Arbeitgebers oder einer Hochschule, um Mitgliedern von Minderheitengruppen, Frauen oder anderen Personen, die als diskriminiert gelten, Chancen zu bieten (vgl. 3OED unter affirmative action, n.). Im Deutschen begegnet der Mehrwortausdruck positive Diskriminierung auch als deutschsprachige Entsprechung zu affirmative action (2002).
Verwendungen im deutschsprachigen Raum
Im deutschsprachigen Raum begegnet positive Diskriminierung zunächst besonders in Bezug auf die Gleichstellung der Frau (1982, 1985b, 1988a). Verwendungen in einem weiteren, auch andere marginalisierte gesellschaftliche Gruppen und Minderheiten einschließenden Sinn sind zunächst auf andere Staatsgebiete bezogen (1988b, 1993, 1995a). Erst etwas später begegnet auch der Gebrauch in Bezug auf den deutschsprachigen Raum (1994a, 2005a, 2006a, 2006b). Im Übrigen trägt der Mehrwortausdruck zentral den Bedeutungsaspekt einer gezielten (politischen) Förderung (2013).
Der hier behandelte Mehrwortausdruck positive Diskriminierung in genannter Bedeutung ist abzugrenzen von solchen okkasionellen Wortverbindungen, in denen positive Diskriminierung eine spezifische Form der Herabwürdigung und gesellschaftlichen Ausgrenzung adressiert. Genauer handelt es sich bei Letzteren um solche sprachlichen und außersprachlichen Akte, die auf der semantischen Oberfläche positiv erscheinen und möglicherweise vom je individuellen Sprecher auch so gemeint sein können, gleichwohl auf struktureller Ebene aber gewollt oder ungewollt eine Form der Diskriminierung bleiben (2001, 2005b).
Frauenquote und Quotenfrau. Wörter im semantischen Umfeld
Im Umfeld der Debatten um eine positive Diskriminierung insbesondere der Frauen begegnen weitere Neologismen, so insbesondere Frauenquote (2006b). Das Kompositum aus Frau und Quote ist wohl auf Debatten um eine Quotierung des Frauenanteils als Mittel der gezielten Förderung von Frauen im Sinne einer positiven Diskriminierung zurückzuführen (1988a, 1992a, 1994b). Frauenquote ist im Deutschen vereinzelt und in Bezug auf den englischsprachigen Raum seit den 1960ern belegt (1968), ab den 1980ern und vor dem Hintergrund entsprechender Debatten dann auch in Bezug auf den deutschsprachigen Raum (1980, 1986). Frauenquote bezeichnet hier ein politisches Fördermittel, das einen bestimmten Anteil an Frauen für bestimmte Positionen zur Förderung der Gleichberechtigung vorschreibt. Daneben stehen Verwendungen, in denen das Wort im rein statistischen Sinn verwendet wird (1972, 1988c).
Vermutlich vor dem Hintergrund der Verbreitung von Frauenquote ist ab Mitte der 1980er Jahre zudem der Neologismus Quotenfrau belegt (1985c). Während Frauenquote je nach Sprecherposition positiv (1995b) oder auch negativ (1994c) konnotiert sein kann, ist Quotenfrau wohl mehrheitlich negativ belegt und trägt zentral die Bedeutung Frau, die ihre Position (nur) aufgrund der Quotierungsregelungen, nicht aufgrund ihrer Kompetenzen und Leistungen hat
(1991, 1992b, 1994d). Selbst in vermeintlich positiven Äußerungen schwingen diese negativen Konnotationen mit (1994e).
Literatur
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Belegauswahl
Die Zeit, 13. 9. 1968, Nr. 37. [DWDS] (zeit.de)Die Labour Party will es ihnen gleichtun, denn ihrem Blackpooler Kongreß in drei Wochen liegt eine Resolution vor, die Frauenquote bei den Vorstandswahlen ganz abzuschaffen.
Der Spiegel, 10. 4. 1972, S. 96. [IDS]Die Frauenquote ist in den einzelnen Sektoren der sowjetischen Wirtschaft unterschiedlich hoch: In der Landwirtschaft sind 45 Prozent der Beschäftigten Frauen, in der Industrie 48 Prozent, im öffentlichen Dienst 61 Prozent.
Die Zeit, 17. 2. 1978, Nr. 08. [DWDS] (zeit.de)Auch in England mag „positive Diskriminierung“ unumgänglich sein.
Die Zeit, 7. 11. 1980, Nr. 46. [DWDS] (zeit.de)Männer, das zeigt die Erfahrung und jetzt auch ihre Empörung über eine vorgeschriebene Frauenquote, geben freiwillig keine Privilegien ab.
Die Zeit, 4. 12. 1981, S. 14. [IDS]Der vierte Grundsatz „Parität oder gar positive Diskriminierung für die Frauen“ macht sich gut, hat aber offenkundig wenig zu bedeuten: Die alternativen Männer beherrschten die Diskussion.
Die Zeit, 19. 2. 1982, S. 14. [IDS]Die erhob noch einmal ihr Haupt, als die SDP-Konferenz darüber beschließen mußte, eine „positive Diskriminierung“ von Frauen in ihren Führungsgremien vorzunehmen.
Die Zeit, 4. 2. 1983, Nr. 06. [DWDS] (zeit.de)Die hanseatische Richtlinie ist das, was man positive Diskriminierung nennt.
Die Zeit, 12. 4. 1985, Nr. 16. [DWDS] (zeit.de)Die Labour Party appelliert an die Toleranz und begnügt sich mit Lippenbekenntnissen zu einer „positiven Diskriminierung“ der Farbigen.
Die Zeit, 20. 9. 1985, Nr. 39. [DWDS] (zeit.de)Gleichstellung der Frau, auch durch positive Diskriminierung.
Die Zeit, 20. 9. 1985, Nr. 39. [DWDS] (zeit.de)Im Dreisprung über Alibifrau und Quotenfrau zur Gleichberechtigung?
Die Zeit, 14. 3. 1986, Nr. 12. [DWDS] (zeit.de)Verständlich, es ging um Frauenquoten und Frauen-Förderpläne, die eine (noch) Männer-Mehrheit gutheißen muß.
Die Zeit, 26. 8. 1988, Nr. 35. [DWDS] (zeit.de)Die Stimmung dürfte so ähnlich gewesen sein wie heute, wo es um „positive Diskriminierung“ von Frauen im öffentlichen Dienst durch sogenannte „Frauenförderpläne“ und durch Quotierung geht.
Die Zeit, 26. 8. 1988, Nr. 35. [DWDS] (zeit.de)Mit Maßnahmen der positiven Diskriminierung für die eingewanderten Arbeitskräfte beispielsweise. Was mit den Immigranten geschehe – die perfide Vokabel „Gastarbeiter“ gibt es im Französischen nicht – gleiche immer mehr einer sanften Apartheid.
Die Zeit, 23. 9. 1988, Nr. 39. [DWDS] (zeit.de)Bei den neu gemeldeten Infektionen mit dem HI-Virus ist die Frauenquote seit 1985 nahezu unverändert.
Die Zeit, 17. 5. 1991, Nr. 21. [DWDS] (zeit.de)Immer mehr tüchtige Frauen rücken in wichtige Führungspositionen auf und beweisen, daß sie keine Quotenfrauen sind.
Süddeutsche Zeitung, 12. 2. 1992, S. 0. – Sachgebiet: Lokales / Kultur, Originalressort: Münchner Kultur; Gefährliche Befreiung von Tabus. [IDS]Hier in Deutschland wird es etwas schwieriger. Man muß eine Quote einführen: In den nächsten Jahren werden sämtliche wissenschaftlichen Stellen nur mit Frauen besetzt. Die Amerikaner nennen das positive Diskriminierung.
Die Zeit, 28. 8. 1992, Nr. 36. [DWDS] (zeit.de)Die Einstellung der betroffenen Frauen wird als bloße Folge der Fördermaßnahme angesehen; ihre Qualifikation wird um so mehr in Frage gestellt – die Quotenfrau läßt grüßen.
Die Zeit, 11. 6. 1993, Nr. 24. [DWDS] (zeit.de)Junge Schwarze erblicken immer noch ihre Lebenschancen im Sport und in der Unterhaltungsbranche, aber auch in der Wirtschaft, in freien Berufen. Der Gesetzgeber hat eine Art positive Diskriminierung zugunsten der Minderheiten festgeschrieben. Selbstverständlich besitzen die meisten Einwanderer einen britischen Paß, und auch die doppelte Staatsangehörigkeit ist kein Tabu.
Salzburger Nachrichten, 30. 6. 1994. [IDS]Auf der anderen Seite ist der Antrag der grünen Abgeordneten Christine Heindl zu behandeln, der eine „positive Diskriminierung“ ausländischer Kinder in der österreichischen Schule fordert.
Süddeutsche Zeitung, 5. 3. 1994, S. 55. [IDS]Heide Langguth vom DGB fordert einen Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze und gleiche Chancen für Frauen im Berufsleben. Dazu sei eine positive Diskriminierung und Quotierung in allen gesellschaftlichen Bereichen nötig.
Berliner Zeitung, 8. 3. 1994. [DWDS]„Von Frauenquoten halten wir zwar nichts“, sagte Sprecherin Ilona Thede. Aber es gelte die Wiedereinstellungszusage nach drei Jahren Babypause.
Die Zeit, 18. 3. 1994, Nr. 12. [DWDS] (zeit.de)Keine Quotenfrau, sondern eine ausgewiesene Spezialistin, der man eine zehnte documenta „mit Blick nach vorn“, wie es sich die Veranstalter für 1997 selbstverständlich erhoffen, getrost zutrauen darf.
Berliner Zeitung, 5. 3. 1994. [DWDS]Trotzdem schlagen Quotenfrauen die Schneise für alle Frauen, die später einmal kommen werden.
Berliner Zeitung, 14. 6. 1995. [DWDS]In beiden Fällen handele es sich um Rassendiskriminierung. Positive Diskriminierung ist der Versuch, rassisch oder sozial Benachteiligten einen Startvorteil zu geben. Seit Ende der sechziger Jahren entstanden in den USA ungezählte derartige Programme.
Berliner Zeitung, 24. 2. 1995. [DWDS]Dem deutschen Frauenrat ist ein Tag Narrenfreiheit zur Weiberfastnacht zu wenig. Er fordert eine Frauenquote für die Elferräte, die „Chefetage“ der Karnevalsvereine.
Berliner Zeitung, 15. 1. 2001. [DWDS]„[…] Von Wolfgang Joop bis Alfred Biolek stellen sie mittlerweile sogar für die konservative Hausfrau eine Instanz dar. “ Sind das noch Komplimente oder ist das schon positive Diskriminierung?
Berliner Zeitung, 26. 3. 2002. [DWDS]Zwar haben Förderprogramme, wie „affirmative action“ – die positive Diskriminierung bei der Vergabe von öffentlichen Stellen – die Quote der Schwarzen in der Hochschulausbildung und in den gehobeneren Berufszweigen gefördert.
Berliner Zeitung, 22. 1. 2005. [DWDS]Alter: Dass eine Bank einem 70-Jährigen den Dispo-Kredit wegen seines Alters streicht, soll künftig per Gesetz verboten sein. „Positive Diskriminierung“ bleibt hingegen erlaubt: Den Seniorenteller wird es auch künftig geben.
Berliner Zeitung, 6. 7. 2005. [DWDS]Sie fürchtet einen Huntington’schen Prozess der Neo-Orientalisierung, das Klischee von Istanbul als Brücke zwischen Orient und Okzident hält sie für eine europäische Mittelstandskonzeption, die noch immer auf die Türkei herabschaut. In der Reduzierung Istanbuls auf einen „Spiegel der zweigeteilten Welt“ erkennt sie „positive Diskriminierung“. Sie sei den Jargon des Tourismus-Ministeriums leid, welches mit tanzenden Derwischen und ottomanischem Design Propaganda betreibe.
Die Zeit, 6. 7. 2006, Nr. 28. [DWDS] (zeit.de)Wie lassen sich solche Schulen und Stadtteile Ihrer Meinung nach retten? Pavkovic: Durch eine positive Diskriminierung. Schulen mit einer hohen Konzentration benachteiligter Kinder benötigen eine bessere Ausstattung und die besten Lehrkräfte.
Die Zeit, 4. 8. 2006, Nr. 32. [DWDS] (zeit.de)Wissenschaftler betonen seit langem, dass sich auch die Einstellungspolitik öffentlicher Institutionen und privater Unternehmen ändern muss, um Menschen mit Migrationshintergrund für die Bandbreite aller Berufsfelder zu gewinnen. Seltsamerweise wird ein Thema in der Debatte bislang sorgsam umschifft: Positive Diskriminierung. Hierzulande ist sie etwa in der Frauenquote oder der bevorzugten Einstellung von Menschen mit Behinderungen bereits von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert.
Die Zeit, 18. 7. 2013, Nr. 30. [DWDS] (zeit.de)Die Politik will die Tibeter durch positive Diskriminierung fördern, die Realität des Wirtschaftslebens konterkariert das oft.