Wortgeschichte
Diskriminieren – Diskrimination – Diskriminierung. Herkunft und frühe Verwendungen
Diskriminieren ist auf lateinisch discrīmināre trennen, absondern, unterscheiden
zurückzuführen. Es ist im Deutschen bereits im 16. und 18. Jahrhundert vereinzelt bezeugt (vgl. 2DFWB unter diskriminieren). Entsprechend der Entlehnungsgrundlage trägt es zunächst die heute kaum mehr gängige Bedeutung unterscheiden
; Gladov beispielsweise bucht das Wort in seinem Wörterbuch A la Mode-Sprach der Teutschen 1727 in entsprechender Bedeutung (A la Mode-Sprach 205). Im 19. Jahrhundert ist das Wort in dieser Lesart bezeugt – allerdings auffällig häufig bis ausschließlich auf Ebene von Nachschlagewerken und damit auf letztlich metasprachlicher Ebene (1883, 1890). Das spiegeln auch die im 2DFWB unter diskriminieren gebuchten älteren Belege wieder. Weitere Verbreitung in auch nicht-metasprachlichen Quellen findet das Verb erst seit dem beginnenden 20. Jahrhundert (1908, 1910a).
In der Bedeutung unterscheiden
ist diskriminieren auch im 20. Jahrhundert noch gelegentlich bezeugt (1908), insgesamt bleibt diese Lesart allerdings selten und kann heute wohl als veraltet gelten. Das Substantiv Diskriminierung, eine Ableitung zu diskriminieren, ist in entsprechender Bedeutung Unterscheidung
ebenfalls bereits im 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert belegt; daneben steht zunächst allerding etwas häufiger das direkt an das Lateinische anschließende Diskrimination (1854, 1921). Selten ist auch Diskriminierung bzw. Diskrimination noch in entsprechender Bedeutung belegt (1981).
Unterschiedlich behandeln
. Verwendungen in wirtschaftspolitischen Zusammenhängen
Möglicherweise vorbereitet durch die Verbindung diskriminierende Zölle, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Synonym zu Differenzialzölle ist (1854, 1888), begegnet diskriminieren ab Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend in wirtschaftlichen bzw. wirtschaftspolitischen Zusammenhängen (1910a, 1910b). Dabei trägt das Verb nunmehr die neue Bedeutung unterschiedlich behandeln
und nimmt in diesem Zusammenhang nun auch den Bedeutungsaspekt benachteiligen
an (1911, 1932). In dieser Lesart ist das Wort in Texten der 40er und 50er Jahren relativ präsent (1947, 1957) und auch heute noch gängig (2000a).
Das Substantiv Diskriminierung ist seinerseits in entsprechender Lesart belegt (1932, 1950a). Das Gabler Wirtschaftslexikon bucht Diskriminierung in Bezug auf die Außenwirtschaft mit der Bedeutung unterschiedliche Behandlung der einzelnen Partnerstaaten hinsichtlich des Waren-, Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrs
und verweist in Bezug auf das Wettbewerbsrecht auf die Einträge zu Behinderungswettbewerb und zum deutschen und europäischen Kartellrecht (vgl. Gabler online unter Diskriminierung).
Herabwürdigen, sozial ausgrenzen
. Die gesellschaftliche Lesart
Spätestens in den 1930er Jahren wird diskriminieren in der Bedeutung benachteiligen
auf den gesellschaftlichen Bereich übertragen. Im Englischen ist die Bedeutung eine Person oder Gruppe aufgrund von bestimmten Merkmalen ungerecht oder nachteilig behandeln
bereits im 19. Jahrhundert bezeugt ist (vgl. 3OED unter discriminate, v.), ein Einfluss auf die Bedeutungsentwicklung im Deutschen ist also nicht auszuschließen. Weitere Verbreitung scheint das Wort, das in dieser Bedeutung nun eine deutliche negative Wertung trägt, in der gesellschaftlichen Lesart jedoch erst ab Mitte der 1930er Jahre zu finden. Einzelne Belege lassen vermuten, dass die pejorative Verwendung zunächst im NS-Sprachgebrauch1) für eine als Benachteiligung wahrgenommene Behandlung der Deutschen erhält (1934c, 1934a, 1939). Diskriminieren bzw. Diskriminierung begegnet hier auch gemeinsam mit diffamieren bzw. Diffamierung (1934b, 1937).
Nach 1945 begegnet das Substantiv Diskriminierung gelegentlich in Bezug auf den Nationalsozialismus (1945a, 1945c). Daneben stehen Verwendungen auch in Bezug beispielsweise auf die Segregation in den Vereinigten Staaten (1948; vgl. auch SegregationWGd) oder in Bezug auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen (1950b). Insofern wird nunmehr ein breites Spektrum unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere Minderheiten und Marginalisierte, adressiert.
Das Verb wird spätestens nach 1945 in der breiteren Lesart in Bezug auf die Ungleichbehandlung und Ausgrenzung aufgrund ganz heterogener Gründe verwendet (1945b, 2000c). In entsprechender Bedeutung ist das Substantiv Diskriminierung zudem ein Wort der Fachsprache der Soziologie. Das 3Wörterbuch der Soziologie gibt es mit der Bedeutung wahrgenommene ungerechtfertigte Schlechterbehandlung von Mitgliedern einer sozialen Gruppe oder einer sozialen Kategorie allein auf der Basis ihrer Gruppen- bzw. Kategorienmitgliedschaft
an und führt eine Abgrenzung der wissenschaftliche Verwendung von einer allgemeinsprachlichen ein über eine mitunter große Perspektivdivergenz (d. h. unterschiedliche Ansichten über die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens) zwischen den jeweiligen Positionen
im Aushandlungsprozess zwischen Opfern, Tätern und nicht direkt betroffenen Gruppen (3Wörterbuch der Soziologie, 80; vgl. daneben auch S. 81).
Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu diskriminieren und Diskriminierung
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Für Verb und Substantiv zeigt sich im Übrigen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Anstieg der Verwendungsfrequenz (vgl. die entsprechende bedeutungsübergreifende Wortverlaufskurven zu diskriminieren und Diskriminierung des Google NGram Viewers und des DWDS [Abb. 1]). Das jüngere Substantiv löst das Verb hinsichtlich der Verwendungshäufigkeit dabei deutlich ab. Möglicherweise hängen die weitere Verbreitung des Wortes und die Durchsetzung der auf die Gesellschaft bezogenen Lesart als allgemeinsprachlich dominante mit entsprechenden Debatten etwa um Marginalität auch in fachwissenschaftlichen Kontexten zusammen.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bürgert sich, vermutlich unter Einfluss des Englischen, im Übrigen auch die feste Wortverbindung positive DiskriminierungWGd im Deutschen ein. Sie bezeichnet die bewusste Bevorzugung von Menschen, die einer Bevölkerungsgruppe angehören, die üblicherweise benachteiligt wird oder unterprivilegiert ist, um diese Nachteile auszugleichen.
Semantisches Feld
Abb. 2: DWDS-Wortverlaufskurve zu Ungleichbehandlung
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Diskriminierung und diskriminieren begegnen häufiger gemeinsam mit Benachteiligung (1953, 1972b), sowie mit dem Kompositum Ungleichbehandlung (1984, 2001). Letzteres ist in der Bedeutung unterschiedlicher, meist ungerechter Umgang mit jemandem oder etwas
(vgl. DWDS unter Ungleichbehandlung im Deutschen vereinzelt bereits im 19. Jahrhundert (1893), seit Mitte des 20. Jahrhunderts vermehrt bezeugt (vgl. Abb. 2 sowie die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Diskriminierung erscheint dabei wenigstens in Teilen als eine Steigerung von Ungleichbehandlung, insofern es stärker auch auf das Strukturelle, auf die strukturellen Ursachen von Ungleichbehandlung abhebt (1988, 1999b); allerdings können die beiden Wörter auch nahezu synonym begegnen (1999a). Darüber hinaus gehören Wörter wie stigmatisierenWGd (2000b), privilegieren bzw. privilegiert (1972a, 2003) und gleichberechtigt (1971, 1990) zum semantischen Feld.
Anmerkungen
1) Cornelia Schmitz-Berning macht keine Angaben zu diskriminieren oder Diskriminierung im Sprachgebrauch des Nationalsozialismus. Vgl. Schmitz-Berning 2000.
Literatur
A la Mode-Sprach Gladov, Friedrich: A la Mode-Sprach der Teutschen Oder Compendieuses Hand-Lexicon. Jn welchem die meisten aus fremden Sprachen entlehnte Wörter und gewöhnliche Redens-Arten, So in denen Zeitungen, Briefen und täglichen Conversationen vorkommen, Klar und deutlich erkläret werden. Nürnberg 1727. (deutschestextarchiv.de)
2DFWB Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache von Gerhard Strauß u. a. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1995 ff. (owid.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Gabler online Gabler Wirtschaftslexikon Online. Das Wissen der Experten. Wiesbaden 2009 ff. (gabler.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Schmitz-Berning 2000 Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin/New York 2000 [Nachdruck der Ausg. Berlin/New York 1998].
3Wörterbuch der Soziologie Wörterbuch der Soziologie. Hrsg. von Günter Endruweit/Gisela Trommsdorff/Nicole Burzan. 3., völlig überarb. Aufl. Konstanz u. a. 2014.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu diskriminieren, Diskriminierung, Ungleichbehandlung.