Wortgeschichte
Wortbildung: Muster und historische Vorläufer
Bei gutbürgerlich echt bürgerlich, in für das Bürgertum typischer Weise
handelt es sich um ein adjektivisches Kompositum, dessen Erstglied gut eine adverbiale Bestimmung zu bürgerlichWGd darstellt. Die hier vorliegende Wortbildung ist von ihrer Struktur her also mit Adjektiven wie schwerreich oder frühreif zu vergleichen (vgl. Fleischer/Barz 2012, 325, 1DWB 4, I, 6, 1350DWDS). Dem Kompositum geht die getrenntgeschriebene Wortfolge gut bürgerlich voraus, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bezeugt ist (1798). Die Getrenntschreibung ist mit dem Aufkommen von gutbürgerlich allerdings nicht verschwunden; vielmehr ist neben gutbürgerlich auch weiterhin gut bürgerlich belegt, ohne dass dies mit einem Bedeutungsunterschied einhergeht(vgl. etwa 1907, 1920 mit Getrenntschreibung).
Gutbürgerlich schließt an eine bestimmte Verwendung von gut an, die schon mindestens seit dem 17. Jahrhundert bezeugt ist (1609, s. auch 1DWB 4, I, 6, 1329DWDS). Die Bedeutung, die das adverbiale gut in der Verbindung mit einem Adjektiv trägt, lässt sich umschreiben als in typischer, vorbildlicher Weise
und daher echt, unverfälscht
. Hier zeigt gut das Vorliegen einer charakteristischen oder besonders positiven Ausprägung der betreffenden Eigenschaft an: Gut katholisch beispielsweise ist jemand, der in seiner Einstellung und seinem Betragen echt katholisch
ist und daher den einschlägigen Ansprüchen an den Eigenschaftsträger vollauf genügt (vgl. auch die Verbindungen gut bairisch, gut berlinisch, 1DWB 4, I, 6, 1329DWDS). Mit gut bürgerlich echt bürgerlich
direkt vergleichbare Verbindungen, die ebenfalls eine soziale Kategorie enthalten (denkbar wäre gut adlig), sind freilich nicht bezeugt. In dieser Hinsicht steht die Bildung somit für sich.1)
Selbstbewusst und spießig: Zum Bedeutungsspektrum
Gutbürgerlich bringt typische Verhaltensweisen und Repräsentationsformen des Bürgerlichen zum Ausdruck (vgl. etwa 1894, 1889). Da das Konzept des BürgersWGd allerdings sehr weit gefasst ist, weist die Bildung eine entsprechend große Bandbreite semantischer Schattierungen auf. So kann sich das Wort auf verschiedene positive wie negative Vorstellungen beziehen, die herkömmlicherweise mit der Figur des Bürgers assoziiert werden: so mit einer dem Bürgertum in Abgrenzung zum Adel und dem PöbelWGd zugesprochenen Sittsamkeit (1798, als Gegensatz zu pöbelhaftWGd) oder später dann auch mit Eigenschaften wie solide, geordnet, gediegen
(1853, 1900, 1934, 1966, 1985, 2006). Gutbürgerlich kann dabei auch ins Enge und Spießige tendieren (1903; vgl. spießbürgerlichWGd). Im Laufe der Gebrauchsgeschichte scheinen sich die negativ aufgeladenen Zuschreibungen tendenziell eher verstärkt zu haben, während in den älteren Belegen ein positiver Blick überwiegt (vgl. auch die Belege 1822, 1863, 1907, die bürgerliches Standesbewusstsein akzentuieren). Offensichtlich von der jeweils sprechspezifischen Einstellung zum Bürgertum abhängig ist der Gebrauch in Verbindungen wie gutbürgerliches Haus, gutbürgerliche Herkunft u. ä., in denen auf bestimmte soziale Verhältnisse verwiesen wird, aus denen jemand stammt (1922, 1930, 1972, 1983, 2000, 2006). In diesem Fall wird meist auch auf den wohlhabenden, bessergestellten Teil des Bürgertums Bezug genommen.
Kohlroulade und Co.: die gutbürgerliche Küche
Einen deutlich erkennbaren Bedeutungswandel weist gutbürgerlich in der Verbindung mit Ausdrücken wie Essen, Küche oder Gastronomie auf (vgl. 1870, 1988). In solchen Zusammenhängen hat das Adjektiv eine sehr spezifische und in sich recht komplexe Bedeutung angenommen, die mit traditionell, einfach zubereitet und gleichzeitig gehaltvoll
(von Speisen) umschrieben werden kann. Hier ist von einer metonymischen Übertragung auszugehen: Mit gutbürgerlichem Essen wird zunächst auf ein für bürgerliche Haushalte typisches Essen verwiesen, dem die eben genannten Eigenschaften zugeschrieben werden. Im Laufe des Bedeutungswandels verlagert sich der semantische Fokus dann von der sozialen Zuordnung auf Eigenschaften der Speisen selbst, so dass heute gutbürgerliches Essen nicht mehr nur in einem gutbürgerlichen Haushalt auf den Tisch kommen muss.
Anmerkungen
1) In 1DWB 4, I, 6, 1382 wird die Bildung allerdings auf eine andere Verwendung des Adjektivs gut zurückgeführt, nämlich auf gut im Sinne von wohlhabend
(dazu In 1DWB 4, I, 6, 1267DWDS).
Literatur
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu gutbürgerlich.