Wortgeschichte
Kurzwortbildung
Prolet ist eine Kurzwortbildung aus der Personenbezeichnung ProletarierWGd. Welche Vorbilder es für diese Kürzung gab, bleibt unklar; zu denken wäre an Personenbezeichnungen auf -et wie Prophet oder Exeget, allerdings liegen diese semantisch eher fern. In jedem Fall handelt es sich um eine als umgangssprachlich einzuordnende Bildung, die zuerst in Zeitungstexten der 1870er Jahre belegbar ist (1871).
Das Wort bringt zunächst eine Abwertung zum Ausdruck und kann auch als beleidigend empfunden werden (1874, 1970): Eine als Prolet bezeichnete Person wird als Angehöriger der Arbeiterklasse
nicht nur der untersten Schicht einer Gesellschaft zugeordnet, dieser Person wird vielfach auch ein (vorgeblich) unterschichtentypisches Verhalten unterstellt bzw. ihr werden entsprechende Charaktereigenschaften wie Rohheit und Kulturlosigkeit zugeschrieben (1914, 1925, 1972). Prolet kann daher auch Person ohne Manieren
bedeuten und sich auf Angehörige unterschiedlicher sozialer Gruppen beziehen.
Affirmative Aneignung
Auch wenn Prolet von Beginn an eine deutliche Abwertung ausdrückt, so bleibt doch festzuhalten, dass es in bestimmten Zusammenhängen neutral gebraucht wird oder sogar ins Positive gewendet sein kann. Solche meliorativen Lesarten finden sich in Texten, die dem Sozialismus zuzurechnen sind. Hier wird das ursprünglich abwertende Prolet semantisch umgedreht
: Der Prolet erscheint hier als musterhafter Vertreter seiner Klasse, der auf bürgerliches Dekor verzichten kann (1949a, 1949b, 1955). Prolet hat hier somit die Lesart Anhänger des Sozialismus, typischer Vertreter der Arbeiterklasse im Sinne der sozialistischen Ideologie
. Im Hinblick auf die Entstehung dieser Bedeutung bleibt allerdings zu klären, inwiefern hier der auf das Russische zurückgehende Ausdruck ProletkultDWDS, der für eine radikale sozialistische Kunstbewegung aus der Zeit zwischen 1920 und 1930 steht, einen Einfluss ausgeübt haben könnte. Auch in diesem Ausdruck kommt jedenfalls eine positive, stark identifikatorische Sicht auf die Figur des Proleten zum Vorschein.
In der zuletzt genannten Lesart ist das Wort als ein weiteres Beispiel für eine besondere Form der Bedeutungsverbesserung anzusehen, die man als affirmative Aneignung bezeichnen kann. Beispiele für diese Spielart des Bedeutungswandels sind auch jüngere Wörter wie queer oder Nerd. Hier wird in einem bewussten und zielgerichteten Akt der Bedeutungssetzung ein ursprünglich abwertender Ausdruck affirmativ verwendet. Indem Sprecherinnen und Sprecher einer diskriminierten Gruppe eine abwertende Fremdbezeichnung nunmehr in eine positive oder neutrale Eigenbezeichnung verkehren, findet eine Art sprachliche Selbstermächtigung statt, die zugleich die hohe Identifikation mit der eigenen Person oder Gruppe markiert: Ihr könnt mich ruhig abwertend als X bezeichnen, ich bin mir des eigenen Wertes aber so bewusst, dass ich die Bezeichnung X ohne Gesichtsverlust übernehmen kann
. Diese Inversion der Beleidigung zieht auch eine Umkehr des Täter-Opfer-Schemas nach sich: Wer jemanden abschätzig als Prolet, Nerd oder queer bezeichnet, sagt mehr etwas über seine eigenen Vorurteile als über mich aus
.
Weitere Kurzwortbildungen: Proll und Prolo
Zu dem bereits aus ProletarierWGd gekürzten Prolet treten in den 1980er bzw. 1990er Jahren mit Proll und Prolo weitere Kurzwortbildungen. Prolo ist 1982 zuerst nachzuweisen. Es stellt zunächst eine jugendsprachliche Bildung dar, die aber bald in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen wird (1986, 1997, 2001). Das Wort folgt dabei in morphologischer Hinsicht dem jugendsprachlich-umgangssprachlichen Muster der auf –o ausgehenden Personenbezeichnungen, die auf der Basis eines Adjektivs oder Substantivs gebildet sind (vgl. dazu NormaloWGd).
Proll kommt in den 1990er Jahren auf und ist ebenfalls als umgangssprachlich zu bewerten (1995a, 2000, 2004). Dazu ist auch das Adjektiv prollig typisch für einen Proll, ungehobelt
belegt (1995b). Bei Proll und prollig wäre ggf. über einen Einfluss des Verbs prollen laut herumschreien
nachzudenken. Da es sich hierbei um ein Wort mit lediglich regionaler Verbreitung handelt (schwerpunktmäßig im Rheinischen, s. Rheinisches Wörterbuch 6, 1125), ist dies aber wenig wahrscheinlich.
Literatur
Rheinisches Wörterbuch Rheinisches Wörterbuch. Auf Grund der von J. Franck begonnenen, von allen Kreisen des rheinischen Volkes unterstützten Sammlung. Bd. 1–9. Bonn/Berlin 1928–1971. (woerterbuchnetz.de)