Wortgeschichte
Bedeutungsverengung bei der Entlehnung aus dem Englischen
Lifestyle ist auf den ersten Blick ein englisches Wort. Dennoch unterscheidet sich die Verwendung im Englischen von der im Deutschen durchaus: Im Englischen bedeutet lifestyle [a] style or way of living (associated with an individual person, a society, etc.); esp. the characteristic manner in which a person lives (or chooses to live) his or her life
sowie [i]n Adlerian psychology: a pattern of reactions and behaviour that is established in childhood and remains characteristic of an individual
(3OED unter lifestyle). Damit entspricht das englische lifestyle in seiner Bedeutung dem deutschen LebensstilWGd. Im Deutschen hingegen steht Lifestyle für einen ganz bestimmten Lebensstil, genauer einen, zu dessen Konnotationen Modernität (1999), Trendorientierung und Interesse für Mode und Design (1998, 2000a), Urbanität und ein Leben am Puls der Zeit (2012) gehören, daneben auch Gesundheit und Fitness (2002, 2004), schließlich Konsum (2000b) oder – gewissermaßen als Gegenentwurf zu Letzterem – jüngst auch Minimalismus (2019). Einen Lifestyle zu pflegen erfüllt die Funktion der Distinktion (1987, 1994, 2000b, 2001). Lifestyle bedeutet im Gegensatz zur breiteren Bedeutung im Englischen im Deutschen also Lebensstil, der dem Zeitgeist entspricht und der der sozialen Distinktion dient
. Lifestyle ist mithin, betrachtet man die Relation der beiden Wörter im Deutschen zueinander, ein spezifischer Lebensstil und also ein Unterbegriff zu Lebensstil.
Entlehnung und Rückentlehnung. Von Lebensführung zu Lifestyle
Wortgeschichtlich betrachtet handelt es sich bei Lifestyle um eine doppelte Entlehnungsgeschichte: Lifestyle entspricht im Englischen nicht nur in der Bedeutung dem deutschen Lebensstil, es geht auch auf das Deutsche zurück. Das Oxford English Dictionary verzeichnet als origin: Formed within English, by compounding; modelled on a German lexical item
(3OED unter lifestyle). Auch für die Entstehung des englischen Wortes lifestyle werden die Schriften von Alfred Adler eine gewisse Rolle gespielt haben. In Problems of Neurosis (1929) verwendet Adler mehrfach life-style
(etwa 1929a, 1929b, 1929c), noch allerdings mit Bindestrich, was dafürspricht, dass es sich noch nicht um ein eingeführtes Wort handelt. Vor 1929 bucht das Oxford English Dictionary lediglich einen Beleg, in dem das Wort nicht nur mit Bindestrich geschrieben wird, sondern zudem auch in Anführungszeichen gesetzt und so als Wortneuschöpfung markiert wird (vgl. 3OED unter lifestyle).
Für die Verbreitung des Wortes im Englischen über den Bereich der Individualpsychologie hinaus mögen die Übersetzungen der Schriften Max Webers eine Rolle gespielt haben (vgl. ÄGB 5, 696): 1946 übersetzen H. H. Gerth und C. Wright Mills Webers LebensführungWGd (sic!) mit style of life (1922, 1958). Das Oxford English Dictionary bucht erst ab 1946 Belege für lifestyle in der Bedeutung style or way of living
(3OED unter lifestyle). In den 1960er Jahren findet lifestyle im englischsprachigen Raum in Anlehnung an die Weber-Übersetzung einerseits und an Louis Wirths way of life (Wirth 1938) andererseits Eingang in die entstehende Konsum- und Werbeforschung (vgl. ÄGB 5, 696).
Das englische lifestyle wiederum wird spätestens in den 1980er Jahren mit der bereits dargelegten semantischen Verengung zurück ins Deutsche entlehnt (1987). Mindestens seit den 1990er Jahren kann es als etabliert im Wortschatz des Deutschen gelten. Dabei besteht eine gewisse inhaltliche Nähe zwischen den Zielen einer Konsum- und Werbeforschung einerseits und einer Reihe der dargelegten Bedeutungsaspekte von Lifestyle im Deutschen andererseits. Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass der Grund für die spezifische semantische Kontur des Wortes Lifestyle im Deutschen in der Entlehnung aus den Diskursen der Werbe- und Konsumforschung zu suchen ist.
Literatur
Adler 1929 Adler, Alfred: Problems of Neurosis. A book of case-histories. With a Prefactory Essay by F. G. Crookshank. Edited by Philippe Mairet. London 1929.
ÄGB Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, herausgegeben von Karlheinz Barck u. a. Stuttgart u. a. 2000–2005.
Ansbacher 1967 Ansbacher, Heinz L.: Life Style: A Historical and systematic Review. In: Journal of Individual Psychology (1967), H. 23 (2), S. 191–212.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Soeffner/Raab 2003 Soeffner, Hans-Georg/Jürgen Raab: Art. „Stil“. In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hrsg. von Karlheinz Barck u. a. Bd. 5. Stuttgart/Weimar 2010 [2003], S. 641–703.
Wirth 1938 Wirth, Louis: Urbanism as a way of life. In: The American Journal of Sociology 44/1 (1938), S. 1–24.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Lifestyle.