Wortgeschichte
Berufsverbände und moderner Körperschaftsgedanke
Das Wort Korporation gelangt ausgehend von englisch corporation und durch Vermittlung des Französischen im 18. Jahrhundert ins Deutsche (Rey-Debove/Gagnon 1988, 190; Pfeifer unter KorpsDWDS). Dem englischen Wort liegt mittellateinisch corporatio zugrunde, welches im angelsächsischen Sprachraum in der Bedeutung eine Anzahl von Personen, die eine Einheit darstellen
gebraucht wurde (vgl. 3OED unter corporation). Die enge Bindung an die Gebersprache ist in den ersten Belegen, bei denen es sich um Übersetzungen handelt, noch besonders deutlich (1779a und 1779b1)). Erst einige Jahrzehnte später etabliert sich für den Bereich des Handels die Bedeutung Vereinigung, die alle Mitglieder eines Berufsstandes zusammenfasst und ihre Interessen verteidigt
, womit Korporation allmählich in die Nähe unseres heutigen Verständnisses von KörperschaftWGd rückt (1798, 1851, 1913). Mit Korporation kann daneben auch auf kirchliche Besitzungen Bezug genommen werden, womit ein eher räumlicher Bedeutungsaspekt zum Tragen kommt (1834). Letztendlich weist das Wort und der mit ihm verbundene Organisationsgedanke in einem recht allgemeinen Sinne darauf hin, dass sich selbst verwaltende Gemeinschaften oder autonome Gebilde dieselben Rechte und Rechtsverpflichtungen wie ein Individuum genießen; dies gilt in jüngerer Zeit auch für wissenschaftliche Einrichtungen als öffentlich-rechtliche Institutionen (1968).
Der korporative Gedanke findet bereits im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit in sozialen Gebilden wie Zünften und Gilden Anwendung (vgl. Hardtwig 1997, 11), diese waren sozusagen Körperschaften avant la lettre. Von der Frühen Neuzeit an lassen sich allerdings auch viele Beispiele für Verbände finden, die sowohl Merkmale der idealtypischen traditionellen Korporation als auch der modernen Assoziation, d. h. Zusammenschlüsse, die überwiegend von einer freiwilligen Zugehörigkeit geprägt sind, tragen (vgl. Hardtwig 1997, 55–69). Die Form des gesellschaftlichen Zusammenschlusses, die Ende des 18. Jahrhunderts unter der neuen
Bezeichnung Korporation auftritt, knüpft also gleichwohl an ältere Vorstellungen an. Mit den ersten belegten Nennungen des Wortes wird als entscheidendes Kriterium die Geschlossenheit der Personengemeinschaft deutlich, welche in der Regel von staatlicher Seite genehmigt und anerkannt werden muss (1810, 1821). Im 20. Jahrhundert ist das Wort in der Bedeutung Körperschaft
kaum noch verbreitet. Ausnahmen bilden Bezugnahmen auf den italienischen Korporatismus (1940) bzw. auf geschichtliche Ereignisse (1987).
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Korporatismus verstanden als wirtschaftlich-politisches System der Interessenvermittlung und -beteiligung kann sowohl autoritäre als auch liberale Varianten annehmen. Mit diesem Wort wird jünger noch auf eine ständestaatliche Ordnung verwiesen (1948, 1980c). Synonym dazu begegnet Korporativismus, welches allerdings oftmals genauer als politisches Bestreben, den Staat durch Schaffung von berufsständischen Verbänden zu erneuern
(vgl. HWPh 4,1138 unter Korporation) verstanden wird und meist mit ideologischer Färbung im Kontext des italienischen Faschismus, genauer den Auswirkungen der Carta del Lavaro
anzutreffen ist (1957). Bis in die Gegenwart bleibt beiden Wörtern, beeinflusst durch die Relevanz korporatistischer Modelle in autoritären und diktatorischen Regierungssystemen, offensichtlich ein pejorativer Nebensinn eigen (1980b, 2000). Korporatistische Strukturen können in verschiedenen ökonomischen Sektoren oder einzelnen Politikfeldern ausgemacht werden (1980a, 1997 vgl. HWPh 4,1137 unter Korporation).
In der Gegenwart begegnet Korporation noch im Sinne von Verband
, insbesondere regional hinsichtlich der Organisation von Fastnachts- bzw. Karnevalsveranstaltungen (1993). Neben Korporationen sind Karnevalsgesellschaften auch als Verein organisiert (1950, 2021), regional spezifisch sind ferner Korps und Garde.
Studentische Verbindungen
Neue Formen der Geselligkeit lassen sich auch an der Ausdifferenzierung studentischer Zusammenschlüsse im 19. Jahrhundert ablesen. Vorgänger studentischer Korporationen waren zunächst landsmannschaftliche Vereinigungen, die einer gildenhaften Gemeinschaftsordnung entsprachen (vgl. EdN unter Korporation).
Landsmannschaften nicht-studentischer Art und Studentenorden spalteten sich ab dem 18. Jh. voneinander ab (vgl. HWPh 4, 1137). Es ist davon auszugehen, dass ab etwa 1870 sowohl unter Verbindung als auch unter Korporation ein nach außen geschlossener studentischer Zusammenschluss mit bestimmten verbindungstypischen Grundregeln (etwa dem Convents- und Lebensbundprinzip) verstanden wurde (vgl. Lönnecker 2013, 21); ein Beleg vom Ende des 19. Jahrhunderts in Pfisters Verdeutschungs-Wörterbuch gibt für Korporation als studentischen Ausdruck die Entsprechung Verbindung an (1893).
Der Allgemeine deutsche Sprachverein
nennt 30 Jahre später für das studentische Fremdwort Korporation die Entsprechungen Verbindung, Bund und KörperschaftWGd (1922). Dem ist möglicherweise zu entnehmen, dass Studentenkorporationen als Sammelkategorie für unterschiedliche Verbindungsformen zu verstehen sind; entsprechend tritt Korporation meist synonym oder als Oberbegriff zu verschiedenen Arten der (konfessionell ausgerichteten) Studentenverbindung (1905, 2012b) d. h. zu Corps (1927) und zu Burschenschaft (1975) auf.
Korporationsgemeinden und Nutzungsgenossenschaften
Seit dem Mittelalter nutzen Personenverbände gemeinsam Wälder, Weiden, Alpen, Gewässer und Wege. In der Schweiz werden diese körperschaftlichen Strukturen seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Korporation bezeichnet (1861)2). Auch hier verselbstständigt sich der korporative Gedanke, der teilweise aus den Zünften hervorgegangen ist. Bürgergemeinden, welche die aus der Nutzung kollektiver Ländereien fließenden Rechte und Pflichten bis heute beanspruchen, haben nicht nur Korporationscharakter angenommen, sondern sind zudem unter dieser Bezeichnung anzutreffen (1886, 1933). Heutzutage existieren noch zahlreiche nicht an ein Gemeindegebiet gebundene Korporationen, die in den meisten Kantonen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Eigentumsgarantie und weitgehender Autonomie verstanden werden (2012a).
Anmerkungen
1) Letzteres möglicherweise Übersetzung einer englischen Vorlage History of Japan
.
2) Die Mitglieder dieser Verbände versuchen, ihre Güter einem engen Kreis der ansässigen Bevölkerung vorzubehalten. Neben den Einwohnergemeinden entstehen deshalb vielerorts Bürgergemeinden, welche einen Teil des Bürgergutes vor allem für Fürsorgezwecke verwalten (vgl. HLS unter Korporation).
Literatur
EdN Enzyklopädie der Neuzeit online. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern hrsg. von Friedrich Jaeger. Leiden 2019. [basierend auf der Druckausg. im J. B. Metzler Verlag Stuttgart, 2005–2012]. (brillonline.com)
Hardtwig 1997 Hardtwig, Wolfgang: Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland. Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution. München 1997.
HLS Historisches Lexikon der Schweiz. Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. (hls-dhs-dss.ch)
HWPh Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter, Karlfried Gründer, Gottfried Gabriel. Völlig neubearb. Ausg. des „Wörterbuchs der philosophischen Begriffe“ von Rudolf Eisler. Bd. 1–13. Basel 1971–2007.
Lönnecker 2013 Lönnecker, Harald: „… der deutschen Studentenschaft und unserem Rechtsleben manchen Anstoß geben“. Zwischen Verein und Verbindung, Selbsthilfeorganisation und Studienvereinigung; juristische Zusammenschlüsse an deutschen Hochschulen ca. 1870–1918. Zugl.: Rostock, Univ., Diss., 2013. Aachen 2013.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Rey-Debove/Gagnon 1988 Rey-Debove, Josette/Gagnon, Gilberte: Dictionnaire des anglicismes. Les mots anglais et américains en français. Paris 1988.