Wortgeschichte
Körper in politischen Kontexten
Bei Körperschaft handelt es sich um eine Bildung mit dem Element –schaft, das unter anderem kollektive Bedeutung trägt. Dieses Ableitungselement wird in der Regel an Substantive angefügt, die Personen bezeichnen (wie in ÄrzteschaftDWDS oder NachkommenschaftDWDS). Bei Körperschaft ist dies nicht der Fall, jedoch ist Körper bereits früher in der Lesart Personengemeinschaft
bekannt, im Sinne eine[r] gegliederte[n], organisierte[n] Gesammtheit; ein aus geordnet in einander greifenden Gliedern bestehendes Ganzes
(2Sanders 1, 998c sowie ähnlich 1DWB 11, 1838 unter Körper; dazu auch GG 4, 520). Zu dieser kollektiven Bedeutung von Körper wird –schaft dann wohl verdeutlichend angefügt; es ist damit mit dem älteren Sippschaft vergleichbar, dessen Basis ebenfalls ein Kollektivum ist (zur Wortbildung vgl. Fleischer/Barz 2012, 221f.). – Das Ende des 18. Jahrhunderts erstmals auftretende Körperschaft (1791) ist wohl auf das Vorbild von lateinisch corporātio bzw. französisch corporation zurückzuführen und insofern als Lehnübertragung anzusehen (vgl. 2HRG 3, 186).
Die frühesten Belege zu Körperschaft, die sich Ende des 18. Jahrhunderts verorten lassen, beziehen sich u. a. auf konkrete historische Sachverhalte. Mit Körperschaft werden etwa kirchliche Stifte und Territorien (1798) bezeichnet, die im Zuge der Abtretung des linken Rheinufers säkularisiert werden sollten. Des Weiteren wird das Wort für Personengemeinschaften (1793a, 1793b) sowie für die Umschreibung einer Rechtspersönlichkeit (1791) gebraucht.
Die erste Erwähnung von Körperschaft in einem Wörterbuch ist bei Campe zu beobachten (s. Campe Wörterbuch 2, 1021). Wörterbucheinträge aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verweisen auf diese Buchung mit dem Hinweis neu
(beispielsweise in Weigand 1878 1, 991 und 1DWB 11, 1840, online). Damit liegt ein Indiz dafür vor, dass sich das Wort in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu etablieren beginnt. Über die Wörterbucheinträge lässt sich die in diesem Zeitraum stattfindende Usualisierung des Wortes gut nachzeichnen. Während Einträge in Konversationslexika (1854) oder auch Campe (Campe Wörterbuch 2, 1021) noch die Notwendigkeit sehen, sich in ihren Erläuterungen zu Körperschaft eng an Körpervorstellungen zu orientieren und besonders das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen in den Vordergrund zu stellen, weist der Eintrag des Deutschen Wörterbuchs bereits auf die allgemeinsprachliche Verbreitung hin: jetzt viel gebraucht, politische, städtische, gewerbliche, religiöse körperschaft, wahlkörperschaft
(1DWB 11, 1840, online). Die Wörterbucheinträge lassen ferner darauf schließen, dass Körperschaft Mitte des 19. Jahrhunderts bereits weitestgehend den heutigen Bedeutungsumfang rechtsfähige Vereinigung von Personen zu einem gemeinsamen Zweck
besitzt (vgl. Campe Wörterbuch 2, 1021; 1DWB 11, 1840 unter Körperschaft und 2Sanders 1, 998c).
Körperschaft, Korporation und andere bedeutungsverwandte Wörter
In frühen Belegen wird Körperschaft öfter durch die nur etwas eher bezeugte Entlehnung KorporationWGd erläutert (1817, 1866a; vgl. auch Campe Wörterbuch 2, 1021). KorporationWGd dient u. a. zur Bezeichnung vor allem berufsständischer Vereinigungen, die zwar noch der ständischen Gesellschaft zuzuordnen sind, aber nicht mehr auf erblicher Zugehörigkeit, sondern auf individuellem Beitritt beruhten (s. auch 2HRG 3, 186). Körperschaft wird ferner als Oberbegriff für sich selbstverwaltende Vereinigungen, wie Zunft oder Universität, verwendet (1866b, 1867); ihnen war eine Rechtspersönlichkeit eigen, die bereits durch Privileg oder Gewohnheitsrecht anerkannt war.
In studentischen Kontexten begegnet Körperschaft in der Lesart Verbindung von Studenten
. Besonders in den frühen Bezeugungen des 19. Jahrhunderts steht das Wort Körperschaft in einer Reihe neben anderen gängigen Bezeichnungen für studentische Verbindungen, etwa Burschenschaft, Landsmannschaft oder Korps und tritt auch als Oberbegriff in Erscheinung (1840, 1891, 1929b). Gegenwärtig ist das Wort an vielen schweizerischen Universitäten im Sinne der studentischen Interessenvertretung zu verstehen (1997, 2010b).
Weitere Ähnlichkeiten bestehen insbesondere zu Bezeugungsbeginn bezüglich Genossenschaft. Letztere besitzt in frühen Konzeptionen ebenfalls häufig den Status einer (privaten) Körperschaft (1873), beide Wörter werden zudem öfter synonym verwendet (1886, 1896). Jünger dient Körperschaft vermehrt als Oberbegriff zu Genossenschaft (1975).
Verständnis und Funktion der Körperschaft
Im Zuge des florierenden Vereins- und Assoziationswesens während des 19. Jahrhunderts entsteht die Notwendigkeit, durch staatliche Politik die gesellschaftliche Entwicklung zu gestalten. Bereits im Vormärz wird versucht, über Körperschaften die gesellschaftlichen Kräfte in den Staat zu integrieren (Bieback 1976, 329). Wie bereits der oben genannte Grimmsche Wörterbucheintrag zeigt (1DWB 11, 1840 unter Körperschaft), bezieht sich der Bedeutungsumfang von Körperschaft auf Institutionen, deren gemeinsamer Zweck wirtschaftlicher, religiöser, politischer oder rechtlicher Natur ist (1848, 1906, 1913). Dabei besteht für berufsständische Körperschaften bereits im 19. Jahrhundert meist eine Pflichtmitgliedschaft, da die Zugehörigkeit für die Personenvereinigung konstitutiv ist (1880). Ein Sachverhalt, der schon länger in der Kritik steht (1960, 1998).
Die Beteiligung der Bürger machte die staatliche Verwaltung effektiver. Über die begleitende staats- und rechtstheoretische Diskussion entwickelt sich die Vorstellung eines sozialen Organismus, eines selbständigen Rechtsträgers mit spezieller Kompetenz, an den besondere Mitspracherechte übertragen werden konnten, ohne dass der Staat alle Kontrolle darüber verloren hätte (1809, 1865, 1905, vgl. 2HRG 3,188).
Abb. 1: Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Körperschaft“ aus dem DWDS
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Während die politische Vielgestaltigkeit körperschaftlicher Selbstverwaltung noch charakteristisch für die Zeit der Weimarer Republik ist (1918, 1928, 1929a), kommt es interessanterweise gerade mit dem Nationalsozialismus zu einer bedeutenden Zunahme von Körperschaften, was sich auch an der Bezeugungsfrequenz des Wortes ablesen lässt (s. Abb. 1). Der Widerspruch, gesellschaftliche Kräfte in eine ausdifferenzierte Verwaltung einzubeziehen und zugleich die gesamte Gesellschaft staatlich zu organisieren, führt zu einer Degeneration des Rechtsinstituts Körperschaft des öffentlichen Rechts
zur Zeit des Nationalsozialismus (dazu ausführlich Kirste 2017, 171–228). Dem nationalsozialistischen Staat gelingt auf diese Weise eine bis dato unbekannte Erfassung, Lenkung und Disziplinierung gesellschaftlicher Tätigkeitsbereiche, etwa auch indem die nationalsozialistische Zuverlässigkeit
zum Kriterium für die Mitgliedschaft gemacht wird (1945) – im Übrigen eine Vorgehensweise, die sich auch andere faschistische Regime zu Nutze machen (1938; siehe auch KorporatismusWGd). Vor diesem Hintergrund wird Körperschaft geradezu inflationär verwendet, selbst für Organisationen, die nicht mitgliedschaftlich getragen werden (1933a, 1933b, 1934).
Die Verwendung des Wortes Körperschaft für rechtsfähige Vereinigung
hat sich somit seit jeher vor dem Hintergrund der sozialen Differenzierung der Gesellschaft und ihrer Organisationen entwickelt. Jünger dient das Wort vor allem in der Verbindung Körperschaft öffentlichen Rechts oder öffentliche Körperschaft als juristische Vokabel innerhalb der jeweils aktuellen Rechts- und Verfassungsordnung. Gemeint sind damit Körperschaften, die je nach ihrer Aufgabe Hoheitsgewalt und Selbstverwaltungsfunktionen zugeteilt bekommen (1946, 1985, 2010a).
Das Adjektiv körperschaftlich
Das Adjektiv zu Körperschaft wird mit dem Suffix -lich, womit ganz allgemein hat etwas zu tun mit
ausgedrückt wird, gebildet. Das Wort körperschaftlich kann die Bedeutung eine Körperschaft betreffend
(1911) oder in Form einer Körperschaft
(1923, 1979) annehmen (vgl. Duden online unter körperschaftlich). Mit dem Adjektiv kann also darauf hingewiesen werden, dass es für eine Organisationsform einen bestimmenden Einfluss der Mitglieder gibt und dass diese als juristische Person Aufgaben für den Staat übernimmt: Hochschulen im Gesamthochschulbereich seien körperschaftlichen öffentlichen Rechts und Einrichtungen des Staates; sie hätten das Recht auf Selbstverwaltung und seien zur Zusammenarbeit verpflichtet.
(1971, s.a. 1887, 1964). Das Adjektiv ist insgesamt gesehen verhältnismäßig gering bezeugt; die Bezeugungshäufigkeit nimmt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiter ab.
Literatur
Bieback 1976 Bieback, Karl-Jürgen: Die öffentliche Körperschaft: Ihre Entstehung, die Entwicklung ihres Begriffs und die Lehre vom Staat und den innerstaatlichen Verbänden in der Epoche des Konstitutionalismus in Deutschland. Berlin 1976. (duncker-humblot.com)
Campe Wörterbuch Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch der deutschen Sprache. Theil [Bd.] 1–5. Braunschweig 1807–1811.
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.
2HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2., völlig neu überarbeitete und erweiterte Aufl. hrsg. von Wolfgang Cordes u. a. Bd. 1 ff. Berlin 2008 ff. [HRG digital. Berlin 2010 ff.]. (HRGdigital.de)
Kirste 2017 Kirste, Stephan: Theorie der Körperschaft des öffentlichen Rechts: verwaltungshistorische, organisationstheoretische und verwaltungsorganisationsrechtliche Aspekte. Universität Heidelberg. Heidelberg 2017. (doi.org)
2Sanders Sanders, Daniel: Wörterbuch der Deutschen Sprache: mit Belegen von Luther bis auf die Gegenwart, 2., unveränd. Abdruck. Bd. 1–2. Leipzig 1876.
Weigand 1878 Weigand, Friedrich Ludwig Karl: Deutsches Wörterbuch. 3. verb. u. verm. Aufl. Gießen 1878.
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
GG Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd. 1–8. Stuttgart 1972–1997.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Körperschaft, körperschaftlich.