Wortgeschichte
Ein Wort mit Ursprung im US-amerikanischen Raum
Das Wort Rowdy wird Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem amerikanischen Englisch in das Deutsche übernommen (s. Stiven 1936, 66). In der Gebersprache bezeichnete es zunächst einen raubeinigen Hinterwäldler, nahm jedoch bald die allgemeinere Bedeutung Unruhestifter
an (vgl. 3OED unter rowdy und Pfeifer unter RowdyDWDS). Anfangs kommt das Wort nur in Übersetzungen vor (1851) und weist einen starken Bezug zu nordamerikanischen Verhältnissen auf (1856, 1873, 1910). Schnell setzt aber eine Popularisierung der Wortverwendung im deutschsprachigen Raum ein, zu der sicherlich Werke wie Kürnbergers Der Amerika-Müde beigetragen haben: In der kritischen Auseinandersetzung mit dem (verklärten) Leben in der neuen Welt werden von ihm Rowdies als Vertreter einer bestimmten JugendkulturWGd umschrieben, die durch ein besonders rohes, unkultiviertes Auftreten auf sich aufmerksam machen (1855a, 1855c). Die älteren Wörter Runner, Loafer und Bummler sind zu dieser Zeit synonym zu Rowdy zu verstehen (1855b, 1856, 1898). Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts tritt das Wort zunehmend losgelöst von amerikanisch geprägten Kontexten auf, bleibt aber semantisch stark mit Vorstellungen von Gewalttätigkeit verbunden (1930, 2005). Im Satzzusammenhang stehen oft Substantive wie Räuber, Randalierer oder das Adjektiv kriminell, welches die Konnotation des gesetzwidrigen Auftretens unterstreicht (1976, 1989, 1995).
Zudem lässt sich eine eigene Lesart identifizieren, die unabhängig von nordamerikanischen Verhältnissen und ohne die o. g. stark negativen, insbesondere tätlichen Bedeutungsaspekte auf den ungeschliffenen Jugendlichen, Halbstarken
abzielt und damit eher das schlechte oder provozierende Benehmen in den Vordergrund stellt (1904, 1953a, 2016; s. a. HalbstarkeWGd). Beide Lesarten sind bis in die Gegenwart und – soweit erkennbar – nur als Fremdbezeichnung präsent. Mundartlich begegnet das Wort zudem in der eingedeutschten Schreibweise Raudi (siehe etwa Pfälzisches Wörterbuch unter Raudi oder Südhessisches Wörterbuch unter Raudi). Diese Schreibung ist zur Gegenwart hin zunehmend auch allgemeinsprachlich verbreitet (1856, 1935, 1983, 2009).
Die Ableitung Rowdytum – ein Wort der Rechtssprache
Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist neben der Personenbezeichnung Rowdy auch Rowdytum belegt, welches sowohl die Personengruppe als auch die Gesamtheit der mit dieser in Zusammenhang stehenden Eigenschaften bezeichnet. Mit Bezeugungsbeginn ist die Ableitung mit der Lesart gewalttätiges, rüpelhaftes Treiben
, wie bereits das zugrundeliegende Substantiv zunächst noch auf den US-amerikanischen Kontext bezogen (1890, 1927). Konnotiert wird dabei meist ein kriminelles MilieuWGd. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich einigermaßen gesichert die allgemeinere Lesart ungehobeltes Benehmen
feststellen (1953b). Gleichzeitig wird das Wort im Sprachgebrauch der DDR sowie in einigen anderen sozialistischen Staaten zu einem Begriff der Rechtssprache: Hier werden die unter Rowdytum gefassten Handlungen als Straftatbestand aufgefasst, da sie eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellen; in diesen Kontexten erscheint das Wort öfter in Anführungszeichen (1967, 2017). Die rechtssprachliche Begriffssetzung dominiert bis in die Gegenwart die Wortverwendung und erlangte im Zusammenhang mit der Verurteilung der Punkband Pussy Riots wegen Rowdytums, das nach dem russischen Strafgesetzbuch eine Straftat darstellt, hohe mediale Aufmerksamkeit (2012).1)
Anmerkungen
1) Im Russischen heißt der Straftatbestand Хулиганство und ist eine bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts gebräuchliche Transliteration des englischen Wortes Hooliganism mit der rüpelhaftes Verhalten in der Öffentlichkeit
bezeichnet wird (vgl. Kotalik 2019, 39-80).
Literatur
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Kotalik 2019 Kotalik, Matěj: Rowdytum im Staatssozialismus: ein Feindbild aus der Sowjetunion. Berlin 2019.
Pfälzisches Wörterbuch Christmann, Ernst/Julius Krämer/Rudolf Post (Hrsg.): Pfälzisches Wörterbuch. Onlineversion. Aufl. Wiesbaden 2011. (woerterbuchnetz.de)
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Stiven 1936 Stiven, Agnes Bain: Englands Einfluß auf den deutschen Wortschatz. Marburg, Univ., Diss., 1935. Zeulenroda 1936.
Südhessisches Wörterbuch Maurer, Friedrich/Stroh, Friedrich/Mulch, Roland (Hrsg.): Südhessisches Wörterbuch. Onlineversion. Aufl. Marburg 2010. (lagis-hessen.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Rowdy, Raudi, Rowdytum.