Wortgeschichte
Das Adjektiv halbstark
Das Adjektiv halbstark begegnet ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Während stark (vgl. auch 1DWB 17, 869–888) bereits im Althochdeutschen bezeugt ist und ein breites Bedeutungsspektrum aufweist, scheint es sich bei halbstark zunächst um die Übersetzung des italienischen mezzo forte im Bereich der Musik zu handeln (1763). Während des 18. Jahrhunderts wird das Wort vornehmlich in Schriften zur Musik verwendet (1756), auch als Anweisung in Noten (1798). Gelegentlich begegnet diese Verwendung auch später noch (1845, 1906), insgesamt scheint das Wort aber schon während des 18. Jahrhunderts nicht weit verbreitet zu sein.
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts tritt mit von mittlerer Stärke
(vgl. DWDS unter halbstarkDWDS eine neue Bedeutung hinzu (1803, 1808). Während des 19. Jahrhunderts begegnet halbstark in dieser Bedeutung besonders häufig in Bezug auf Zigarren (1807, 1854), wird aber auch in anderen Kontexten verwendet (1846, 1876, 1905). Die Bedeutung zu den Halbstarken gehörend, wie ein Halbstarker
schließlich ist jüngeren Datums; bemerkenswerterweise entsteht sie erst nach der Bildung des Substantivs Halbstarke (1956f; s. u.).
Halbstarke im Hamburgischen und Berlinerischen. Frühe Bezeugungen
Wann und wie genau das Substantiv Halbstarke erstmals auftritt, ist schwer zu sagen. Schriftlich belegt ist es mindestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts (1910, 1904, 1922). Möglicherweise wird es – davon geht jedenfalls die Forschung bis heute aus (vgl. schon Kaiser 1959, daneben Grotum 1994, 23, Kurme 2006, 179) – zunächst im hamburgischen Sprachgebrauch verwendet (vgl. hierzu Kaiser 1959, 14, auf den die Forschung sich immer wieder bezieht). Jedenfalls ist Hermann Popert, der Halbstarke in seinem Roman Helmut Harringa verwendet (1910), Richter in Hamburg, Clemens Schultz, auf den die vermutlich erste Abhandlung zu Halbstarken zurückgeht (1912), Pastor in St. Pauli. Erinnerungen aus den 1950er Jahren zufolge wird das Wort im hamburgischen mündlichen Sprachgebrauch der Jahrhundertwende unter anderem auf die Arbeiterjugend oder (randalierende) Jugendliche aus sozialen Randschichten bezogen (Kaiser 1959, 14). Da es sich hier um erst in den 1950er Jahren publizierte Erinnerungen handelt, ist die Quellenlage, auf die die Forschung sich bezieht, natürlich nicht unproblematisch (vgl. Kaiser 1959, 13; vgl. daneben aber auch 1919 und 1934, die auf hamburgische Herkunft sowie eine regionale Verwendung noch in den 1930er Jahren nahelegen).
Die dünne Quellenlage macht es zudem schwierig, zu entscheiden, inwieweit ältere Bedeutungsaspekte des Adjektivs halbstark für die Bildung des Substantiv Halbstarke von primärer Bedeutung sind. Denkbar ist, dass die im 19. Jahrhundert verbreitete Bedeutung von mittlerer Stärke
(hier mit Betonung auf mittlere
) eine Rolle gespielt hat, dass Jugendliche, also gewissermaßen Halberwachsene
oder Mensch von mittlerer Stärke
sind. Halbstarke hätte damit eine gewisse semantische Nähe zum älteren Wort Halbwüchsige, das seinerseits ab der Jahrhundertwende eine steigende Bezeugungsfrequenz hat (vgl. die entsprechende Wortverlaufskurve des Google NGram Viewers). Andererseits kann bei der Ausbildung auch der Aspekt der Stärke im Fokus stehen. Betont würde damit eher der Aspekt eines spezifischen auf Kraft ausgelegten Verhaltens dieser Altersgruppe. Für diese Hypothese würde gerade auch der Bezug auf randalierende Jugendgruppen spreche (vgl. Kaiser 1959, 14).
Neben den auf Hamburg bezogenen Belegen stehen weiterhin solche, die auch auf eine Verwendung im Berliner Sprachraum hindeuten (1904; 1919 – Dehn war Pastor aus Berlin-Moabit). Da es sich zunächst offenbar um ein regionalsprachliches Wort handelt, ist die Verbreitung insgesamt gering. Es fällt im Übrigen auf, dass das Wort in augenfälliger zeitlicher Nähe nicht nur zur sogenannten Entdeckung der Jugend um 1900, sondern auch zu anderen Wörtern wie JugendkulturWGd geprägt wird.
Dass das Wort in den 1930er bis 1950er Jahren aus den gedruckten Quellen verschwand, wie die Forschung lange angenommen hat (exemplarisch Kaiser 1959, 18, Grotum 1994, 30), kann heute als widerlegt gelten (1934, 1941). Es kann weiterhin vermutet werden, dass das Substantiv auch in den 1930er und 1940er Jahren weiterhin im mündlichen, vielleicht nach wie vor auch vornehmlich regionalen Sprachgebrauch verwendet wird – jedenfalls bucht Küppers Wörterbuch der deutschen Umgangssprache das Wort Mitte der 1950er Jahre mit der Bedeutung Halbwüchsiger
sowie dem Hinweis Um 1930 mdl
(Küpper Umgangssprache, 145). Dennoch ist die Bezeugungsfrequenz auch weiterhin eher gering.
Eingang in die Allgemeinsprache: Verbreitung von Halbstarke in den 1950er Jahren
Die DWDS-Wortverlaufskurve zeigt, dass Halbstarke ab Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre zunächst gelegentlich, ab Mitte der 1950er Jahre mit deutlich ansteigender Bezeugungsfrequenz belegt ist; die Bezeugungshäufigkeit nimmt in den 1960er Jahren wieder ab (vgl. Abb. 1). Die Anführungszeichen in einigen frühen Belegen lassen den Rückschluss zu, dass es sich zunächst nicht um ein im gesamtdeutschen Allgemeinwortschatz sedimentiertes Wort handelt (1949, 1950, 1953a). Zudem sind alle Belege vor 1953 aus der Wochenzeitung Die Zeit, die ihren Sitz in Hamburg hat – und vornehmlich von zwei Autoren, Karl N. Nicolaus und Jan Molitor (das ist Josef Müller-Marein; 1949; 1950; 1952; 1953a). Insofern spiegeln diese frühen Belege wohl noch keine weitere allgemeinsprachliche Verbreitung wider. Dabei ist nicht immer ganz klar auszumachen, inwieweit das Wort in der älteren und engeren hamburgischen Bedeutung Jugendlicher der Arbeiterschicht
(1953b) oder aber bereits in einer breiteren Bedeutung von Jugendlicher
(1952) verwendet wird – die Übergänge sind wohl fließend.
Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve zu Halbstarke
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Mitte der 1950er Jahre hat Halbstarke schließlich endgültig die Bedeutung Jugendlicher, der sich auffallend und laut aufführt und damit seinen Mitmenschen lästig fällt
(vgl. DWDS unter HalbstarkeDWDS) angenommen (1955a, 1955b, 1956d, 1957b). Es wird nun auch in anderen Medien als der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit verwendet (1954b, 1954a, 1955a), was für eine nun gesamtdeutsche Verbreitung des Wortes spricht. Vorwiegend handelt es sich zunächst offenbar um negativ konnotierte Fremdzuschreibungen, gleichwohl sind auch Selbstbeschreibungen belegt (1956a). Überwiegend ist Halbstarke – im Plural – auf männliche Jugendliche bezogen (1956d), kann gelegentlich aber auch weibliche Jugendliche bezeichnen (1959).
Popkultur und Krawalle. Sachhistorische Hintergründe und Konnotationen
Die Konnotationen, die mit dem Wort Halbstarke verbunden sind, lassen sich in zwei wesentliche Bereiche unterteilen: Zum einen verbinden sich die deutlich negativen Vorstellungen von Rowdytum und Randalen. Das hat auch historische Hintergründe: Insbesondere zwischen 1956 und 1958 hat es wiederholt Randale Jugendlicher gegeben, insbesondere nach Kulturveranstaltungen wie Kinovorführungen oder Rock’n’Roll-Konzerten (vgl. etwa Zinnecker 1987, 125–126), die, insofern sie zu breiter Berichterstattung führten, sicher ihren Teil zur Verbreitung des Wortes über die regionale Verwendung hinaus beigetragen haben. Für diese Randale wird das Kompositum Halbstarkenkrawalle geprägt (1956e, 1957a, 1957c, 1957d). In der negativ konnotierten Bedeutung Jugendlicher, der sich auffallend und laut aufführt und damit seinen Mitmenschen lästig fällt
kann Halbstarke auch heute noch auf Jugendliche bezogen werden, ohne dass damit notwendig auch Randale assoziiert werden (2013, 2017). Daneben stehen allerdings auch Verwendungen für Jugendlicher
im Allgemeinen ohne jene starken negativen Bedeutungsaspekte (2004, 2011).
Zum anderen verbinden sich mit Halbstarke aber auch Vorstellungen eines bestimmten äußeren Erscheinungsbildes, das Jeans (1958b, 1964) und Lederjacke (1956c, 1965) umfasst, sowie die Assoziation des Moped- oder Motorradfahrens (1956b, 1965, 1999b).
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Einen gewissen Einfluss sowohl auf das Selbstverständnis der Jugendlichen als auch auf die sich vor diesem Hintergrund mit dem Wort Halbstarke verbindenden Konnotationen werden im Übrigen Filme gehabt haben. Jedenfalls haben nicht nur die sogenannten Halbstarkenkrawalle gerne nach Filmvorführungen, etwa von Außer Rand und Band (im Original: Rock around the Clock), stattgefunden, darüber hinaus wurden Filme wie …denn sie wissen nicht, was sie tun (im Original: Rebel without a Cause) zu Kultfilmen. Nicht zuletzt kommt 1956 der deutsche Film Die Halbstarken in die Kinos.
Von den die äußeren Erscheinungsmerkmalen betreffenden Konnotationen ausgehend hat sich wohl die heute auch gängige, eher neutrale bis positive Bezeichnung Halbstarker für Anhänger einer bestimmten jugendlichen Subkultur der 1950er Jahre
entwickelt (1999a, 1999c, 2001).
Bedeutungserweiterung des Adjektivs halbstark
Vor dem Hintergrund der Ausbildung und Verbreitung des Substantivs Halbstarke nimmt schließlich auch das Adjektiv halbstark eine neue Bedeutung an und kann in der Bedeutung zu den Halbstarken gehörend, wie ein Halbstarker
auch in Bezug auf Jugendliche verwendet werden (vgl. Duden online unter halbstark.
Vermutlich datiert diese Entwicklung auf die Mitte der 1950er Jahre, jedenfalls ist die Wortverbindung halbstarke Jugendliche bzw. halbstarker Jugendlicher seit dieser Zeit bezeugt (1956f, 1958a, 1960, 2005).
Literatur
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Grotum 1994 Grotum, Thomas: Halbstarken: zur Geschichte einer Jugendkultur der 50er Jahre. Frankfurt/Main u. a. 1994.
Kaiser 1959 Kaiser, Günther: Randalierende Jugend: eine soziologische und kriminologische Studie über die sogenannten „Halbstarken“. Heidelberg 1959.
Kurme 2006 Kurme, Sebastian: Halbstarke: Jugendprotest in den 1950er Jahren in Deutschland und den USA. Frankfurt 2006.
NDB Neue Deutsche Biographie. Bd. 1ff. Berlin 1953ff. (deutsche-biographie.de)
Zinnecker 1987 Zinnecker, Jürgen: Jugendkultur 1940–1985. Opladen 1987.
Küpper Umgangssprache Küpper, Heinz: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. Hamburg 1955.
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu halbstark, Halbstarke.