Wortgeschichte
Herkunft
Das Wort Favorit ist seit dem 16. Jahrhundert, zunächst nur vereinzelt (1533, 1569), ab dem 17. Jahrhundert dann regelmäßig im Deutschen bezeugt (auch in der Schreibung Fauorit). Entlehnt wurde es aus französisch favori/favorite (2DHLF 2, 1406) oder italienisch favorito Begünstigte/r
(vgl. GDLI 5, 760), das auf lateinisch favor Gunst
(vgl. ThLL unter favor) zurückgeht. Das Verb favorisieren (vgl. französisch favoriser, lat. favere begünstigen
) ist – auch in der Schreibung fauorisi(e)ren – bereits früher, wenn auch zunächst selten, in deutschen Texten zu finden (niederdeutsch: 1485; 1514). Favorit ist ein Europäismus, da es in ähnlicher Form und Bedeutung in mehreren europäischen Sprachen verbreitet ist (z. B. englisch favourite, schwedisch favorit, niederländisch favoriet, polnisch faworyt).
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird zu dem entlehnten Wort Favorit das deutsche Wort Günstling gebildet (1680, 1698), das seit dem beginnenden 18. Jahrhundert regelmäßig bezeugt ist. Die Lehnübersetzung besteht aus der substantivischen Basis Gunst Gewogenheit, Wohlwollen, Gewährung eines Vorteils
und dem Suffix -ling, das die Wortbildungsbedeutung Person nach besonderer Beziehung zu der im Substantiv ausgedrückten Größe
hat (vgl. Fleischer/Barz 2012, 217; Paul, Dt. Gr. 5, 65–66). Ein Günstling ist also in einer allgemeinen Paraphrasierung eine Person, der Gunst gewährt
wird. Beide Wörter sind auch in der movierten Form Favoritin und Günstlingin schon früh bezeugt (1715, 1786) und – was für feminine Personenbezeichnungen nicht unbedingt die Regel ist – im Deutschen Wörterbuch und anderen Wörterbüchern verzeichnet (vgl. 1DWB 4,1,6, 1139; Rumpf 1819, 110).
In der herrscherlichen Gunst stehen
Als Favorit wird ein Mitglied des Hofes bezeichnet, das in der persönlichen (und exklusiven) Gunst einer höhergestellten Person bzw. eines Herrschers steht. Die als Favorit bezeichnete Person nimmt durch die besondere Nähe und das Vertrauensverhältnis zum Herrscher eine mehr oder weniger offizielle Machtposition ein (1589, 1696, 1729).1) Das Lehnwort Favorit erscheint im Deutschen, von den wenigen früheren Nachweisen abgesehen, zunächst vor allem in den um 1600 von Aegidius Albertinus vorgenommenen Übersetzungen der populären Schriften des Spaniers Antonio de Guevera über höfisches Leben und das Hofzeremoniell (1599, 1612). Nicht nur mit Bezug auf die höfische Gesellschaft, sondern auch in theologischen Zusammenhängen wird das Wort schon früh in Verbindungen wie Favorit und Freund Gottes verwendet und drückt hier die spezielle Beziehung eines Menschen zu dem die herrscherliche Gunst erweisenden Gott aus (1600, 1602, 1748).
Bei der Verwendung der Wörter Favorit und Günstling (sowohl von Zeitgenossen königlicher oder fürstlicher Favoriten- bzw. Günstlingsbeziehungen als auch von der Nachwelt) zeigt sich häufig eine kritische Sicht auf die Rolle des Begünstigten, aber auch auf das Abhängigkeitsverhältnis (vgl. 1780). In diesem Zusammenhang sind die Wörter meist negativ konnotiert (1652, 1682, 1781, 1805). Beide Wörter und insbesondere die movierten Formen Favoritin und Günstlingin drücken in der Lesart Geliebter
bzw. Geliebte
häufig nicht nur eine besonders vertrauensvolle, sondern auch eine intime Beziehung zwischen Herrscher und Begünstigtem/Begünstigter aus, auch in diesen Zusammenhängen sind die Wörter oft negativ konnotiert (1778, 1854).
Geschätzt vor anderen
Außerhalb des höfischen Kontextes wird Favorit seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis heute in der erweiterten Bedeutung Person oder Sache, die bevorzugt, anderen vorgezogen wird
gebraucht. Favorit bezieht sich auf zwischenmenschliche Beziehungen, jedoch ohne das im höfischen Kontext implizierte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Gönner und Favorit. Die als Favorit bezeichnete Person wird (im Vergleich zu anderen), zum Beispiel aufgrund ihres Aussehens, Charakters, ihrer Fähigkeiten u. ä. besonders geschätzt und erfährt große Zuneigung (1670, 1766, 1836, 1994). Die Bildung Günstling wird im 18./19. Jahrhundert ebenfalls in dieser erweiterten Bedeutung, auch im Sinne von Freund
, Liebling
, Vertrauter
(vgl. GWB 4, 566) verwendet und findet sich (anders als Favorit) häufig in Verbindungen mit Abstrakta, d. h. gedachten (Schicksals-)Mächten u. ä. wie Günstling des Himmels, Günstling der Musen, Günstling der Natur und bis heute Günstling des Glücks und Günstling des Schicksals (1749, 1767, 1790, 1998a, 1999a).
Favorit wird seit dem 19. Jahrhundert metaphorisch auch auf Tiere (1845) und Sachen übertragen, zum Beispiel im Bereich der Mode und Farben (1867, 1963), bezogen auf Produkte (1998b, 2003a, 2017a) sowie Musik und Filme (2004). In Verbindungen wie dieser Film/dieses Buch/dieser Song ist mein Favorit (z. B. 2000, 2003b, 2017b) wird Favorit in der Lesart Sache, die am besten gefällt, die man am meisten schätzt
gebraucht (vgl. 2DFWB online).
Dieser Gebrauch findet sich nicht bzw. älter nur vereinzelt bei der Bildung Günstling, die zunehmend abwertend verwendet wird. Mit Günstling werden keine Sachen, sondern immer Personen in der Bedeutung jemand, der (aus fragwürdigen Gründen) von einer einflussreichen Person bevorzugt und gefördert wird
bezeichnet (1955, 2005, 2015a).
Im Wettbewerb ganz vorne
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es einen signifikanten Gebrauchsanstieg des Worts Favorit im Deutschen, wie die Wortverlaufskurve des DWDS zeigt:
Abb. 1: Wortverlaufskurve „Favorit“ und „Günstling“
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Favorit wird nun hauptsächlich im Bereich des Sports im Sinne von Teilnehmer an einem Wettbewerb mit den größten Gewinnchancen
, Spitzenreiter
(im Gegensatz zu Außenseiter) verwendet. Die frühesten Belege in dieser Lesart liegen bereits um 1820 vor und beziehen sich zunächst auf den Galopprennsport in England: Favorit hat nun die Bedeutung Pferd mit den größten Erfolgsaussichten auf den Sieg
(auf englischen Sprachgebrauch bezogen: 1818; 1825, 1918a [im Gegensatz zu Outsider], 2002). Die Verwendung des englischen Worts favourite in Bezug auf horse racing ist im Englischen seit den 1810er Jahren bezeugt (vgl. 3OED unter favourite, n. A 1 b).2) Im beginnenden 20. Jahrhundert wird die Verwendung von Favorit auch auf andere Sportarten ausgeweitet und erlangt durch die breite Berichterstattung von Sportereignissen eine große Popularität (1911, 1927, 1940, 2022).
Durch englischen Einfluss erhält das schon lange im Deutschen eingebürgerte Wort Favorit eine neue Bedeutung, die auf das englische Lexem favourite zurückgeht. Man kann hier von einer Lehnbedeutung sprechen. Dies erscheint überzeugender, als einen komplett neuen Entlehnungsvorgang anzunehmen, auch wenn einige wenige Belege das Wort mit englischer Ausdrucksseite und Pluralendung in deutschen Texten zeigen (1830, 1906). Da es sich bei Favorit um ein in vielen – sich gegenseitig beeinflussenden – europäischen Sprachen verwendetes Wort handelt, sind die genauen Entlehnungsvorgänge jedoch schwer nachzuzeichnen.
Ausgehend von der Verwendung im Bereich sportlicher Wettkämpfe wird Favorit in erweiterter Bedeutung auch auf nicht-sportliche Konkurrenzsituationen (zum Beispiel politische Wahlen) übertragen: Favorit bedeutet hier aussichtsreicher Bewerber, der sich vorausichtlich gegen andere Konkurrenten durchsetzen wird
(1932, 2017c). Hier zeigt sich, dass die Lesarten Person/Sache, die bevorzugt wird
und Spitzenreiter
(im Sport oder anderen Bereichen) nicht immer scharf zu trennen sind. Die Person (oder Sache), die man persönlich schätzt und bevorzugt, ist eben meist auch diejenige, die man in einem Wettbewerb vorne, also vor anderen, sieht (2013, 2017d).
Abgesehen von vereinzelten älteren Gebräuchen (1844) ist die sich auf den Bereich von Wettkampf- und Konkurrenzsituationen beziehende Hauptbedeutung von Favorit für die Bildung Günstling nicht zu finden. Die Wortverlaufskurve zeigt dementsprechend auch deutlich die sich voneinander entfernenden Gebrauchsfrequenzen der beiden Wörter im 20. Jahrhundert.
Bevorzugt im Aktienhandel und am Computer
Favorit wird noch in weiteren Bereichen verwendet, wenn es darum geht, etwas zu bezeichnen, dass besonders gefällt und bevorzugt wird. So wird Favorit bereits im 19. Jahrhundert, zunächst als Bestimmungswort im Kompositum Favoritpapier mit der Bedeutung besonders hoch bewertete, gehandelte Wertpapiere
, zu einem Ausdruck im Börsenwesen (1862, 1918b, 1999b; vgl. Wörterbuch der Kaufmannssprache, 60).
Zum Ende des 20. Jahrhunderts wird der Ausdruck Favorit im EDV-Bereich zu einem sehr gebräuchlichen Wort. Bezogen auf Computerprogramme, Handys und dgl. wird mit Favorit ein digitales Lesezeichen bezeichnet, das gespeichert wird, um zum Beispiel eine häufig aufgesuchte bzw. wichtige Internetseite schnell wiederzufinden (1999c, 2010, 2015b). Hier ist möglicherweise der etwas ältere englische Gebrauch im EDV-Bereich Vorbild (vgl. 3OED unter favourite, n.).
Anmerkungen
1) Weiterführende Literatur: Asch 2004, Hirschbiegel 2004, Asch 2005.
2) Zum Verb favorisieren als voraussichtlichen Sieger in einem (sportlichen) Wettbewerb ansehen
(1913) vgl. 2DWB und 2DFWB.
Literatur
Asch 2004 Asch, Ronald G.: Schlußbetrachtungen: Höfische Gunst und höfische Günstlinge zwischen Mittelalter und Neuzeit. 18 Thesen. In: Jan Hirschbiegel/Werner Paravicini: Der Fall des Günstlings – Hofparteien in Europa vom 13. bis 17. Jahrhundert. 8. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Ostfildern 2004, S. 515–531.
Asch 2005 Asch, Ronald G.: Favoriten. In: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hrsg. von Werner Paravicini. Bearb. von Jan Hirschbiegel/Jörg Wettlaufer. Bd. 15, II: Teilbd. 1: Begriffe. Ostfildern 2005, S. 63–65. (adw-goe.de)
2DFWB Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache von Gerhard Strauß u. a. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1995 ff. (owid.de)
2DHLF Dictionnaire historique de la langue française, par Alain Rey et al. Bd. 1–3. Paris 1998–2009.
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.
GDLI Battaglia, Salvatore: Grande dizionario della lingua italiana. Vol. 1–21. Turin 1971–2002. (gdli.it)
GWB Goethe-Wörterbuch. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [bis Bd. 3, Lfg. 4. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften der DDR], der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1 ff. Stuttgart 1978 ff. (woerterbuchnetz.de)
Hirschbiegel 2004 Hirschbiegel, Jan/Werner Paravicini: Fall des Günstlings – Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. 8. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Ostfildern 2004.
NDB Neue Deutsche Biographie. Bd. 1ff. Berlin 1953ff. (deutsche-biographie.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Paul, Dt. Gr. Paul, Hermann: Deutsche Grammatik. Bd. 1–5. Halle a. d. S. 1916–1920.
Rumpf 1819 Rumpf, J. D. F.: Vollständiges Wörterbuch zur Verdeutschung der, in unsere Schrift und Umgangs-Sprache eingeschlichenen, fremden Ausdrücke; nebst Erklärung der wichtigsten sinnverwandten Wörter. Zweite, vermehrte und verbesserte Ausgabe. Berlin 1819.
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