Wortgeschichte
Herkunft
Das Substantiv Außenseiter ist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals belegt. Auch wenn mit dem Substantiv Außenseite (vgl. 2DWB
3, 1413)
eine deutsche Ausgangsbasis vorhanden ist, kann Außenseiter als Lehnübersetzung des englischen Worts outsider gelten. Die Bildung outsider jemand, der außerhalb von etwas ist/steht
geht auf älteres outside (auf der) Außenseite
zurück und ist seit etwa 1800 im Englischen in verschiedenen übertragenen Bedeutungen gebräuchlich (vgl. 3OED unter outsider, n.). Diese Bedeutungen sind auch für die jüngere deutschsprachige Bildung Außenseiter bezeugt.
An der Außenseite

Abb. 1: „Bilder aus dem Londoner Verkehrsleben“ (Die Gartenlaube 7 (1866), S. 108).
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Die ältesten Belege für Außenseiter finden sich in einem Bericht über eine Reise in England aus den 1830er Jahren (1837a). Der Autor des Textes orientiert sich bei der Verwendung offenbar am Gebrauch von englisch outside in dem von ihm bereisten Land (1837b; vgl. 3OED unter outside, n. 2c). In diesem Reisebericht wird mit der Bildung Außenseiter eine Person bezeichnet, die auf der Außenseite eines Kutschbocks sitzt . Im Englischen ist die allgemeinere Lesart Person, die sich physisch an der Außenseite befindet
für outsider allerdings zuerst für das Jahr 1857 belegt (vgl. 3OED unter outsider, n. 1b). Es ist jedoch von einem früheren Gebrauch auszugehen, denn selbst im deutschen Kontext begegnet das fremdsprachliche Wort in konkreter Bedeutung bereits 1852. Insgesamt bleibt der Gebrauch der deutschen Bildung Außenseiter in dieser Lesart selten (1866a, dazu Abb. 1; auf Himmelskörper bezogen: 1998, 2014).
Mit wenig Aussicht auf Erfolg
Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begegnen Verwendungen von Außenseiter im Bereich des Sports: Zuerst wird das Wort im Pferdesport in der Bedeutung Rennpferd mit geringen Siegchancen
gebraucht (1874, 1932, 2003a). Es ist von einer neuen Lehnübersetzung von englisch outsider auszugehen: Im Englischen ist das Wort outsider im Bereich des Galopprennsports seit den 1830er Jahren als Antonym zu favourite Spitzenreiter im Pferderennen
gebräuchlich (vgl. 3OED unter outsider, n. 2). Die Bedeutung von Außenseiter bzw. Outsider im Bereich des Pferdesports beruht vermutlich auf dem Aspekt der äußeren Positionierung: Das Pferd mit den geringsten Chancen musste früher auf der ungünstigen Außenbahn laufen, also auf der Außenseite des stärkeren Hauptfeldes. Heute ist das Bedeutungsmerkmal außen laufend/startend
nicht mehr erkennbar – die Startboxen werden beim Galopprennen ausgelost.

Abb. 2: Plakat Eröffnungsrennen zu Magdeburg 1914, Magdeburger Rennverein
Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz (smb.museum) | Public Domain Mark 1.0
In der Berichterstattung über Pferderennen treten Outsider (eingedeutscht in Großschreibung) und die Lehnübersetzung Außenseiter bedeutungsgleich auf, oft auch im Kontext mit dem Antonym FavoritWGd (1888, 1918). Die deutsche Bildung ist jedoch bald deutlich gebräuchlicher. Auch in seit dem beginnenden 20. Jahrhundert vermehrt bezeugten Komposita sind beide Bildungen bedeutungsgleich als Bestimmungswort vertreten, zum Beispiel in Außenseitersieg und Outsidersieg (1904, 1937), Außenseiterwette und Outsiderwette (1908a, 1914), Außenseiterchance und Outsiderchance (1908b, 1953).
Um 1930 erfährt das Wort eine Bedeutungserweiterung: Außenseiter wird im Sportbereich in der Lesart Teilnehmer an einem Wettbewerb mit geringen Siegchancen
verwendet. Mit dem Wort werden Sportler oder Teams bezeichnet, bei denen man (zum Beispiel aufgrund vorheriger schlechter Leistungen) nicht davon ausgeht, dass sie den jeweiligen Wettkampf gewinnen werden (1929, 1933, 1964). In diesem Verwendungszusammenhang begegnet häufig die Verbindung krasser Außenseiter (z. B. 2007 ).
Das Wort Außenseiter und sein Antonym FavoritWGd haben eine vergleichbare Bedeutungsentwicklung durchlaufen, wobei Favorit etwas früher im Zusammenhang mit Sportwettkämpfen Verwendung findet. Ebenso wie Favorit hat auch Außenseiter eine Bedeutungserweiterung auf außersportliche Bereiche erfahren. Das Wort bedeutet hier Kandidat, der sich voraussichtlich nicht gegen Konkurrenten durchsetzen wird
(1926, 2003b).
Nicht dazugehörend
Um 1900 sind Gebräuche von Außenseiter mit dem zentralen Bedeutungsmerkmal sich außen/außerhalb befinden
bezeugt; im Unterschied zur frühen, selten vorkommenden, konkreten Verwendung wird das Wort nun abstrakt gebraucht. Als Ausdruck der Wirtschaftssprache bezeichnet Außenseiter Personen oder Unternehmen, die bestimmten Verbänden, Kartellen oder der Börse nicht angehören und von diesen unabhängig sind. Das Wort wird seit der Jahrhundertwende in der Lesart verbandsfremdes, unabhängiges Nichtmitglied
synonym zum älteren Outsider verwendet (1903, 1912; vgl. die Komposita Außenseiterfabrik 1931 und Outsiderwerk 1910). Das englische Wort hat bereits seit den 1860er Jahren in der Lesart Nichtmitglied
Eingang in deutsche Texte gefunden (1861, 1866b; vgl. hierzu Stiven 1936, 98).
Während der Gebrauch im Bereich des Wirtschafts- und Handelswesens als fachsprachlich einzuschätzen ist, wird Außenseiter (und bedeutungsgleich Outsider) in der ebenfalls um die Jahrhundertwende auftretenden Lesart Nichtfachmann, Laie
eher allgemeinsprachlich und in vielfältigeren Zusammenhängen (Kunst, Literatur, Wissenschaft) verwendet (1896, 1905, 1925a, 1927). Mit Bezug auf das Verwaltungswesen wird das Wort gebraucht, um eine Person zu bezeichnen, die keine klassische Ausbildung in dem betreffenden Bereich absolviert hat (1923). Außenseiter steht hier im Kontext mit dem synonym gebrauchtem Wort Laie (1907). Heute würde man von Seiteneinsteigern oder Quereinsteigern sprechen.
Zudem bezeichnet Außenseiter seit dem beginnenden 20. Jahrhundert bis heute eine Person, die nicht zu einer bestimmten sozialen Gruppe gehört. Auf den konkreten Sinn von Außenseiter zurückgehend lässt sich sagen, dass das Wort solche Personen (auch Länder, Unternehmen o. ä.) beschreibt, die eine randständige bzw. isolierte Position einnehmen, da sie sich außerhalb von zusammengehörigen Gemeinschaften befinden (z. B. 2016). In deutschsprachigen Texten ist zunächst Outsider in dieser Lesart bezeugt (1879; vgl. auch 3OED unter outsiderengl., n. 1c). Die ersten nachweisbaren Gebräuche von Außenseiter in der Bedeutung Person, die einer bestimmten (sozialen) Gruppe, Gemeinschaft nicht angehört
begegnen in literarischen Texten: Im Jahr 1900 macht ein Lustspiel mit dem Titel Der Aussenseiter auf sich aufmerksam – die Aufführung des Stückes ist wegen der Darstellung sittenwidriger Zustände
zunächst verboten (vgl. 1901). Zwar wird im Text selbst der Ausdruck Outsider verwendet, um die Person zu bezeichnen, die nicht reingehört in das beschriebene Milieu, und für das Wort Außenseiter wird auf die Verwendung im Pferdesport hingewiesen; der Autor spielt im Titel des Schauspiels jedoch offensichtlich mit den verschiedenen Verwendungsweisen des Worts. Insgesamt finden sich viele Nachweise in literarischen oder künstlerischen Zusammenhängen. Die Figur des Außenseiters, der nicht in die Gesellschaft, sein Umfeld oder in seine Zeit passt, spielt hier als Symbol für Unangepasstheit und individuelle Freiheit eine wichtige Rolle (z. B. 1906, 1928, 2011).
Das Wort begegnet in dieser Lesart in Wortbildungen wie Außenseitertum (1920) und außenseiterisch in der Art eines Außenseiters
(1985) und als Bestimmungswort in dem Kompositum Außenseiterrolle Rolle, in der man nicht in eine Gruppe integriert ist
(z. B. 1973). Typische Verbindungen sind: Außenseiter der Gesellschaft (1952) bzw. gesellschaftlicher Außenseiter (1979a), ewiger Außenseiter (2001a), sozialer Außenseiter (2021) sowie (immer) Außenseiter bleiben/sein (2000).
Wortfeld
Die Wörter Außenseiter und Outsider werden, wie beschrieben, in allen Bedeutungen synonym verwendet. Im Hinblick auf die Bedeutung Person, die einer bestimmten Gruppe nicht angehört
sind zudem Bildungen wie Eigenbrötler, Einzelgänger und auch Sonderling als (teil)synonyme Wörter zu benennen (1975, 1995, 1996). Als Antonyme können Mitglied Angehörige/r einer Gemeinschaft
und Etablierter in der Lesart Person, die einen sicheren Platz innerhalb einer bürgerlichen Ordnung, Gesellschaft innehat
genannt werden; im Bereich des Sports werden Favorit und Spitzenreiter antonymisch gebraucht. Auch die Bildung Innenseiter wird bisweilen als Antonym zu Außenseiter verwendet (1925b, 2010).
In diesem Zusammenhang ist noch auf das Lehnwort Insider hinzuweisen, das zwar formal als Gegenwort zu Outsider angesehen werden kann, jedoch semantisch nicht das gegensätzliche Bedeutungsspektrum von Outsider abdeckt. Insider, im Englischen eine Ableitung von inside innerhalb, innen
(vgl. 3OED unter insider, n.) wird im 19. Jahrhundert im Deutschen singulär verwendet (1866b mit Bezug auf englische Verhältnisse und dort mit privilegiertes Mitglied erklärt).
Geläufig wird Insider seit den späten 1950er Jahren zunächst im Börsen- und Bankenwesen, wo es seitdem in der Bedeutung Person, die aufgrund ihrer beruflichen Stellung über nicht allgemein zugängliche (betriebsinterne) Informationen eines Unternehmens verfügt
gebraucht wird (1958; vgl. Anglizismen-Wb. 2, 704). Hierzu gehören auch die seit den 1960er Jahren bezeugten Komposita Insider-Geschäft, Insider-Handel, Insider-Information und Insider-Tipp (1965). Neben diesem im Wirtschaftsleben angesiedelten Hauptgebrauch wird Insider in der allgemeineren Lesart Person, die über interne Informationen auf einem bestimmten Gebiet verfügt bzw. in bestimmte Angelegenheiten eingeweiht ist
, zum Beispiel in der Verbindung etwas ist nur Insidern ein Begriff verwendet (1971, 1993a, 2001b).
Der Gebrauch von Insider in der Bedeutung (witzige) Bemerkung, die auf einer Anspielung basiert und nur von Personen mit bestimmten Vorkenntnissen verstanden werden kann
ist jünger und als umgangssprachlich zu bewerten (2015). Möglicherweise handelt es sich um eine Kürzung aus Insider-Anspielung oder Insider-Witz (1979b, 1993b; vgl. dazu auch englisch inside-joke).
Literatur
Anglizismen-Wb. Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, begründet von Broder Carstensen, fortgeführt von Ulrich Busse. Bd. 1–3. Berlin/New York 1993–1996.
1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Stiven 1936 Stiven, Agnes Bain: Englands Einfluß auf den deutschen Wortschatz. Diss. Marburg 1935. Zeulenroda 1936.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Außenseiter, Insider, Outsider.