Wortgeschichte
Eine Entlehnung aus dem Französischen
Das Adjektiv prekär wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus französisch précaire unsicher, gefährdet
ins Deutsche entlehnt. Es geht auf lateinisch precāriuszurück; dieses stellt eine Ableitung vom lateinischen Verb precārī bitten
dar und bedeutete dementsprechend erbeten, erbettelt, auf Widerruf gewährt
(zur Herkunft Pfeifer unter prekärDWDS; zum französischen Wort s. auch TLFi unter précaire).
Die Hauptbedeutung des deutschen Adjektivs ist, der französischen Entlehnungsbasis entsprechend, unsicher, gefährdet
. Diese Bedeutung findet sich in zahlreichen Schattierungen. Als prekär können so unterschiedliche Bezugsgrößen wie ein Besitz (1789, 1791), Gewerbszweig (1821), Gewinn (1873), Rang (1792) oder aber auch eine Wahrheit (1812), eine Spekulation (1883) oder eine Behauptung (1903) auftreten. Unsicher
als Grundbedeutung des Adjektivs kann dabei auch sehr konkret verstanden werden, etwa wenn von einem prekären Stand an einem Berghang die Rede ist (hier also keinen Halt bietend
, vgl. den Beleg 1869).
Als prekär werden seit dem 19. Jahrhundert oftmals auch ökonomisch schwierige Situationen bezeichnet, in die eine Einzelperson oder eine Personengruppe geraten kann; dies ist typischerweise in Verbindung mit Substantiven wie Lage (1834, 1900, 1966), Stellung (1854) oder Verhältnisse (1870a, 1913) der Fall. Auch eine einzelne menschliche Existenz kann insgesamt als prekär beurteilt werden (1870b, 1965).
Die breite Anwendbarkeit des Adjektivs prekär unsicher, gefährdet
auf sehr unterschiedliche Bezugsgrößen und Sachverhalte bleibt bis in die Gegenwart grundsätzlich erhalten (vgl. 2000a, 2000b, 2005). Das Wort ist dabei allerdings weitgehend auf die Schriftsprache beschränkt.
Prekäre Beschäftigung in der Arbeitswelt ab 1990
Vor dem Hintergrund dieses etablierten Gebrauchs ist ab ca. 1990 dann eine deutliche Dynamik in der Wortgeschichte erkennbar. Anschließend an die älteren Verwendungen, die auf schwierige ökonomische Lagen bezogen waren, gewinnen Verbindungen wie prekäre Beschäftigung und prekäre Beschäftigungsverhältnisse erheblich an Relevanz. Mit diesen Verbindungen wird auf Arbeitsformen verwiesen, die vor allem durch Befristungen, kurze Vertragslaufzeiten (wie etwa beim wissenschaftlichen Personal an Hochschulen), eine geringe Bezahlung sowie mangelnde soziale Absicherung u. ä. gekennzeichnet sind (1997, 1998a, 2000c). Als neue Bedeutung des Wortes etabliert sich somit von sozialer und ökonomischer Unsicherheit gekennzeichnet
.
Der Sachverhalt wird zwar als klar negativ gekennzeichnet. Es liegt jedoch kein durchweg abwertender, pejorativer Gebrauch im üblichen Sinne vor, da mit dem Wort vor allem die Verhältnisse, nicht aber die in diesen Verhältnissen lebenden Personen negativ bewertet werden (was die weitere Entwicklung zu einer auch Personen abwertenden, diskriminierenden Bezeichnung nicht ausschließt). Auch schwingt im Wortgebrauch insofern eine deontische Implikation mit, als diese Formen der Beschäftigung als zu vermeidende markiert sind (z. B. 1997). Naheliegenderweise waren es in den 1990er Jahren offenbar zunächst auch die Gewerkschaften und Akteure des linken politischen Spektrums, die diese neue Lesart des Adjektivs in einen breiteren Sprachgebrauch vermittelt haben (1998a, 1999).
Mehr oder weniger zeitgleich kommen auch einschlägige Verbindungen des Adjektivs flexibel in Gebrauch, so in Kombinationen wie flexible Beschäftigung oder flexible Arbeit (vgl. 1998b, 2010, 2015). Dieses bildet gewissermaßen das positiv besetzte Gegenstück zu prekär. Flexibel ist dabei erwartungsgemäß eher arbeitgebernahen Positionen und Akteuren zuzuschreiben.
Ein neuerlicher Einfluss des Französischen
Das Aufkommen dieser neuen Verwendung von prekär ab den 1990er Jahren ist wahrscheinlich vor dem Hintergrund eines französischen Vorbilds zu sehen. Dort ist z. B. die Verbindung travail précaire mindestens seit der Zeit um 1980 geläufig (in einem Beleg von 1981 etwa in einer Publikation der Sozialistischen Partei Frankreichs). Das französische Adjektiv dient zu dieser Zeit bereits der Kennzeichnung mangelhaft abgesicherter Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich; es trägt auch hier bereits deutlich den Charakter eines von der politischen Linken geprägten Ausdrucks (vgl. auch PrekariatWGd).
Literatur
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
TLFi Trésor de la language française informatisé (Trésor de la language française, sous la direction de Paul Imbs/Bernard Quemada. Bd. 1–16. Paris 1972–1994). (atilf.fr)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu prekär.