Vorschauansicht

linksradikal · rechtsradikal ultraradikal

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Die hohe Wortbildungsproduktivität des Adjektivs radikal lässt sich an bereits früh gebildeten Zusammensetzungen ablesen. Besonders geläufig sind linksradikal und rechtsradikal, die bis in die Gegenwart öffentliche Relevanz besitzen. Daneben gehört auch das bereits im 19. Jahrhundert gebildete ultraradikal zum Wortbildungsparadigma.

Wortgeschichte

Linkserweiterungen zu radikal

Die Produktivität des Adjektivs radikalWGd in der Dynamik politisch-ideologischer Auseinandersetzungen zeigt sich nicht zuletzt in seinen zahlreichen Wortbildungen. Besonders hervor stechen die Linkserweiterungen linksradikal und rechtsradikal. Sie stehen in einer Reihe anderer Wortbildungen mit denen radikalWGd, insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eingegrenzt, besonders gekennzeichnet oder einer politischen Richtung zugeordnet wird.

Mehr erfahren

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück führt die Bildung mit dem Präfix ultra-. Zunächst im politischen Spektrum als Gegensatz zu gemäßigt zu lesen (1840, 1850), ist ultraradikal, vor allem seit der Wende zum 20. Jahrhundert, meist in der Bedeutung eine extreme Haltung oder Positionierung in Bezug auf politische, ideologische oder soziale Ansichten in Verwendung (1876, 1919, 1967, 2004). Es ist vor allem die subjektive Einschätzung des Sprechers, nach der politische Einstellungen in übertriebener Weise ausgebildet sind, das akzeptable Maß weit übersteigen oder nach der Personen in ihren Überzeugungen zu Extremen neigen (1876, 1967; s. auch Strauß 1989, 387). Die Interpretation und Einschätzung eines mit ultraradikal bezeichneten Umstands ist abhängig von den Überzeugungen, Werten aber auch Erfahrungen des Sprechers (1999). Im Vergleich zu den Linkserweiterungen linksradikal und rechtsradikal ist ultraradikal allerdings nur gering bezeugt.

Mit dem seit der Jahrhundertwende bezeugten linksradikal (1906) in der Lesart linken bzw. linksextremistischen Vorstellungen anhängend (und diese vertretend) (vgl. DWDS unter linksradikalDWDS) werden überwiegend Gruppen beschrieben, die eine Politik gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung sowie gegen soziale Ungerechtigkeit und Unfreiheit anstreben. Mit dem Adjektiv verbindet sich vor allem die Konnotation der verschiedenen Aktionsformen, zu denen auch gewalttätige oder militante Methoden gehören, mit denen diese Gruppen ihre Ziele durchzusetzen versuchen (1971a, 1972a, 1997a, 2016). Ab Ende der 1960er Jahre referiert linksradikal oft auf die studentische Linke der Protestbewegung (1968, 1971a, 1971b, 1972a; s. auch LinksradikalismusWGd). Zudem wird linksradikal als Entsprechung zu linksextrem bis in die Gegenwart verwendet (2015).

Besonders häufig im allgemeinen Sprachgebrauch anzutreffen ist die Zusammensetzung rechtsradikal rechten bzw. rechtsextremistischen Vorstellungen anhängend (und diese vertretend) (vgl. DWDS unter rechtsradikalDWDS). Sie bezeichnet politische Gruppierungen der rechten Seite des politischen Spektrums, die extreme konservative, nationalistische oder autoritäre Ansichten vertreten (1918, 1950a, 2023). Die Grenze zu rechtsextrem ist unscharf; allgemeinsprachlich wird rechtsradikal durchaus mit rechtsextrem gleichgesetzt (1997b; s. auch RechtsradikalismusWGd und radikalWGd). Das Gegensatzpaar links- und rechtsradikal zur Beschreibung politischer Ansichten, die die beiden extremen Positionen im politischen Spektrum vertreten, wird bis in die Gegenwart wiederholt betont (1950b, 1972b, 2020).

Literatur

DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)

Strauß 1989 Strauß, Gerhard: Politik und Ideologie. In: Gerhard Strauß/Ulrike Haß/Gisela Harras (Hrsg.): Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. Berlin/New York 1989, S. 25–394.

Belegauswahl

Bis zum 7 jedoch hatten sich die beiden Versammlungssäle ziemlich gefüllt. Nach dem Anblick der zweiten Kammer zu schließen, schien eine Majorität der Septembristas oder ultraradicalen Partei über die Cartistas oder die von der Regierung begünstigte gemäßigtere Partei zu befürchten.

Allgemeine Zeitung, 20. 1. 1840, Nr. 20, S. 153. (deutschestextarchiv.de)

Die ultraradicale Opposition wird sich nun wohl von der, wie sie bereits genannt wird, gouvernementalen Partei trennen, die sie schon beschuldigt daß sie mit den Conservativen Hand in Hand gehe.

Allgemeine Zeitung, 4. 2. 1850, Nr. 35, S. 551. (deutschestextarchiv.de)

Ueber die Art des weiblichen geistigen Unvermögens, die Ausübung des Stimmrechts betreffend, ist man übrigens auf Seiten unserer Gegner sehr verschiedener Meinung. Mr. Newgate, ein streng conservativer Herr, fordert bei einer früheren Gelegenheit das Haus auf, das Stimmrecht der Frauen als eine ultraradikale Maßregel zu verwerfen […].

Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876, S. 120. (deutschestextarchiv.de)

[…]Alle Anſtrengungen, die klerikalen Deutſchen der Alpenländer, die nationalindolenten Wiener, die radikalen Deutſchböhmen unter einen Hut zu bringen, waren vergebens. Obendrein beging der linksradikale Flügel den phantaſtiſchen Fehler: offen einzugeſtehen, daß er Oeſterreich in ein Vaſallenſtaats-Verhältnis zum Deutſchen Reiche bringen wolle.

Czernowitzer Allgemeine Zeitung, 22. 5. 1906, Nr. 712, S. 1. (deutschestextarchiv.de)

[…]Daß ein Beamter nominell an der Spitze der Reichswehr steht, der das nicht versteht, der noch nicht eingesehen hat, daß dieses lächerliche Spiel der Geheimnistuerei eine Sache von vorvorgestern ist, beweist, daß Deutschland nichts gelernt hat. Auch den Vorwurf, daß die Reichswehr intime Beziehungen zu den sogenannten vaterländischen rechtsradikalen Verbänden unterhalte, wies der Minister zurück.

Tucholsky, Kurt: Ein deutscher Reichswehrminister. In: Ders.: Werke – Briefe – Materialien. Berlin 2000 [1918], S. 3715. [DWDS]

Man ist in literarischen Vereinigungen, in politischen Zirkeln, in Zeitungen und Zeitschriften ultraradikal, schwankt zwischen Kommunismus und Räte-Republik, und wir halten noch nicht einmal bei einer einigermaßen durchgeführten Demokratie.

Tucholsky, Kurt: Eindrücke von einer Reise. In: Ders.: Werke – Briefe – Materialien. Berlin 2000 [1919], S. 1511. [DWDS]

In Italien gibt es schon seit einigen Jahren wieder eine rechtsradikale Partei, die kein Hehl daraus macht, daß sie den alten Faschismus fortsetzen möchte. Sie nennt sich „Movimento sociale italiano“, abgekürzt M. S. I.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. 3. 1950, S. 2.

[…]Der dem Bundeskanzler nahestehende Deutschland-Union-Dienst, der CDU-CSU, nahm zu dem neuen französischen Plan über die europäische Verteidigung wie folgt Stellung: Der Plan des französischen Ministerpräsidenten bereite der Politik des Bundeskanzlers Schwierigkeiten, weil er geeignet sei, sowohl die rechts wie auch die linksradikalen Strömungen in der Bundesrepublik zu stärken. Angesichts der französischen Haltung gewännen die rechtsradikalen Parteien an Boden.

N. N.: Außenpolitik. DEUTSCHLAND (WEST-). Wehrwesen. In: Archiv der Gegenwart, Bd. 20, 30. 10. 1950, S. 2650. [DWDS]

Anpassung an Amerika? Die nachkapitalistische Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft ist jedoch weit weniger einfach, als sich einige ultraradikale Kritiker vorstellen.

Die Zeit, 29. 9. 1967, Nr. 39. [DWDS] (zeit.de)

Als der Pfarrer mit der Bibellesung beginnen wollte, stimmte eine Gruppe linksradikaler Studenten – unter Führung der „Kommunarden“ Teufel, Langhans und Kunzelmann – den Sprechchor an: „Wir wollen diskutieren.“

Die Zeit, 5. 1. 1968, Nr. 01. [DWDS] (zeit.de)

Das alles sind keine theoretischen Spielereien, sondern Aufhetzen zum Haß gegen andere […]und Einübungen zum Handeln in einer Stadt, die seit drei Jahren […](auch gerade am Tage, da dies geschrieben wird) aufs schwerste leidet unter den gewalttätigen Demonstrationen importierter linksradikaler revolutionärer Gruppen, mit lebensgefährlichen Angriffen auf die Polizei, […]mit Lahmlegung des Verkehrs, mit Zerstörung, Plünderung und Brandstiftung in Geschäften, besonders in Kaufhäusern, häufigen Sexualverbrechen an Kindern und Frauen durch Halbwüchsige, ja durch 14- und 15jährige, und mit versuchten und durchgeführten Angriffen auf Auslandsvertretungen und auf fremde Staatsmänner (wie USA-Vizepräsident, Schah von Persien), mit Bombenattentaten auf sie und auf deutsche Richter, Publizisten, Politiker usw., von den häufigen Zerstörungen in den Universitäten zu schweigen!

Autorenkollektiv am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin: Sozialistische Projektarbeit im Berliner Schülerladen Rote Freiheit. Frankfurt 1971, S. 436. [DWDS]

Rauschgift und Brandbomben, Promiskuität und Kriminalität jeder Art hängt die CDU linksradikalen studentischen Gruppen an, gegen die gewiß vom marxistischen Standpunkt einiges einzuwenden wäre, die aber in diesen Fragen, wie die CDU wohl weiß, mehr oder weniger klar und wirksam Stellung bezogen haben und immer wieder beziehen gegen die »Greuel«, mit der die CDU sie in den Augen der Bevölkerung identifiziert haben will, wie dereinst die Nazis die Juden.

Autorenkollektiv am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin: Sozialistische Projektarbeit im Berliner Schülerladen Rote Freiheit. Frankfurt 1971, S. 449. [DWDS]

Die Behauptung linksradikaler Ideologen, daß unser Bildungswesen sozusagen vom Kapitalismus gekauft sei, ist barer Unsinn. […]Dagegen stimmen jene sozialkritischen Urteile, die unserem Bildungssystem vorwerfen, daß seine Schüler und Studenten noch immer an der sozialen Wirklichkeit vorbeilernten.

Die Zeit, 21. 4. 1972, Nr. 16. [DWDS] (zeit.de)

[…]Die angesehensten Intellektuellen dieser Republik, die sogenannten führenden Geister, sind offenbar mit diesem Staat sehr zufrieden. Ihre Waffen richten sich nach links und nach rechts und nennen den Gegner am liebsten links- oder rechtsradikal, und am allerliebsten werfen sie diese Links- und Rechtsradikalen auf einen Haufen, den sie dann auch noch gleich vom Boden des Grundgesetzes stoßen, hinaus ins Niemands- beziehungsweise outlaw- Land.

Die Zeit, 3. 3. 1972, Nr. 09. [DWDS] (zeit.de)

Auch linksradikale Splittergruppen benutzen zunehmend Methoden der Kommunikationsguerilla, um ihre Ideen und Ideale zu verbreiten. Die amerikanische Gruppierung PTP (Power To the People) schafft es immer wieder, durch spektakuläre Medienaktionen bei einem breiten Publikum Aufmerksamkeit zu erregen.

Die Zeit, 26. 9. 1997, Nr. 40. [DWDS] (zeit.de)

Ein Soldat wird mit „Herr Sturmbannführer“ angeredet, ein Wehrpflichtiger mehrfach als „Jude“ bezeichnet. Bei Trinkgelagen im Klubraum der Schneeberger Kaserne trugen Soldaten T-Shirts mit rechtsextremen Aufschriften; im Hintergrund läuft Musik rechtsradikaler und Skinhead-Bands.

Berliner Zeitung, 24. 10. 1997. [DWDS]

[…]Krebsgeschwülste in der Speiseröhre sind trotz aller Fortschritte bei der Behandlung, die heute nicht selten aus Chemotherapie, Bestrahlung und Operation besteht, nach wie vor heimtückisch. Das gilt selbst für kleine Tumore, die in einem frühen Stadium entdeckt werden. Auch nach einer eingreifenden Operation, die die Fachleute als ultraradikal bezeichnen, wächst der Herd bei einem Drittel der Patienten weiter. Meistens macht sich die Krankheit jedoch nicht am Ort der ersten Manifestation bemerkbar, sondern an anderer Stelle.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 5. 1999, Nr. 114, S. N2.

Oder sie handelt auf eigene Faust. Und kooperiert sogar mit Ungläubigen, zum Beispiel ultraradikalen Anhängern der Eta. Auch diese Vermutung wird in Sicherheitskreisen geäußert.

Der Tagesspiegel, 15. 3. 2004. [DWDS]

[…]Da gab es, anders als Gero von Randow meint, keine Unklarheiten. Je nach Grad der Zustimmung zu den unterschiedlichen Aussagen stuften wir vier Prozent der Befragten als Personen mit einem nahezu geschlossenen linksextremen Weltbild und weitere 13 Prozent als anfällig für linksradikale/linksextreme Anschauungen ein. […]Damit behaupten wir keineswegs, dass die politische Stabilität Deutschlands bedroht ist, sondern zeigen, dass eine Minderheit der Bevölkerung Grundpfeiler unserer wirtschaftlichen und politischen Ordnung infrage stellt.

Die Zeit, 12. 3. 2015, Nr. 11. [DWDS] (zeit.de)

Das Milieu rechnet mit Nachsicht und wurde bisher auch so behandelt, allen Warnungen zum Trotz. Weil links das Herz schlägt und linksradikal, sogar Linksterrorismus manch einem besser klingt als das dumpfe Gebrüll der Rechtsextremisten?

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 7. 2016, Nr. 160, S. 9.

Für die eher links im politischen Spektrum situierten Akteure wie Stefan Butz von der „Liste Progressives Bad Kreuznach“ war das natürlich eine Provokation: Ausgerechnet vom rechten Rand kam die Bitte um eine Schweigeminute für die Opfer eines offensichtlich rechtsradikalen Irren.

Allgemeine Zeitung, 3. 3. 2020. [DWDS]

„ Wir wollen nicht hinnehmen, dass sich eine aus unserer Sicht in weiten Teilen rechtsradikale, rassistische und undemokratische Partei in unserem Landkreis einnistet“ , wird Susan Göbel, Mitglied im Aktionsnetzwerk und Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Bad Lausick, zitiert.

Leipziger Volkszeitung, 16. 5. 2023. [DWDS]