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elitär

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Das Adjektiv elitär geht (anders als seine Basis Elite) nicht auf ein direktes französisches Vorbild zurück, sondern stellt eine eigenständige Wortbildung des Deutschen dar, die erst ab ca. Mitte der 1930er Jahre bezeugt ist. Die vage Grundbedeutung in einem Bezug zu einer Elite stehend kann je nach Kontext sehr unterschiedlich ausfallen. Mindestens seit den 1970er Jahren bedeutet es auch arrogant, abgehoben und erfährt damit eine Bedeutungsverschlechterung.

Wortgeschichte

Zur Wortbildung

Während das Substantiv EliteWGd bereits im 17. Jahrhundert erstmals bezeugt ist, kommt das dazugehörige Adjektiv elitär erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf (zunächst 1937, dann häufiger ab den 1950er Jahren, z. B. 1957b). Anders als bei dem Substantiv Elite handelt es sich nicht um eine Entlehnung aus dem Französischen, sondern um eine davon unabhängige Neubildung im Deutschen. Diese enthält das Lehnsuffix -är, das normalerweise zur Bildung von Adjektiven aus entlehnten Nomina verwendet wird wie in illusionär, defizitär, rudimentär.1) Im Französischen lautet das entsprechende Adjektiv élitiste; dazu passt im Deutschen am ehesten die – freilich selten bleibende – Bildung elitistisch (1979).

Die Bedeutung im Kontext

Die Bedeutung von elitär ist verhältnismäßig vage; es lassen sich daher je nach Bezugswort des Adjektivs mindestens drei Bedeutungsangaben machen, die sich teilweise auch überschneiden:

  1. kennzeichnend für eine Elite, z. B. sich elitär gebärden (1952), elitäre Geistesbildung (1957a)
  2. eine Elite darstellend, bildend, z. B. in elitäre Minderheit (1957b), elitärer Professorenstand (1963), elitärer Zirkel (1978, 1984)
  3. für eine Elite bestimmt, einer Elite vorbehalten, z. B. in elitäre Privilegien (1969, hier im Gegensatz zu egalitär), Arno Schmidts elitäres Mammutwerk Zettels Traum (1974)

Will man so etwas wie die Grundbedeutung des Adjektivs ermitteln, so könnte man diese, gewissermaßen als kleinsten gemeinsamen Nenner der Bedeutungspositionen 1–3, pauschal angeben als: in einem Bezug zu einer Elite stehend. Die Art des Bezugs wird dann durch den jeweiligen Kontext näher bestimmt.

Elitäres Gerede: Bedeutungsverschlechterung ab ca. 1970

Zu den charakteristischen Eigenschaften, die man einer Elite zuweilen zuschreibt, gehören auch Einstellungen und Verhaltensweisen wie elitäre Koketterie (1971), elitäres Gerede (1973, 1975), elitäres Gehabe (1980a, 1997) und elitäre Haltung (2010). Gerade in Verbindung mit Bezugswörtern wie den genannten, die Handlungen, Einstellungen oder ein bestimmtes Verhalten bezeichnen, erhält das Wort tendenziell eine abwertende Konnotation: Ein elitäres Gerede oder ein elitäres Gehabe sind nicht nur schlicht eine für eine Elite charakteristische Redeweise bzw. ein entsprechendes Verhalten, sondern sie sind gleichzeitig als arrogant und abgehoben zu verstehen. Dementsprechend können auch Personen und Personengruppen, die eine solche Haltung oder Redeweise zeigen, in dieser Weise bezeichnet werden (elitäre Snobs, 1989). Das Adjektiv elitär hat auf diese Weise eine pejorative Lesart herausgebildet, die man neben die oben erwähnten Bedeutungspositionen stellen kann.

Eine naheliegende Annahme wäre, dass das Aufkommen dieser pejorativen Verwendung, die ab ca. 1970 in den Belegen greifbar wird, mit der Elitenkritik der zeitgenössischen Protestbewegungen in Verbindung steht. Hinzuweisen ist immerhin auf die Tatsache, dass elitär nach Ausweis der entsprechenden DWDS-Häufigkeitskurve von ca. 1972 bis 1975 einen ersten Höhepunkt aufweist (s. Abb. 1). Textbelege, die eine solche Kontextualisierung sicher zeigen, fehlen freilich (die frühesten sind die oben genannten 1971, 1973, 1975).

Zum Verhältnis von Elite und elitär

Hervorzuheben ist, dass das Substantiv EliteWGd keine vergleichbare Bedeutungsverschlechterung erfahren hat: Einer Elite anzugehören ist akzeptabel oder sogar sehr ehrenwert, elitär sollte man aber auch als Angehöriger einer Elite nicht sein (2002, vgl. auch 1980b). Nomen und Adjektiv haben sich hier also nicht im Gleichschritt entwickelt.

Anmerkungen

1) Zum Suffix -är/-ar vgl. Fleischer/Barz 2012, 349; zur Herkunft s. 25Kluge, 56.

Literatur

Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.

25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.

Belegauswahl

Denn auch die platonische Erkenntnislehre ist durchaus elitär-aristokratisch aufgebaut, ein seltnes Beispiel der Adäquanz philosophischer Theorie und sozialer Seinsgebundenheit.

N. N.: Das Neue Tage-Buch. Bd. 5. Niederlande 1937, S. 175. (books.google.de)

So ist nebenbei die bittere Lehre aus der Geschichte vom unglücklichen „Happy“, […]deren Buchtitel „Nenn’ es Verrat“ heißt, daß man aus dem deutschen Widerstand, weil er sich elitär gebärdete, nur eine für eine Elite geltende ethische Motivierung ableiten kann.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 11. 1952, S. 6.

Die Funktionen dieser so wissenschaftlich ausgebildeten Intelligenz umfassen […]in der Struktur der modernen Gesellschaft aber Ränge und Leistungen, die bei einer noch so großzügigen Auslegung des Begriffs einer geistigen Führungsschicht damit kaum etwas zu tun haben, denen eine elitäre Geistesbildung anzusinnen daher sozial sinnlos […]und praktisch ergebnislos ist.

Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Düsseldorf 1957, S. 313.

Er [der Verhaltenstyp der Hitler-Jugend] ist in seinen Sozialformen […], die diese Verhaltensformen stützen, kollektivistischer als die Jugendbewegung, primitiver in seiner geistigen Struktur, dafür aber handlungssicherer und nicht so sehr auf eine elitäre Minderheit der Jugend abgestellt wie jene.

Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Düsseldorf 1957, S. 79. [DWDS]

[Auch] der elitäre Professorenstand kennt so etwas wie den schlechten Durchschnitt.

Die Zeit, 25. 1. 1963, Nr. 4. [DWDS] (zeit.de)

Wenn jedoch dieser Tonfall, dieses elitäre Gebaren im Namen der Demokratie, Einlaß in die neue Zeitschrift findet, dann ist es um sie geschehen.

Die Zeit, 02. 07. 1965, Nr. 27. [DWDS]

Kryptokommunistische Prediger der egalitären Revolution befinden sich zur Zeit im Kampf gegen faschistoide Verschwörer elitärer Privilegien. So jedenfalls sehen die Doktrinäre beider Lager den Kampf um die englische Gesamtoberschule

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. 11. 1969, S. 2.

Unter dem Druck der Militärdiktatur hat sich ein Teil des jungen brasilianischen Films inzwischen so ziellos und hermetisch zu einem Anti-Kino entwickelt, daß er sich den Vorwurf eingetragen hat, […]intellektuelle Exportartikel zu produzieren und einer gefährlichen, elitären Koketterie […]mit der eigenen politischen Impotenz zu frönen.

Die Zeit, 22. 10. 1971, Nr. 43. [DWDS] (zeit.de)

Obrigkeitssprache einerseits und elitäres Gerede andererseits stehen wie Schranken vor dem Bürger.

Archiv der Gegenwart, 2001 [1973], S. 17812. [DWDS]

Inzwischen erschienen Bücher von Rosa Luxemburg, W. Benjamin, […]J. Habermas, Horckheimer und Adorno u. a., aber auch Arno Schmidts elitäres Mammutwerk „Zettels Traum“ [sic], in Raubdrucken zu Dumpingpreisen

N. N.: Raubdruck. In: Aktuelles Lexikon 1974–2000. München [1974] 2000, S. 583. [DWDS]

Selbst Arbeiter, die das elitäre Gerede von Linksintellektuellen verwirrt, sehen in der CDU eine annehmbare Alternative.

Wiedemeyer, Wolfgang: Helmut Kohl. Porträt eines deutschen Politikers: eine biographische Dokumentation. Bad Honnef 1975, S. 158. (books.google.de)

Dies mag für elitäre Zirkel, für Studiengruppen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vielleicht gelten, für den Auswärtigen Ausschuß gewiß nicht.

Die Zeit, 14. 4. 1978, Nr. 16. [DWDS] (zeit.de)

[…] so daß der moderne Staat, sei er kapitalistisch oder sozialistisch, liberal oder autoritär, egalitär-demokratisch oder elitistisch, im Effekt immer »paternalistischer« wird.

Jonas, Hans: Das Prinzip der Verantwortung, Frankfurt a. M. 1979, S. 192. [DWDS]

Dass Hauptmann Eidel die großartigste und imponierendste Persönlichkeit war, die mir während meiner Frontjahre begegnete, konnte ich damals nicht ahnen. Aufmerksam, sachlich und ohne elitäres Gehabe.

Die Zeit, 12. 9. 1980, Nr. 38. (books.google.de)

Elitär bedeutet nicht, wie oftmals geglaubt wird, abgesondert, sondern; Auswahl, Auslesen, die Besten, In diesem Sinne benötigen wir eine Elite.“

N. N.: Zeitlese. In: Die Zeit, 12. 9. 1980, Nr. 38. [DWDS] (zeit.de)

Dort lernte der ungebildete Fünfzehnjährige, was Sozialismus sein soll. Der ISK verstand sich aber auch als kleiner, elitärer Zirkel aus Gleichgesinnten und hatte Züge, die ans Verschrobene grenzten […]: nicht zu rauchen und zu trinken, Pünktlichkeit walten zu lassen, die bürgerliche Ehe zu verachten – das gehörte zur weihevollen Abgrenzung von den gewöhnlichen Genossen.

Die Zeit, 15. 6. 1984, Nr. 25. [DWDS] (zeit.de)

Unmut und Widerstand gegen die CIA und ihre elitären Snobs saßen tief bei den zahlreichen Konkurrenten.

Der Spiegel, 9. 10. 1989, S. 167. [DWDS]

Die Anfälligkeit einer markenorientierten Gesellschaft für diesen elitären Habitus ist nicht verwunderlich.

Berliner Zeitung, 25. 2. 1997. [DWDS]

Wesentlich sei, aufgeschlossener für die Bildung von Eliten zu sein, solange die „nicht elitär“ seien.

Berliner Zeitung, 10. 5. 2002. [DWDS]

„Eine elitäre Haltung lehne ich grundsätzlich ab“, sagt Katharina Wagner, mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier seit 2009 Leiterin der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth. Doch was könnte elitärer sein als diese?

Die Presse, 23. 8. 2010, S. 21. [IDS]