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aufsteigen Aufstieg

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Das Verb aufsteigen, das seit dem 8. Jahrhundert überliefert ist, bezeichnet grundsätzlich eine nach oben gerichtete Bewegung. Ausgehend von dieser räumlich-konkreten Lesart bildet es im Laufe der Geschichte eine Reihe übertragener Bedeutungen aus, darunter seit dem 16. Jahrhundert auch die Lesart eine höhere soziale Stellung, Macht, Reichtum erlangen. Die entsprechende Ableitung Aufstieg wird in dieser Bedeutung erst Ende des 19. Jahrhunderts greifbar.

Wortgeschichte

Aufsteigen als Bewegungsverb

Vom Beginn seiner Überlieferung im 8. Jahrhundert bis in die Gegenwart tritt aufsteigen als Bewegungsverb auf. Seine über die Zeiten konstante Grundbedeutung ist sich nach oben bewegen, was sowohl eine aktiv ausgeführte Bewegung (z. B. im Sinne von klettern, 1599) als auch eine sich ohne eigenen Antrieb vollziehende Bewegung umfassen kann, etwa wenn Rauch in die Höhe steigt oder ein Hefeteig sich nach oben hin ausdehnt (1552, 1631, 1652). Die Partikel auf stellt die Aufwärtsbewegung deutlich heraus, auch wenn steigen selbst bereits eine nach oben gerichtete Bewegung ausdrückt.

Viele der weiteren Lesarten des Verbs sind von dieser räumlich-konkreten Grundbedeutung her ableitbar. Dies gilt etwa für sich erheben (der Berg steigt über der Landschaft auf), in einer Abstammungslinie auf einen Vorfahren zurückgehen, in der Tonhöhe steigen oder zum Vorschein kommen, entstehen, letzteres in der Anwendung auf Gedanken oder Gefühle (1583, 1740, 1849; vgl. auch allgemein 2DWB 3, 772).

Die nach oben gerichtete Bewegung ist grundsätzlich mit positiven Entwicklungen assoziiert. Hier wird die in der menschlichen Kognition fest verankerte Gleichsetzung der Konzepte oben und gut realisiert. Aufsteigen bedeutet dementsprechend auch sich gut entwickeln, wenn etwa vom sich positiv entwickelndem Verstand eines Schülers (1569a), einer florierenden Stadt (1614) oder einer wachsenden Wirtschaftskraft die Rede ist (1954b).

Ein Verb für die soziale Mobilität

Von der Vorstellung einer nach oben gerichteten Bewegung sind auch Verwendungen motivierbar, die sich auf die soziale Mobilität von Personen beziehen und in denen dem Verb entsprechend eine höhere soziale und ökonomische Stellung erlangen als Bedeutung zugeschrieben werden kann. So ist bereits für das mittelhochdeutsche Verb eine Verwendung im Sinne von an Ehre, Reichtum gewinnen bezeugt (an guote, an êre ûf stîgen, vgl. 2DWB 3, 772), und in frühneuhochdeutschen Texten ist – mit deutlich erkennbarer Bildlichkeit – auch die Rede davon, dass man im Glücksrad des Lebens aufsteigen kann (2DWB 3, 774). Aus dem 16. Jahrhundert gibt es dann bereits Belege für Wortverwendungen, in denen sehr deutlich ein Aufsteigen in der Sozialhierarchie thematisiert wird. Dies ist etwa im Beleg von 1569b der Fall, wo von einem Aufstieg vom Bauern zum Bürger die Rede ist. Auch in eine höhere berufliche Stellung, die in der Regel mit einer sozialen und ökonomischen Besserstellung verbunden ist, kann man aufsteigen (1650, 1894, 1947, 1964). Die Bedeutung eine höhere soziale und ökonomische Stellung erlangen, die hier greifbar wird, setzt sich bis in die Gegenwart fort (vgl. 2022).

Der soziale Aufstieg ist wohl auch die Schablone, nach der sportlicher Erfolg modelliert wird: Ein Sportler bzw. eine Sportmannschaft kann in eine höhere Leistungsklasse gelangen (1950, 1954a, 1994). Auch in dieser Verwendung kommt das Schema oben ist gut zum Tragen.

Das Substantiv Aufstieg

Das vom Verb aufsteigen abgeleitete Substantiv Aufstieg ist seit dem 16. Jahrhundert bezeugt, und zwar zunächst in der konkreten Bewegungslesart (2DWB 3, 784). Diese liegt typischerweise vor, wenn von der Besteigung eines Berges oder dem Emporsteigen eines Luftballons die Rede ist (1846, 1875, 1897). In der Bedeutung Erlangung eines höheren sozioökonomischen Status ist es seit den 1890er Jahren zu belegen (vgl. 1896, 1908, 1933, 1957, 2023). Eng verwandt mit diesem Gebrauch von Aufstieg ist die Lesart kulturelle, geistige, ökonomische Weiterentwicklung (1898, 1903, 1945). Der Aufstieg im Sport ist seit Mitte der 1940er Jahre bezeugt (1946).

Literatur

2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)

Belegauswahl

Darzü soll auch keiner an den heiligen Sontägen / vnd andern Festen vnd Feirtagen / ob joch das Wasser über das geordnet zeichen auffgestigen were / gar nit vischen / bei peen drei Pfundt Heller.

Des Fürstenthumbs Wirtemberg newe Landtsordnung/ gebessert vnd gemehret/ sampt darzu gedruckten der armen Casten/ auch Holtz vnnd Vorst ordnungen. [Tübingen] 1552, S. 65. (deutschestextarchiv.de)

So ist demnach berathlich erwogen / diese Schul Ordination in vnderschiedliche Classes / vnnd derselbigen fünff / inmassen (dann der Knaben verstandt / captus vnd Erudition auch auffsteigt) außzuteilen.

Kirchenordnung Unnser, von Gottes Genaden, Julii Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg. Wolfenbüttel 1569, S. 312. (deutschestextarchiv.de)

wirt ein bawr ein buͤrger, .. so steiget sie (Ehefrau) jmmerzu mit jhrem mann auff.

²DWB 3, 772 (theatrvm diabolorum 348a).

Es möchten aber hie manchem diese gedancken in seinem hertzen auffsteigen/ ob es nicht allzu scharff were/ das Gott der Herr vmb eines apffels wegen/ den Menschen mit allen seinen Nachkomen so hart straffet.

Leyser, Polycarp: Ein Christliche Leichpredigt/ Bey der begrebnis des Erbarn vnd wolgelarten/ Sigismundt Petzelij von Lobschütz. Wittenberg 1583, Bl. C iv b. (deutschestextarchiv.de)

[…] darauff ward erkant/ das man nicht mehr mit Leittern stürmen solte/ sonder […] das man mit freyem Lauff/ vnd auffsteigen stürmen köndte/ dann die Leitern sie sehr gehindert hetten/ weil einer nach dem andern müßte an einer Leitern auffsteigen.

Specklin, Daniel: Architectura von Vestungen. Straßburg 1599, S. 83b. (deutschestextarchiv.de)

Ostende am Frantzösische Meer gelegen/ ist ein zeitlange sehr auffgestiegen/ an jetzo aber sehr bevestiget/ wegen der harten vnnd schweren Belägerung so sie vergangnen Jahren außgestanden/ sehr berühmet.

Beatus, Georg: Amphitheatrvm Naturae, Schawplatz Menschlicher Herzlichkeit: In zwey unterchiedliche Theil verfasset. Frankfurt 1614, S. 96. (deutschestextarchiv.de)

Gott hat die Welt also geschaffen/ vnd erhele jhre Natur also/ das alles was leicht ist/ als Lufft/ Dampff/ Rauch/ Fewer/ vbersich gen Himmel auffsteigt/ alles aber/ was schwer ist/ als Wasser/ Erd/ vnd alles was jrrdischer vnnd wässeriger Natur ist/ vntersich gegen das Mittelpunct deß Erdbodens dringet.

Crüger, Peter: Cupediæ Astrosophicæ […] Darinnen die allerkunstreichesten vnd tieffesten Geheimbnüsse/ der Astronomiæ, deß Calender-Schreibens/ der Astrologiæ, vnd der Geographiæ, […] außgeführet sind. Breslau 1631, Bl. Z ii. (deutschestextarchiv.de)

Daher es auch kompt/ daß die Oberste vnter jhnen gemeiniglich Bauren/ oder schlechter Leuth Kinder sind/ welche vermittelst tapfferer Kriegsthaten allgemach zu solchen Ehren Emptern auffgestiegen; Vnd ist solches den vornehmbsten Regenten oder Befehlchshabern bey jhnen viel mehr eine Ehr/ dann eine Schand.

Wartmann, Sigismund Friedrich: Germaniae Pertvrbatae et Restavratae sive Vnpartheyischer wolmeynender Theologo-Politicorum Discvrsvm Ander vnd dritter Theil: Vom Zustand deß Römischen Reichs. Frankfurt a. M. 1650, S. 183. (deutschestextarchiv.de)

Wie ein Teig zu gehen / vnd auffzusteigen beginnet / wann Sauerteig hinein gemenget wird / da es sonst stille bleibet / also empfindet das menschliche Hertz ohn den H. Geist keine geistliche Bewegung.

Lütkemann, Joachim: Apostolische Auffmunterung zum Lebendigen Glauben in Christo Jesu. Frankfurt a. M. u. a. 1652, S. 599. (deutschestextarchiv.de)

Wenn böse Gedancken und Begierden aufsteigen, so ist der allersicherste und allerleichteste Rath: daß man sie ohne den geringsten Aufschub verjage; sie nicht den kleinsten Augenblick im Gemüthe dulde; noch sich in Ueberlegungen, wie man etwa der Versuchung wiederstehen werde einlasse.

Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau 1740, S. 476. (deutschestextarchiv.de)

Das rege Leben zu solcher Zeit so hoch oben über den Thälern ist höchst anziehend und belohnt gewiß für den ohnehin sehr bequemen Aufstieg.

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München 1846, S. 414. (deutschestextarchiv.de)

Mit all’ der Wuth, die bei dem Verlust eines so lieblichen Monopols in den ahnenreichen Herzen aufsteigen mußte, wurde das Gesetz unterzeichnet und publizirt.

Neue Rheinische Zeitung, 14. April 1849, Nr. 272, S. 1. (deutschestextarchiv.de)

Joseph Infanger, der etwa 16jährige Sohn des Adlerwirths, sollte mein Führer sein; er hatte, wie er mir sagte, den Aufstieg von dieser Seite noch nie unternommen und war daher gerne bereit, die Gelegenheit zu benützen.

Jahrbuch des Schweizer Alpen-Clubs 1875, S. 137. [DWDS]

Praktiker durch und durch, war er vom Regimentsschreiber zum Minister aufgestiegen und mit der Geschäftswelt immer in Fühlung geblieben.

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig 1894, S. 502. (deutschestextarchiv.de)

Das Haus des Beaux konnte einem Freunde schon Empfehlungsbriefe nach New York oder New Orleans mitgeben, die ihm die Wege ebneten und seinen Aufstieg erleichterten, selbst wenn er nur kam, um zum zweiten Mal den Versuch zu machen, ein armes Mitgeschöpf aus der Verkletterung herabzuholen, sonst aber sich wenig aus den Herrlichkeiten der Zeitlichkeit machte.

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin 1896, S. 175. (deutschestextarchiv.de)

Der Aufstieg des Ballons ging glatt von statten.

Mährisches Tagblatt, 14. 6. 1897, Nr. 134, S. 5. (deutschestextarchiv.de)

Denn so sicher dessen Sinn und Recht überhaupt in Gefühlen liegt, aus denen es fließt und die aus ihm fließen, so gründet sich der Aufstieg von niederer und primitiver Kunst zu ihrer Reinheit und Höhe auf den Uebergang des unmittelbaren subjektiven Gefühles zu jenem objektiven, das den gleichen Inhalt aus der Impulsivität und Zugespitztheit jenes in Ruhe und breitere Giltigkeit überführt.

Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft 22, 26. Februar 1898, S. 386–396, hier S. 387. (deutschestextarchiv.de)

Glaubst du nicht daran, nicht also an einen unaufhaltsamen Aufstieg im „Menschlichsten“ des Menschen, so ist es ja schließlich auch einerlei, ob die Menschheit degeneriert.

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur: Eine Entwickelungsgeschichte der Liebe. Bd. 3. Leipzig 1903, S. 141. (deutschestextarchiv.de)

Und dasselbe gilt von dem sozialen Aufstieg des gefährlicheren und schlaueren Mädchens, das mit allen Mitteln verlogener Findigkeit und zielbewußter Rücksichtslosigkeit – ohne irgend welche moralische Anfechtungen – die Höhe des sorglosen Wohllebens und des äußeren sozialen Ansehens gewinnt.

Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe), 4. 3. 1908, S. 3. [DWDS]

Arbeiten bewirkt den sozialen Aufstieg.

Spoerl, Heinrich: Die Feuerzangenbowle. München o. J. [1933], S. 191. [DWDS]

Zwecks Vergrößerung der Erzeugung von Industriewaren und des weiteren Aufstiegs der Landwirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, hat der Oberste Chef der Sowjetischen Militärverwaltung […]in Deutschland einen Befehl erlassen, in welchem die Direktoren der deutschen Verwaltungen […]für Industrie-, Land- und Forstwirtschaft, Verkehrswesen und anderer Zweige, sowie die Präsidenten der Provinzen und der Länder verpflichtet werden, einen Plan zur weiteren Entwicklung der Industrie, der Landwirtschaft und des Transportwesens […]im Jahre 1946 auszuarbeiten.

Berliner Zeitung, 4. 11. 1945. [DWDS]

Die punktgleichen Mannschaften von Adlershof und Lichtenberg-Nord werden sich einen erbitterten Kampf um den Aufstieg liefern.

Berliner Zeitung, 16. 8. 1946. [DWDS]

Zum Offizier der Sowjetischen Armee kann jeder Arbeiter- und Bauernsohn aufsteigen.

Neues Deutschland, 23. 2. 1947. [DWDS]

Im Mittelpunkt des Kampfabends stehen zweifellos die Jubilare Eichmann und Krüger. Eichmann (SV Lokomotive), der veranlagte jugendliche Leichtgewichtler ist erst kurzlich zur Senioren-Klasse aufgestiegen.

Neues Deutschland, 15. 12. 1950. [DWDS]

Liverpool und Middlesbrough steigen in die zweite Division ab. Leicester City wird im nächsten Jahr in der ersten Division spielen. Ueber die zweite aufsteigende Mannschaft wird die Begegnung Everton —Blackburn am nächsten Donnerstag entscheiden.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 4. 1954, S. 10.

Die aufsteigende konjunkturelle Entwicklung der Wirtschaft in der Bundesrepublik habe sich im November fortgesetzt und wahrscheinlich erneut etwas beschleunigt, heißt es im Lagebericht des Bundeswirtschaftsministeriums.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 12. 1954, S. 9.

Sozialer Aufstieg, besonders in der Mittelschicht, orientiert und inkorporiert gewöhnlich mobile Gruppen in viele Formen sekundärer Strukturen mit relativer Wirksamkeit.

Dahrendorf, Ralf: Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft. Stuttgart 1957, S. 62. [DWDS]

Da waren der zum Herzog von Kurland erhobene Balte Ernst Johann Biron (Bühren), der aus Hessen stammende Graf Burkhard Christoph von Münnich, der […]schon unter Peter dem Großen den Bau des Ladogakanals geleitet hatte und nun unter Anna zum Feldmarschall und Präsidenten des Kriegskollegiums aufstieg.

Wandruszka, Adam: Die europäische Staatenwelt im 18. Jahrhundert. In: Propyläen Weltgeschichte. Berlin 2000 [1964], S. 10957. [DWDS]

Sollten die Wuhlheider in die 2. Bundesliga aufsteigen, wäre für manches im eigenen Klub verkannte Hertha-Talent die Alte Försterei eine gute Adresse.

Berliner Zeitung, 23. 4. 1994. [DWDS]

Er verlässt Hals über Kopf die familiäre Druckerei und versucht fortan an der Seite seiner Geliebten, die auch seine Mäzenin ist, in der märchenhaften Stadt Fuß zu fassen und als Journalist in der Gesellschaft aufzusteigen.

Reutlinger General-Anzeiger, 22. 12. 2022. [DWDS]

Aufstieg durch Bildung – was in Deutschland zu einer Phrase geronnen ist, wirkt in Singapur wie ein Mantra, an das alle glauben.

Die Zeit, 14. 12. 2023. [DWDS]