Wortgeschichte
Entlehnung aus dem Englischen
Das Wort Mainstream stammt aus dem gleichlautenden englischen Ausdruck mainstream. Dieser ist seit dem 16. Jahrhundert zunächst in der Bedeutung Hauptarm eines Flusses
, dann schon recht früh, zumindest metaphorisch, als vorherrschende Richtung
(1599) bezeugt. Die Metapher verfestigt sich im Englischen bereits im 19. Jahrhundert und wird seitdem verwendet, um vorherrschende Trends in verschiedenen Bereichen, etwa Meinungen, Gewohnheiten und Gesellschaft zu beschreiben (s. 3OED unter mainstream A 2). Das Wort ist im Deutschen seit Mitte des 20. Jahrhunderts bezeugt und erlangt ab den 1980ern allgemeinsprachliches Gewicht. Mit der Wende zum 21. Jahrhundert ist es schließlich umfassend und in einer Vielzahl von thematischen Kontexten belegbar (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Mainstream“ und „Mainstreaming“ aus dem DWDS Zeitungskorpus
DWDS (dwds.de) | Public Domain Mark 1.0
Stilbezeichnung in der Musik
Die ersten Bezeugungen von Mainstream im Deutschen beziehen sich zunächst auf eine Stilrichtung im Jazz, die sich an die Ära des Swings anschließt. Die Stilbezeichnung begegnet zuerst Ende der 1950er Jahre in der Verbindung Mainstream-Jazz neben anderen Jazzstilen wie etwa New Orleans oder Avantgarde (1959, 1973a). – Von der Stilbezeichnung zu unterscheiden ist die Verwendung des Wortes Mainstream für dominante und kommerziell erfolgreiche Musikgenres, z. B. Pop oder Rock (1972, 1988a; s. Mainstream und Gegenkultur). Musik, die mit dem Substantiv Mainstream bezeichnet wird, steht meist in der Kritik, massentauglich, oberflächlich und von niedrigem Niveau zu sein (1992a, 2016).
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Für die Wortgeschichte interessant ist die mögliche Motivation, die dazu beigetragen hat, die Bezeichnung Mainstream oder Mainstream Jazz in den Jazz-Diskurs einzuführen. Die von Jazz-Kritikern der frühen 1950er Jahre vertretene Idee eines Jazz-Mainstreams suggeriert eine Kontinuität, die sich hinter der stilistischen Vielfalt und Diversifizierung dieser Musikrichtung verbirgt. Etwas als Mainstream-Jazz zu bezeichnen könnte so verstanden werden, dass es seinen Anteil an dieser Kontinuität beansprucht. Das Konzept wurde mehrfach adaptiert, um für eine zentrale Strömung des Jazz zu argumentieren (vgl. Horn 2012, 318). Allgemeiner gesprochen wird mit Mainstream schließlich der Entwicklungsstrom bezeichnet, in den die jeweils dominierende musikalische Tendenz einmündet (1973b).
Massentaugliche Denk- und Handlungsweise
Eine signifikante Belegdichte für Mainstream mit der Lesart allgemein akzeptierte oder konventionelle Ansicht, Denk- und Handlungsweise innerhalb einer Gesellschaft oder Gemeinschaft
setzt in den 1980ern ein (1969, 1989b, 1991b, 2000b, 2010a). Es spricht vieles dafür, dass diese Lesart aus dem Englischen übernommen worden ist (s. o. Entlehnung aus dem Englischen). Dort findet das Wort in dieser Bedeutung bereits im 19. Jahrhundert Verbreitung (s. 3OED unter mainstream A 2). Die Nähe des deutschen Wortgebrauchs zeigt sich allerdings insbesondere zum amerikanischen Englisch, und zwar darin, dass in den ersten Belegen ganze Wortgruppen, und diese zur Markierung des fremden Charakters in Kleinschreibung (mainstream of political thinking (1964)) oder in Anführungszeichen („American mainstream“ (1975)), übernommen werden. Bezug genommen wird auf die kulturellen Normen, Werte und Traditionen, die von der Mehrheit einer Gesellschaft geteilt werden, aber auch auf eine Art Angepasstheit in der vertretenen öffentlichen Meinung: Mainstream bezeichnet das, was die breite Masse der Gesellschaft ausmacht, was für diese bedeutend ist und von ihr akzeptiert wird (1977, 1991a, 2010a). Der metaphorische Gehalt des Wortes wird gelegentlich auch durch das Auftreten weiterer bildlich verwendeter Ausdrücke des gleichen Bedeutungsbereichs gestützt, so etwa durch schwimmen, Strömung oder fließen (1977; 1991a, 1996a). In der Verbindung mit sein kann mainstream jünger auch in adjektivischer Verwendung auftreten (2020a).
Dass es Medien sind, die den Aspekt der vorherrschenden Denkströmung sowohl widerspiegeln als auch prägen, wird in der Verwendung von Komposita wie Mainstream Programm (1994a) und vor allem Mainstream-Medien (1992b) deutlich. Besonders für letztere Zusammensetzung zeigt sich jünger ein semantisch aufgeladener Wortgebrauch: in der Kritik stehen eingeschränkte Meinungsvielfalt, redaktionelle Homogenität sowie journalistische Konformität der mit Mainstream betitelten (Leit-)Medien (1996b, 2015b, 2020b; s. auch Krüger2016).
Mainstream und Gegenkultur
Die Lesart allgemein akzeptierte, konventionelle Ansicht, Denk- und Handlungsweise
erfährt ab den 1990er Jahren insofern eine weitere Nuancierung, als diese – vermutlich auch unter Rückbezug auf die so bezeichneten Musikgenres (s. Stilbezeichnung in der Musik) – auf bestimmte Teilbereiche des kulturellen Lebens angewendet wird. Mainstream als dominante, kommerziell erfolgreiche Strömung in Film, Kunst und Musik
verweist auf die Idee einer Mainstream-Kultur, die in der Regel Musik, Film, Fernsehen, Mode, Kunst und andere (kulturelle) Ausdrucksformen umfasst sowie von der breiten Masse angesehen und konsumiert wird (1992a, 2004b, 2017). Die gleichzeitige Erwähnung bestimmter kultureller (Teil)bereiche, etwa SubkulturWGd, Underground oder auch Independent (1994c, 1999, 2001) impliziert, dass die Idee einer Mainstream-Kultur eng mit der einer GegenkulturWGd verknüpft ist und damit mit solchen gesellschaftlichen Gruppen, die eine Abneigung gegen vorherrschende Trends haben und versuchen, alternative Perspektiven und Ansätze zu fördern (2000a). Das Wort Mainstream ist ferner von deutlicher Kritik begleitet, etwa dass dieser die kreativen Ideen und Stile der Gegenkultur aufgreift, um diese in kommerzielle Produkte zu integrieren (1994c, 2000c, 2010b, 2013, 2020c). – In Bezug zu Popkultur wird Mainstream recht widersprüchlich verwendet. Zum einen können die Wörter durchaus gegensätzlich zueinander verwendet werden (1994b), dann wiederum kann es in der Popkultur Aspekte geben, die mit Mainstream beschrieben werden (2004a; zum Spannungsverhältnis der Begriffe s. auch Hecken/Kleiner 2017, 285).
Ein Wort der Integrations- und Gleichstellungsstrategie
Die Ableitung Mainstreaming begegnet im Deutschen zuerst in den 1980ern in verschiedenen theoretischen Zusammenhängen. Dass es sich um ein fremdsprachliches Fachwort handelt, wird in den Texten meist mit Klein- oder Kursivschreibung angezeigt. Rekurriert wird zunächst auf den von dem Kommunikationswissenschaftler George Gerbner geprägten Ausdruck mainstreaming, der sich auf die Idee bezieht, dass das Fernsehen Einstellungsunterschiede in der Bevölkerung angleiche und zu einer Konvergenz der Standpunkte führe (1985, 1989a; s. auch Lexikon der Filmbegriffe unter Kultivierungshypothese). Des Weiteren wird in englischsprachigen Forschungskontexten mit mainstreaming eine Integrationsmethode bezeichnete, die sich allgemein auf die Einbeziehung von marginalisierten Gruppen in den Hauptstrom der Gesellschaft bezieht, um ihre Integration und Gleichstellung zu fördern (1988b). Insbesondere letztere Wortverwendung geht in den späten 1990ern in der Verbindung Gender Mainstreaming auf. Als historisches Ereignis, das dem Gebrauch der Wortverbindung vorausgeht gilt die dritte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Nairobi im Jahr 1985 (vgl. Müller 2007, 56–57). Augenfällig ist die Nennung des Substantivs mainstream, um die Notwendigkeit zu betonen, Geschlechtergerechtigkeit in allen Bereichen der Politik und Planung zu fördern (vgl. UN Report 1986). In den folgenden Jahren wird die Idee von verschiedenen Organisationen und Regierungen aufgegriffen und weiterentwickelt, darunter die Europäische Union, für die das Konzept des Gender Mainstreaming im Amsterdamer Vertrag von 1999 verbindlich festgeschrieben wurde (vgl. Becker/Kortendiek 2010, 929; 1997). Die Geschlechterfrage wird damit als zentraler Aspekt in den Hauptstrom der Politik einbezogen. Das Wort Mainstreaming ist bis in die Gegenwart fast ausschließlich in der Verbindung Gender Mainstreaming repräsentiert (1998, 2007, 2015a; s. a. Becker/Kortendiek 2010, 929).
Literatur
Becker/Kortendiek 2010 Becker, Ruth/Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie. 3., erweiterte und durchgesehene Aufl. Wiesbaden 2010. (proquest.com)
Hecken/Kleiner 2017 Hecken, Thomas/ Marcus S. Kleiner (Hrsg.): Handbuch Popkultur. Stuttgart 2017.
Horn 2012 Horn, David; Shepherd, John: Continuum encyclopedia of popular music of the world: North America. Volume VIII. New York 2012. (doi.org)
Krüger2016 Krüger, Uwe. Medien im Mainstream. Problem oder Notwendigkeit? Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de. 22. 7. 2016. (bpb.de)
Lexikon der Filmbegriffe Wulff, Hans Jürgen (Hrsg.): Lexikon der Filmbegriffe. (uni-kiel.de)
Müller 2007 Müller, Henrike: Gender mainstreaming im Mehrebenensystem der EU: Erfolge und Grenzen regionaler Politik-Innovationen. Hamburg 2007.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
UN Report 1986 Report of the World Conference to review and appraise the achievements of the United Nations decade for women: Equality, Development and Peace. Nairobi, 15–26 July 1985. New York 1986. (un.org)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Mainstream, Gender Mainstreaming.