Wortgeschichte
Eine Laune der Natur
In deutschen Texten tritt das Wort Freak zuerst in einer Auflistung englischer Wörter aus dem Bereich Theater und Zirkus auf (1904). Die Liste soll laut Titel englische Lehn- und Fremdwörter im gegenwärtigen Neuhochdeutsch
enthalten. Freak ist in dieser Zeit jedoch in keiner anderen Quelle belegt, womit fraglich bleibt, inwieweit es sich um ein integriertes Lehnwort handelt. Da diese Bezeugung für sich steht (s. Stiven 1936, 91), ist dies eher zu bezweifeln. In den 1970ern ist im Zuge der neuerlichen Entlehnung von Freak eine Lesart Person mit körperlicher Auffälligkeit, die als Kuriosität im Zirkus oder Varieté auftritt
erkennbar, mit der auch historisch abwertende Perspektiven auf die so bezeichneten Individuen wiedergegeben werden (1975, 1988, 2023a). Als synonym zu verstehende Bezeichnung ist entsprechend Kuriosität in der näheren Umgebung von Freak zu finden (2012).
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Das Auftreten von Freak im Zusammenhang von Zirkus, Theater und Varieté schließt an die vor allem im US-amerikanischen Englisch vorkommende Wortverbindung freak of nature an, für die ein älteres Verständnis von freak als Laune
im Hintergrund steht (vgl. 3OED unter freak). Die Wortverbindung dient dazu ein anormal entwickeltes Individuum, in neuerer Verwendung, eine lebendige Kuriosität, die in einer Show ausgestellt wird, zu bezeichnen (vgl.
3OED freak of nature unter freak P.1). Der idiomatische Ausdruck wird also verwendet, um etwas oder jemanden zu beschreiben, der in einer bestimmten Weise sehr ungewöhnlich, außergewöhnlich oder anormal ist. Je nach Kontext kann dieser für verschiedene Zustände oder Personen verwendet werden, zum Beispiel um ein natürliches Phänomen zu beschreiben, das außergewöhnlich selten oder unerwartet ist, oder auch, um eine Person mit außergewöhnlichen körperlichen Fähigkeiten oder Merkmalen zu bezeichnen, die außerhalb der Norm liegen, wie z. B. ein hervorragender Sportler (vgl. 3OED freak of nature unter freak P.1b). Grundlegend für die Wortverbindung ist die im späten 17. Jahrhundert aufkommende Übersetzung des lateinischen Ausdrucks lusus naturae, eine vermeintlich zufällige Erscheinung der Natur, der man früher die Ursache für starke Abweichungen vom Normaltyp (eines Tieres, einer Pflanze usw.) zuschrieb. Konkret wurden mit dieser Wendung natürliche Erscheinungen beschrieben, die deutlich vom Normaltypus abweichen oder den Anschein erwecken, als seien sie das Ergebnis einer Laune der Natur, eben ein freak of nature (vgl. 3OED unter lusus naturae). Durch diese Launen hervorgebrachte Objekte waren integrale Bestandteile von Kuriositätenkabinetten der frühen Neuzeit (vgl. Heyl 2006, 25).
Hippiebewegung und Musikszene
In den 1970ern kommt es zu einer Neuentlehnung von englisch freak mit der in den USA der 1960er Jahren entstandenen und durch die dortige Hippiebewegung und Musikszene beeinflussten Bedeutung Person, die einen eigenwilligen, unkonventionellen Lebensstil verfolgt
(1970; vgl. Anglizismen-Wb. 1, 530). In der Tat zeigt sich hier eine gewisse Bedeutungsverwandtschaft zu dem Wort HippieWGd insbesondere wenn man das gemeinsame Merkmal des nonkonformistischen Auftretens in Betracht zieht (1970, 1971). Wichtigster Impulsgeber für die Bezeichnung Freak war das Ende der 1960er erschienene Musikalbum Freak Out! von Frank Zappa und der Band The Mothers of Invention, eines Idols der subversiven Gegenkultur zur bürgerlichen Gesellschaft.1) Die subkulturell zu verortende Sozialfigur Freak, die für Personen steht, die sich nicht ins bürgerliche Leben einfügen, begegnet so auch regelmäßig im Deutschen; die Bezeichnung hat durchaus abwertenden Charakter (1971, 1993, 2010a).
Abb. 1: Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Computerfreak“, „Technikfreak“, „Kontrollfreak“ und „Filmfreak“ aus dem DWDS-Zeitungskorpus
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Freaks und Fans
Das Wort Freak wird ferner verwendet, um jemanden zu beschreiben, der sich außerordentlich oder übertrieben stark für etwas begeistert (vgl. DWDS unter FreakDWDS). Dies kann auch die äußerst intensive, oft hobbymäßige Beschäftigung mit etwas sein, wodurch die entsprechende Person eine hohe Kompetenz auf einem bestimmten Gebiet erlangt (1977, 2023b). Diese Lesart scheint ebenfalls in den 1970ern aus dem Englischen übernommen worden zu sein, wo es, wie im Deutschen, häufig in Komposita vorkommt (vgl. unter freak 6 und Anglizismen-Wb. 1, 530); zu den geläufigsten Zusammensetzungen im Deutschen gehört mit Abstand Computerfreak (2010b; s. auch Abb. 1).
Wenn auch nicht völlig synonym, so wird Freak öfter konkurrierend sowie stilistisch variierend zu Fan gebraucht (1981b, 2017; vgl. Anglizismen-Wb. 1, 530). In der Literatur wird ferner die Ansicht vertreten, dass die Bedeutung des Wortes Freak Person, die sich leidenschaftlich, in extremer Weise für etwas begeistert
über die von Fan hinausreiche: Es gehe nicht um eine besondere Vorliebe für eine Sache, sondern geradezu um eine übertriebene, fanatische Art der Begeisterung (s. Anglizismen-Wb. 1, 530; 1981a, 2021), wobei sicherlich verschiedene Grade der Begeisterung durch die Verwendung von Fan ausgedrückt werden können (vgl. DWDS unter FanDWDS). Die Nähe der beiden Wörter ist auch im Luxemburgischen präsent (s. LOD unter Freak).
Anmerkungen
1) Das gesamte Album war eine Feier des Freakdoms, das damals von Zappa als das einzig mögliche Gegenmittel gegen die unerbittliche Konsumkultur Amerikas angesehen wurde (vgl. Miles 2004, 115). Zappa wiederum wurde beeinflusst von Vito Paulekas, einer zu jener Zeit führenden Figur der südkalifornischen Szene, der die ihn umgebende Gruppe von Tänzern Freaks nannte (Miles 2004, 98).
Literatur
Anglizismen-Wb. Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, begründet von Broder Carstensen, fortgeführt von Ulrich Busse. Bd. 1–3. Berlin/New York 1993–1996.
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Heyl 2006 Heyl, Christoph: Lusus Naturae und Lusus Scientiae im ältesten öffentlich zugänglichen Kuriositätenkabinett Englands. In: Marie-Theres Federhofer (Hrsg.): Naturspiele. Beiträge zu einem naturhistorischen Konzept der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2006, S. 25–44.
LOD Lëtzebuerger Online Dictionnaire. (lod.lu)
Miles 2004 Miles, Barry: Zappa. New York 2004. (archive.org)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Stiven 1936 Stiven, Agnes Bain: Englands Einfluß auf den deutschen Wortschatz. Diss. Marburg 1935. Zeulenroda 1936.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Freak.