Wortgeschichte
Blaustrumpf als Schimpfwort für Männer
Der Ausdruck Blaustrumpf erscheint erstmals in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in deutschsprachigen Texten. In Verbindungen wie verlogener oder höllischer Blaustrumpf (1673, 1781) sowie in Ausrufen wie Der Blau-Strumpff kömmt, mein Greul und mein Verdrießen! (1679) wird das Wort abwertend in der Lesart Verräter, Verleumder
verwendet. Die als Blaustrumpf bezeichnete Person verschwärzt (1795a) ihre Mitmenschen, macht sie schlecht und bringt sie in Verruf. In der näheren Umgebung des Worts Blaustrumpf finden sich häufig weitere, synonym verwendete pejorative Personenbezeichnungen, wie zum Beispiel Angeber1) (1699), Spion (1688a), Verräter (1700), Heuchler (1719), falscher Ankläger, Verleumder (1727, 1769), Lauscher (1728), Anpetzer (1783). Zuweilen steht der Ausdruck in einer ganzen Reihe mit anderen Schimpfwörtern (1721).
Seltener wird Blaustrumpf in der Bedeutung Schwätzer, Klatschmaul
verwendet. Hier steht das Wort in syntaktischer Nähe zu den veralteten Ausdrücken Ohrenbläser und Lügenmaul und bezeichnet geschwätzige Personen, die Klatsch verbreiten, Geheimnisse ausplaudern und es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen (1685, 1705). In dieser Verwendung sind offenbar (selten) auch Frauen gemeint (Plauder-Weiber 1720), während Blaustrumpf in der Lesart Verräter, Verleumder
auf männliche Personen bezogen ist (1688b, 1749). Nicht zuzuordnende Belege bilden die Ausnahme (vor 1724, 1775). Das verbindende semantische Merkmal zwischen den beiden Lesarten scheint Geheimes mitteilen
zu sein, wobei das Klatschmaul
einen weniger schwerwiegenden Vertrauensbruch begeht, während der Verräter, Verleumder
jemanden bewusst in der Absicht hintergeht, ihm zu schaden oder sein Ansehen zu beschädigen.
In Wörterbüchern ist Blaustrumpf seit 1734 gebucht, im Teutsch-Lateinischen Wörterbuch von Frisch wird der Ausdruck als Spott- und Schimpfname beschrieben (1741; vgl. ausführlich Jones 2013 2, 494). Belegnachweise finden sich noch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts jedoch selten (1817, 1822, 1841).
Wortbildung und Benennungsmotivation
Was die Herkunft von Blaustrumpf angeht, so wird gelegentlich auf die ebenfalls im 17. Jahrhundert bezeugten Entsprechungen im Englischen und Niederländischen hingewiesen. Englisch bluestocking ist als attributives Adjektiv in der Verbindung Bluestocking Parliament im Jahr 1683 belegt (vgl. 3OED unter bluestocking, adj., n., A 1). Diese Verwendung kommt im Deutschen jedoch nicht vor. Als möglicher Vorläufer wird auch auf das niederländische blauwkous – ein Kompositum aus blauw blau
und kous Strumpf
– verwiesen, das in der Verbindung Joufrouw Blauwkous im Jahr 1667 als namenartige Titulierung für eine weibliche Person belegt ist. Diese Verwendung ist, soweit feststellbar, innerhalb des Niederländischen singulär. Auch wenn blauwkousnl. etwas früher als der erste deutschsprachige Beleg (1673) vorkommt, ist nicht von einer Lehnübersetzung aus dem Niederländischen auszugehen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Schimpfwort Blaustrumpf bereits vor den ersten schriftlichen Belegen im mündlichen Sprachgebrauch geläufig war.
Blaustrumpf wird in der Wortbildungslehre als Possessivkompositum beschrieben. Bei diesen Bildungen liegt die Bedeutung des Worts außerhalb der Bedeutung der Wortbestandteile (wie zum Beispiel auch bei Blauhelm, Milchgesicht, Rotznase, Weißkittel) (vgl. Fleischer/Barz 2012, 178). Diese Possessivkomposita bezeichnen Personen (oder Tiere wie zum Beispiel Rotkehlchen oder Blaufuß Falkenart
) nach einer charakteristischen Eigenschaft oder Besonderheit. Bei der Bildung Blaustrumpf ist das Benennungsmotiv (im Gegensatz zu den anderen genannten Possessivkomposita) nicht mehr erkennbar, d. h. die Bildung ist semantisch nicht motiviert.
Eine Ableitung des Benennungsmotivs aus einer charakteristischen blauen Strumpf- bzw. Beinbekleidung der bezeichneten Personen, also der Verräter, Verleumder
oder Schwätzer
, lässt sich anhand der Quellen bislang nicht bestätigen. Die in Wörterbüchern seit Frisch (1741) tradierten Hinweise auf blaue Strümpfe als eine Art Arbeitskleidung oder Uniform der Bezeichneten weckten bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Zweifel (1813). Aufgrund der semantischen Unerklärbarkeit wurden verschiedene Deutungsversuche zu Blaustrumpf unternommen, die sich bei näherer Betrachtung eher als anekdotisch denn als quellengestützt erweisen. Auch für die Behauptung, Blaustrumpf sei ein Ausdruck der Studentensprache (z. B. 25Kluge, 131), gibt es keine stichhaltigen Belege.
Blaustrumpf als diskriminierendes Wort für Frauen
Als Bezeichnung für Frauen ist das Kompositum Blaustrumpf erstmals Ende des 18. Jahrhunderts belegt (1795b). Die neue Bedeutung ist offenbar keine semantische Weiterentwicklung des älteren Blaustrumpf Verräter, Verleumder
, sondern entsteht unabhängig davon unter englischem Einfluss. Das Wort ist eine Lehnübersetzung des englischen Ausdrucks bluestocking, der zunächst adjektivisch in Verbindungen wie bluestocking club, bluestocking circle, bluestocking coterie für einen um die Jahrhundertmitte in London gegründeten literarischen Konversationszirkel verwendet wird. Die überwiegend weiblichen Mitglieder werden als bluestocking ladies und bluestocking females sowie mit den Substantiven bluestocking oder bluestockinger bezeichnet (vgl. 3OED unter bluestocking, adj., n., A 2, B 1 und unter blue-stockinger, n.). Das fremdsprachliche Wort tritt in den 1780/90er Jahren als Exotismus in deutschsprachigen Texten mit Bezug auf den Londoner Zirkel auf (1785), wobei zur Verdeutlichung zunächst auch die Übersetzung blauer Strumpf hinzugefügt und zum Beispiel von der blauen Strumpf-Societät geschrieben wird (1791, 1795c). Das Wort ist aus dem Englischen auch in andere Sprachen entlehnt worden (vgl. dänisch und norwegisch blåstrømpe, schwedisch blåstrumpa, französisch bas-bleu).
Wie bei älterem Blaustrumpf gibt es auch bei der Verwendung von bluestocking verschiedene Versuche, den Wortgebrauch über das Tragen blauer Strümpfe als charakteristisches Zugehörigkeitsmerkmal zu erklären. Wanzeck 2003, 322–341 setzt sich ausführlich mit den Herkunftsdeutungen auseinander und kommt zu dem Schluss, dass mit einiger Sicherheit auszuschließen [ist], daß die Bezeichnung blue-stocking auf von Frauen getragene blaue Strümpfe zurückzuführen ist
(Wanzeck 2003, 322).
Ausgehend von der Bezeichnung für die Mitglieder des Londoner Zirkels wird bluestocking und damit auch das lehnübersetzte Blaustrumpf innerhalb kurzer Zeit auf intellektuelle und literarisch interessierte Frauen im Allgemeinen bezogen und zugleich durch negative Stereotypisierung abwertend konnotiert. Der erste greifbare Beleg für die Lehnübersetzung Blaustrumpf (1795b) enthält bereits einen Hinweis auf die pejorative Verwendung (allerdings hier noch auf das englische Vorbild bluestocking bezogen): es sei ein sehr unangenehmer Ehrentitel solcher Frauenzimmer geworden, die sich ihre Belesenheit in der Gesellschaft oder auch als Schriftstellerinnen zu sehr merken lassen (vgl. auch 1795c). Eine als Blaustrumpf bezeichnete Frau zeigt sich entgegen dem gängigen Frauenbild als übermäßig intellektuell, an Geistigem wie Kunst und Politik interessiert und möglicherweise auch literarisch ambitioniert (gegen den literarischen Blaustrumpf polemisiert zum Beispiel Karl Gutzkow 1842; auch 1846). Ein weiterer Aspekt bei der Verwendung von Blaustrumpf ist, dass die so bezeichnete Frau aus Sicht der meist männlichen Sprecher ihre häuslichen Pflichten zugunsten ihres intellektuellen Interesses vernachlässige: Sie schwingt die Feder statt der Nadel (1885a). Die Bezeichnung Blaustrumpf impliziert zudem, dass die Bezeichneten die als typisch weiblich geltenden Eigenschaften Anmut, Schönheit und Zurückhaltung einbüßen: Eine an Bildung interessierte Frau wird als unweiblich verunglimpft (1832, 1892, 1911, 1931). Auch die Tatsache, dass eine Frau hier mit einem maskulinen Wort bezeichnet wird, kann als Strategie der Entweiblichung und des Verächtlichmachens verstanden werden (im Kontext z. B. mit Mannweib 1878, 1893a und Amazone 1903).
Als diskriminierendes Wort für Frauen ist Blaustrumpf vor allem im 19. Jahrhundert gebräuchlich mit einem Bezeugungshöhepunkt um die Jahrhundertwende (s. Abb. 1), seit der Jahrhundertmitte auch häufiger im Zusammenhang mit der erstarkenden Frauenbewegung. Hier steht Blaustrumpf für Frauen, die für die Gleichberechtigung eintreten, auch im Kontext mit SuffragetteWGd und Emanzipierte (1903, 1911, 1849, 1852, 1974). Nur vereinzelt wird Blaustrumpf geschlechtsunabhängig oder auf männliche Personen übertragen (1885b, 1927, 1985).
Als Ableitung zu Blaustrumpf ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Adjektiv blaustrümpfig in der Bedeutung die Eigenschaften eines Blaustrumpfs besitzend, wie ein Blaustrumpf wirkend
bezeugt (1855, 1885b, 1974).
Abb. 1: Wortverlaufskurve „Blaustrumpf“
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das Wort unüblich; es ist fast nur noch distanzierend und historisierend gebräuchlich (1965, 1993). Seit den 1970er Jahren löst die Neubildung EmanzeWGd den älteren Ausdruck Blaustrumpf als abwertende Bezeichnung für Frauen ab. Ähnlich wie bei Emanze wird das Stigmawort Blaustrumpf gelegentlich von Frauen selbst in affirmativer Aneignung als positive Selbstbezeichnung im Sinne von emanzipierte, intellektuelle Frau
gebraucht (2003). Als Vorbilder können hier Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts wie Annette von Droste-Hülfshoff und Marie von Ebner-Eschenbach genannt werden, die das Wort ironisch verwendet haben, um klischeehafte Vorstellungen über schreibende Frauen poetisch ins Bewusstsein zu rücken (1844, 1840, 1893b).
Anmerkungen
1) Angeber ist hier in der Bedeutung Denunziant, Verräter
und nicht in der rezenten Bedeutung Prahler
zu verstehen.
Literatur
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
Elsner-2012 Elsner-Petri, Sabine: Grenzen und Möglichkeiten der Buchungstradition: Eine neue Perspektive für die historische Lexikographie? In: Sprachwissenschaft 37 (2012), S. 65–91.
Fleischer/Barz 2012 Fleischer, Wolfgang/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearbeitete Aufl. unter Mitarbeit von Marianne Schröder. Berlin/Boston 2012.
Jones 2013 Jones, William Jervis: Historisches Lexikon deutscher Farbbezeichnungen. Bd. 1–5. Berlin 2013.
Kilchmann 2015 Kilchmann, Esther Blaustrumpf. In: Christine Kutschbach/Falko Schmieder (Hrsg.): Von Kopf bis Fuß. Bausteine zu einer Kulturgeschichte der Kleidung. Berlin 2015, S. 97–102.
25Kluge Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin/Boston 2011.
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Wanzeck 2003 Wanzeck, Christiane: Zur Etymologie lexikalisierter Farbwortverbindungen. Untersuchungen anhand der Farben Rot, Gelb, Grün und Blau. Amsterdam/New York 2003.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Blaustrumpf.