Wortgeschichte
Die Dithmarscher Achtundvierziger
Achtundvierziger oder 48er hat neben im weitesten Sinn auf die 48 als Zahl, Jahreszahl oder Nummer bezogenen Verwendungen (1848, 2005) zwei Bedeutungen, die im Kontext je unterschiedlicher historischer Konstellationen entstehen und zu verstehen sind. Zunächst bezieht sich die Ziffernfolge 48 in einer älteren, an einen rechtlichen Kontext gebundenen Bedeutung auf ein (Selbst-)Verwaltungsorgan auf lokaler Ebene, insbesondere in Dithmarschen im 15. und 16. Jahrhundert (1743, 1843, 1986), das sich aus 48 Mitgliedern zusammensetzt.1) Wann genau sich die Bezeichnung Achtundvierziger durchgesetzt hat, ist schwer festzustellen. Das Gerichtskollegium, das mutmaßlich kurz vor dem 13. Februar 1447 durch Wahl gegründet worden ist (Stoob 1959, 42), wird im Dithmarscher Landrecht von 1447 zunächst mit römischen Zahlen als unses landes XLVIII
bezeichnet (1447), wenig später ist in einer 1448 zur Besänftigung des Hamburger Domprobstes besiegelten Urkunde die Formulierung Achteundevertich koren Richtere
bezeugt (1448). Und noch im 16. Jahrhundert begegnen Belege, in denen von den acht vnd viertzig Regenten
die Rede ist (1599), in denen mithin 48 als Zahl verwendet wird, nicht jedoch die durch das Suffix -er gebildete Ableitung in Ziffernschreibung 48er als Bezeichnung für das Verwaltungsorgan und seine Mitglieder. Letzteres ist mindestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bezeugt (1743) – möglicherweise also erst in der historischen Rückschau auf die Geschichte Dithmarschens. Mit der Bedeutung Verwaltungsorgan, das sich aus 48 Personen zusammensetzt
, die in einem rechtlichen Kontext anzusiedeln ist (siehe auch DRW unter Achtundvierzig) ist das Wort sowohl in der Ziffernschreibung 48er, als auch in den Schreibweisen Acht und Vierziger sowie Achtundvierziger belegt (1743, 1858, 1863c).
Zwar begegnet Achtundvierziger vornehmlich in Bezug auf Dithmarschen, die Bedeutung Verwaltungsorgan
ist allerdings auch in Bezug auf Verwaltungsorgane anderer Regionen des Nordens belegt, so etwa Hamburg (1841), Stralsund (1846b) und Colberg, Pommern (heute Kołobrzeg, Polen; 1868). Zudem führt das DRW unter Achtundvierzig in der Bedeutung 48er Ausschuß
neben dem Dithmarscher Landrecht und einem auf Dithmarschen bezogenen Beleg aus dem Jahr 1492 einen weiteren Beleg an, in dem acht unde vertich sich auf einen Bürgerausschuss neben dem Rat bezieht, der in Stralsund von 1522 bis 1536 besteht. Aufgrund der dünnen Beleglage ist auch hier schwer zu entscheiden, wann das Wort in der Bedeutung Verwaltungsausschuss
erstmals bezeugt ist, genauer, ob es sich lediglich um Spontanbildungen in Anlehnung an die Dithmarscher Achtundvierziger handelt, ob Achtundvierziger als Bezeichnung für eine bestimmte Form des Verwaltungsausschusses unabhängig von dem Dithmarscher Organ allgemein fester Bestandteil des norddeutschen Wortschatzes der Zeit ist oder ob es sich möglicherweise zumindest teilweise auch um rückwirkende Zuschreibungen des 19. Jahrhunderts handelt. Sachhistorisch gliedern sich diese Wortbildungen aber wohl in einen durchaus üblichen Vorgang der Kollegienbildung verschiedener Größe im Küstenraum ein, der im Übrigen auch für die Dithmarscher Achtundvierzig Pate gestanden haben wird: So sind beispielsweise die Sechzehnerkollegien der ostfriesischen Länder bereits deutlich früher bezeugt als die Dithmarscher Achtundvierzig (vgl.
Stoob 1959, 42–43).
Eine verbreitete Kollokation ist Kollegium der Achtundvierziger (1863c, 1902), gelegentlich auch Dithmarscher Achtundvierziger (1899) oder Rat der Achtundvierziger (1901). Die Bezeugungslage legt auf den ersten Blick nahe, dass diese Kollokationen erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts auftreten. Das kann allerdings schlicht mit der dünnen Beleglage in den digital zugänglichen Korpora für das regionalspezifische Wort für die Jahrhunderte vor 1800 zusammenhängen – möglicherweise sind diese Kollokationen also älter als es die Korpora nahelegen. Eine Alternativhypothese wäre, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Ausbildung der neuen Bedeutung Anhänger der Revolution von 1848
für Achtundvierziger eine Differenzierung und eine Spezifizierung der Verwendung in der ohnehin nicht sehr verbreiten älteren Bedeutung notwendig wird.
Achtundvierziger im Rheinischen
Zu den älteren und regionalen Bedeutungen von Achtundvierziger gehört im Raum Köln schließlich noch Wucherer
. Diese Bedeutung wird offenbar von der Zinshöhe abgeleitet: Der Wucherer nimmt monatlich 4 %, jährlich also 48% Zinsen (vgl.
Rheinisches Wörterbuch unter Acht-undvierziger). Diese Bedeutung ist heute nicht mehr geläufig.
Emigrierte und hiesige
Achtundvierziger. Neue Bedeutung nach 1848
In der Nachfolge der Revolution von 1848/49 begegnet Achtundvierziger
bzw.
48er seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der neuen Bedeutung Anhänger der Revolution von 1848
. Die Ableitungsgrundlage, die Jahreszahl 1848, verweist dabei nicht nur auf das Jahr, sondern auch auf die politischen Ereignisse von 1848/49 (1855, 1969c). Bereits früh erfolgt die Kürzung der Jahreszahl und deren Ergänzung durch das Suffix -er zu 48er in Wortverbindungen wie 48er Revolution (1850b, 1850c), 48er Bewegung (1852, 1857, 1892) oder 48er Ideen (1863a). Sehr vereinzelt lässt sich Achtundvierziger mit der Bedeutung Anhänger der Revolution von 1848
bereits Mitte des Jahrhunderts nachweisen (1850a). Insgesamt lässt die Beleglage allerdings darauf schließen, dass sich zunächst Wortverbindungen wie 48er Revolution und 48er Bewegung ausbilden und 48er
bzw.
Achtundvierziger erst ein bis zwei Jahrzehnte später alleinstehend Teilnehmer oder Anhänger der Revolution von 1848 bezeichnet (1859a, 1866, 1898, 1914, 1983; vgl. auch 2DWB
I, 1412). Dieses Wortbildungsmuster zeigt sich erneut im 20. Jahrhundert in der Bildung von 68erWGd und 89erWGd – möglicherweise vor dem Hintergrund der älteren Bildung, jedenfalls fällt auf, dass es Ende der 1960er Jahre zahlreiche Belege gibt, in denen die Ereignisse von 1968 und 1848 aufeinander bezogen werden (1969c, 1969a, 1969b).
In frühen Belegen, in denen Achtundvierziger in der Bedeutung Anhänger der 48er Revolution
verwendet wird, ist das Wort auffallend häufig auf jene Revolutionsanhänger bezogen, die nach 1848/49 aus politischen Gründen emigriert sind, so insbesondere in die USA (1859a, 1859b, 1869). Daneben stehen Mitte der 1860er Jahre Belege, die emigrierte und nicht-emigrierte Achtundvierziger gleichermaßen adressieren (1863b) oder aber gesondert hervorheben, wenn von den hiesigen Achtundvierziger[n]
gesprochen wird (1866). Das legt die Vermutung nahe, dass Achtundvierziger zunächst überwiegend in Bezug auf die emigrierten und erst zeitversetzt auf alle Anhänger der Revolution bezogen wird.
Hinsichtlich der Schreibweisen fällt schließlich auf, dass die Schreibung mit Ziffer 48er zunächst – anders als später 68er – vornehmlich in Wortverbindungen wie 48er Revolution oder 48er Bewegung, selten alleinstehend als Substantiv (1898, 2010) begegnet. Für Anhänger der Revolution von 1848
wird dahingegen überwiegend die Schreibweise Achtundvierziger verwendet (1859b, 1914).
Anmerkungen
1) In diesem Sinne ist im Übrigen auch der Erstbeleg, den das 2DWB für die Bedeutung teilnehmer, anhänger der revolution von 1848
bucht, zu verstehen: Der Beleg von Hebbel ein uraltes Haus, das ein
(1846a), bezeichnet hier wohl nicht einen Teilnehmer der Revolution von 1848, sondern ein Mitglied des Kollegiums der Achtundvierziger.Acht und Vierziger
bewohnt haben […] sollte
Literatur
DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Bis Bd. 3 hrsg. von der Preußischen Akad. der Wiss., Bd. 4 hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin, Ost), ab Bd. 5 hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (bis Bd. 8 in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften der DDR). Bd. 1 ff. Weimar 1912 ff. (adw.uni-heidelberg.de)
2DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Deutsche Akademie der Wissenschaften) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–9. Stuttgart 1983–2018. (woerterbuchnetz.de)
Rheinisches Wörterbuch Rheinisches Wörterbuch. Auf Grund der von J. Franck begonnenen, von allen Kreisen des rheinischen Volkes unterstützten Sammlung. Bd. 1–9. Bonn/Berlin 1928–1971. (woerterbuchnetz.de)
Stoob 1959 Stoob, Heinz: Geschichte Dithmarschens im Regentenzeitalter. Heide in Holstein 1959.
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Achtundvierziger, Acht und Vierziger, 48er.