Wortgeschichte
Von Pop zu poppig: Ein Adjektiv der 1960er Jahre
Das Adjektiv poppig ist seit Mitte der 1960er Jahre im Deutschen bezeugt (1967a). Abgeleitet wird es vom Substantiv PopDWDS, das aus dem Englischen entlehnt wird, wo das Kurzwort pop als Substantiv bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts für popular music
und als Adjektiv seit Ende der 1950er Jahre für popular culture
stehen kann (vgl. 3OED unter pop, n.8 and adj.). Im Deutschen ist Pop mit den Bedeutungen Kunstrichtung der Pop Art
sowie eine Richtung der Unterhaltungsmusik, Popmusik
seit etwa 1960 belegt (1959, 1964; vgl. auch 10Paul, 757).
Die semantische Kontur des Adjektivs ist von den beiden Bedeutungen der Ableitungsgrundlage Pop geprägt. Zunächst begegnet poppig vornehmlich in Kontexten, in denen es eine von der Pop Art beeinflusste Kunst- oder allgemeiner auch Stilrichtung bezeichnet (1967b, 1972, 1977). Besonders häufig hat es dabei Bedeutungsaspekte des Bunten, des Farbigen (1971a, 1971b, 1973a, 2011) – vermutlich vor dem Hintergrund der Farbgebung in bekannten Werken der Pop Art. Daneben kann sich poppig spätestens ab den 1980er Jahren auch und gerade auf Musik beziehen – auf Popmusik im Speziellen ebenso wie allgemeiner auf bestimmte Stilmerkmale in Unterhaltungsmusik im Allgemeinen (1982, 1984, 2002, 2015).
Jugendlich, modisch, fetzig
. Weitere Bedeutungsaspekte von poppig
Ab den 1970er Jahren bildet sich neben diesen beiden von der Ableitungsgrundlage Pop herrührenden Bedeutungen eine weitere aus: Poppig kann seither auch jugendlich, fetzig
bedeuten (1970a). Diese Bedeutung entwickelt sich möglicherweise aus der Assoziation, dass gerade junge Menschen eine Vorliebe für jene als poppig bezeichneten, von der Pop Art beeinflusste Stilrichtung haben (1970b). Spätestens Mitte der 1970er Jahre kann poppig in dieser Bedeutungslinie dann auch modisch
bedeuten bzw. einen spezifischen jugendlichen Modestil bezeichnen (1973b, 1974). Möglicherweise ist dies die Voraussetzung für die Bildung des Wortes PopperWGd, eine Sozialfigur bzw. JugendkulturWGd der 1980er Jahre.
Gelegentlich begegnen neue Substantivbildungen zu poppig: Bereits Ende der 1960er Jahre ist Poppigkeit bezeugt (1969, 1979, 2010), seit den 1990er Jahren zudem Poppiges (1994, 1996, 1999, 2004). Beide Substantivierungen entsprechen in ihrer semantischen Kontur dem semantischen Spektrum, das poppig ausgebildet hat.
Das poppt: Ein Verb der DDR-Jugendsprache
Seit den 1970er Jahren ist in der DDR-Jugendsprache das Verb poppen mit der Bedeutung hervorragend und effektvoll, wirkungsvoll oder beeindruckend sein; fetzen
belegt, das besonders in der Form etwas, jemand poppt begegnet (1985; vgl. auch Duden online unter poppen). Literarischen Niederschlag hat die DDR-Jugendsprache in Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. gefunden (1973c).
Die Herkunft des Verbs ist nicht vollständig geklärt, ist aber im Umfeld von popengl., Pop und poppig zu verorten. Der Duden vermerkt, dass es sich vielleicht um eine Bildung zum englischen to pop, knallen, aufspringen
, handelt (vgl. Duden online unter poppen), das Kleine Wörterbuch der Jugendsprache bucht die Wendung das poppt Ende der 1980er Jahre unter dem Eintrag poppig mit der Bedeutung sehr gut, aufreizend; entspricht jugendlichen Modetrends/Geschmacksrichtungen
(Heinemann 1989, 88).
Das Verb poppen im bundesrepublikanischen Sprachgebrauch
Das Verb poppen ist bundesrepublikanisch seit den 1970ern belegt (1973d), allerdings oft mit DDR-Bezug (1988), und es wird Ende der 1970er Jahre explizit als Wort der DDR-Jugendsprache wahrgenommen (vgl. etwa Oschlies 1979, 1093). Auch das Verb poppen begegnet nicht nur in Plenzdorfs Die neue Leiden des jungen W., sondern in der Nachfolge auch in Rezensionen und literaturwissenschaftlichen Beiträgen in Ost- ebenso wie in Westdeutschland (1973e, 1973f, 1973g). Inwieweit das Verb poppen allerdings auch in der gesprochenen Jugendsprache der Bundesrepublik der 1970er Jahre in dieser Bedeutung verbreitet ist, ist schwer zu sagen. Zumindest aber wurde Die neuen Leiden des jungen W. bereits in den 70er Jahren auch in der Bundesrepublik publiziert, verfilmt und rezipiert.
Seit den 1990er Jahren ist poppen zudem als Neulexem mit der Bedeutung Geschlechtsverkehr haben
belegt. Die Herkunft ist nicht vollständig geklärt, möglicherweise ist es auf das Niederrheinische zurückzuführen (vgl. Neologismenwb. unter poppen).
Literatur
Duden online Duden online. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim 2011 ff. (duden.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Heinemann 1989 Heinemann, Margot: Kleines Wörterbuch der Jugendsprache. Leipzig 1989.
Neologismenwb. Leibniz-Institut für deutsche Sprache (IDS): Neologismenwörterbuch. (owid.de)
3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)
Oschlies 1979 Oschlies, Walter: „Fakt, Baby! Mich peitscht der Ekel!“ Bemerkungen zum Jargon von DDR-Jugendlichen. In: Deutschland Archiv. Zeitschrift für Fragen der DDR und der Deutschlandpolitik. 12. Jahrgang (1979), Ausg. 7– 12, S. 1088–1095.
10Paul Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete u. erweiterte Aufl. von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel. Tübingen 2002.