Wortgeschichte
Frühbezeugung am Ende des Ersten Weltkriegs
Das Wort tritt zuerst 1918a in der Verbindung Weltverschwörung gegen die Mittelmächte auf. Dieses Vorkommen steht offenbar im Zusammenhang mit den zeitgenössischen Bemühungen, den militärischen und gesellschaftlichen Zusammenbruch des Deutschen Reiches anhand eines klaren Täter-Opfer-Schemas zu verarbeiten: Indem das Deutsche Reich und seine Verbündeten nicht nur als Verlierer des Krieges, sondern als Opfer einer übermächtigen, weltumspannenden Verschwörung dargestellt werden, kann die Niederlage rationalisiert und vor allem die Schuldfrage eindeutig beantwortet werden. Die Mittelmächte wären damit nicht mehr kriegführende Partei mit eigener Handlungsmacht und Verantwortung, sondern schlicht Opfer eines Verbrechens. Dieser frühe Beleg für Weltverschwörung ist auch deshalb bemerkenswert, weil er bereits wesentliche Züge der späteren Gebrauchsgeschichte enthält: Eine Weltverschwörung wird einerseits als umfassend und übermächtig imaginiert, andererseits wird sie auf einen sehr kleinen Kreis von Akteuren zurückgeführt, denen geradezu dämonische Kräfte zukommen. So ist es im genannten Beleg 1918a die Person des 1910 verstorbenen englischen Königs Edward VII., die das Deutsche Reich und seine Verbündeten durch eine von ihm inspirierte Einkreisungspolitik
in den Krieg getrieben habe.
Affirmative und negierende Lesart
In der Zeit der Weimarer Republik finden sich auf der linken
Seite des demokratischen Spektrums Belege für das Wort, die es als Figurenrede zitieren und auch ironisch brechen (1924a, 1933; vgl. auch Max Weber 1918b mit kritischer Bezugnahme auf die zeitgenössischen Legendenbildungen: Verschwörung der internationalen Demokratie). Hier wird Weltverschwörung als Wahngebilde dargestellt, d. h. als Wort, für das es keine Entsprechung in der Wirklichkeit gibt. (Zu nennen ist freilich auch eine neutrale Verwendung im Beleg 1924b, der sich allerdings nicht auf das Deutsche Reich, sondern auf internationale Politik bezieht; hier steht das Wort für eine zwar unrealistische, aber immerhin denkbare Annahme.)
Insgesamt haben sich damit zwei wesentliche Verwendungsweisen des Wortes herausgebildet: Auf der einen Seite des politischen Spektrums ein Gebrauch, der ganz klar davon ausgeht, dass es so etwas wie eine Weltverschwörung gibt, auf der anderen Seite eine Verwendung, die genau das in Abrede stellt und Weltverschwörung als Wort verwendet, das keine Entsprechung in der Wirklichkeit hat. Linguistisch gesprochen könnte man dies in der Weise fassen, dass eine affirmative und eine negierende Lesart des Wortes einander gegenüberstehen: Die affirmative Verwendung behauptet die Existenz eines entsprechenden Bezugsobjekts, die negierende behauptet das genaue Gegenteil. Zu betonen ist, dass in dieser negierenden Lesart mit dem Wort nicht nur keine Aussage hinsichtlich der Existenz einer Bezugsgröße verbunden wird, sondern die Behauptung aufgestellt wird, dass eine solche Größe nicht existent ist. Die implizite Negation ist hier somit Teil der Wortbedeutung (vgl. 1992).
Wortverwendung in NS- und Nachkriegszeit
Der Sprachgebrauch des NS-Regimes knüpft, wie kaum anders zu erwarten, mit der Wiederbelebung des Wortes ab 1940 nicht an den negierenden, sondern an den affirmativen Gebrauch aus der Schlussphase des Ersten Weltkriegs an: Es existiere eine gegen das Deutsche Reich gerichtete internationale oder jüdisch-internationale Weltverschwörung (1941 und 1945). Damit wird auch das aus der Zeit um 1918 bekannte Täter-Opfer-Schema wieder aufgegriffen; dieses erlaubt es, die eigene Handlungsmacht und Verantwortung zu minimieren, während Handlungsmacht und Verantwortung des politischen bzw. militärischen Gegners maximiert werden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges finden sich zwar gelegentlich noch Verwendungen, die eine reale Bezugsgröße für das Wort voraussetzen (1952 kommunistische Weltverschwörung), ansonsten tritt aber insofern ein semantischer Wandel ein, als – jedenfalls in den Belegen der Zeitungskorpora – die affirmative Lesart weitestgehend aus dem Sprachgebrauch verschwindet und lediglich die negierende Lesart erhalten bleibt. Weltverschwörung ist damit in gewisser Weise vergleichbar mit einem Wort wie Hexe. Die Sprecherinnen und Sprecher des Gegenwartsdeutschen verfügen zwar über entsprechende Konzepte, sie dürften sich aber darin weitestgehend einig sein, dass zu diesen Konzepten keine Entsprechung in der Wirklichkeit existiert: Es gibt weder Hexen noch eine Weltverschwörung.
Dennoch besteht – durchaus im Gegensatz zu Wörtern wie Hexe – vielfach das Bedürfnis, das Fehlen des Referenten deutlich zu markieren, etwa durch Distanzsignale wie Anführungszeichen oder den Wahrheitsgehalt einschränkende Ausdrücke wie angeblich, vermeintlich oder Mythos (1998, 2020, 2021). Dabei wird sowohl auf historische Sachverhalte, hier besonders die NS-Ideologie, als auch auf die gegenwärtig verbreiteten und zum Teil rechtsextremistischen Verschwörungstheorien Bezug genommen, die vorwiegend durch das Internet und die sozialen Medien befeuert sind (2002, 2019; vgl. auch den Artikel VerschwörungstheorieWGd). Gelegentlich finden sich aber auch ironische Brechungen, wenn Annahmen zu sehr alltäglichen Sachverhalten als haltlos und aberwitzig charakterisiert werden sollen (2010, 2013).