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Weltverschwörung

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Die Bildung Weltverschwörung, die zuerst gegen Ende des Ersten Weltkriegs auftritt, dient zunächst dazu, die eigene Verantwortung für die Kriegsbeteiligung und die Niederlage des Deutschen Reiches abzuweisen. Der Sprachgebrauch des NS-Regimes knüpft mit der Wiederbelebung des Wortes ab ca. 1940 unmittelbar daran an. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Weltverschwörung ganz überwiegend als Wort verwendet, das ein bloßes Wahngebilde charakterisiert.

Wortgeschichte

Frühbezeugung am Ende des Ersten Weltkriegs

Das Wort tritt zuerst 1918a in der Verbindung Weltverschwörung gegen die Mittelmächte auf. Dieses Vorkommen steht offenbar im Zusammenhang mit den zeitgenössischen Bemühungen, den militärischen und gesellschaftlichen Zusammenbruch des Deutschen Reiches anhand eines klaren Täter-Opfer-Schemas zu verarbeiten: Indem das Deutsche Reich und seine Verbündeten nicht nur als Verlierer des Krieges, sondern als Opfer einer übermächtigen, weltumspannenden Verschwörung dargestellt werden, kann die Niederlage rationalisiert und vor allem die Schuldfrage eindeutig beantwortet werden. Die Mittelmächte wären damit nicht mehr kriegführende Partei mit eigener Handlungsmacht und Verantwortung, sondern schlicht Opfer eines Verbrechens. Dieser frühe Beleg für Weltverschwörung ist auch deshalb bemerkenswert, weil er bereits wesentliche Züge der späteren Gebrauchsgeschichte enthält: Eine Weltverschwörung wird einerseits als umfassend und übermächtig imaginiert, andererseits wird sie auf einen sehr kleinen Kreis von Akteuren zurückgeführt, denen geradezu dämonische Kräfte zukommen. So ist es im genannten Beleg 1918a die Person des 1910 verstorbenen englischen Königs Edward VII., die das Deutsche Reich und seine Verbündeten durch eine von ihm inspirierte Einkreisungspolitik in den Krieg getrieben habe.

Affirmative und negierende Lesart

In der Zeit der Weimarer Republik finden sich auf der linken Seite des demokratischen Spektrums Belege für das Wort, die es als Figurenrede zitieren und auch ironisch brechen (1924a, 1933; vgl. auch Max Weber 1918b mit kritischer Bezugnahme auf die zeitgenössischen Legendenbildungen: Verschwörung der internationalen Demokratie). Hier wird Weltverschwörung als Wahngebilde dargestellt, d. h. als Wort, für das es keine Entsprechung in der Wirklichkeit gibt. (Zu nennen ist freilich auch eine neutrale Verwendung im Beleg 1924b, der sich allerdings nicht auf das Deutsche Reich, sondern auf internationale Politik bezieht; hier steht das Wort für eine zwar unrealistische, aber immerhin denkbare Annahme.)

Insgesamt haben sich damit zwei wesentliche Verwendungsweisen des Wortes herausgebildet: Auf der einen Seite des politischen Spektrums ein Gebrauch, der ganz klar davon ausgeht, dass es so etwas wie eine Weltverschwörung gibt, auf der anderen Seite eine Verwendung, die genau das in Abrede stellt und Weltverschwörung als Wort verwendet, das keine Entsprechung in der Wirklichkeit hat. Linguistisch gesprochen könnte man dies in der Weise fassen, dass eine affirmative und eine negierende Lesart des Wortes einander gegenüberstehen: Die affirmative Verwendung behauptet die Existenz eines entsprechenden Bezugsobjekts, die negierende behauptet das genaue Gegenteil. Zu betonen ist, dass in dieser negierenden Lesart mit dem Wort nicht nur keine Aussage hinsichtlich der Existenz einer Bezugsgröße verbunden wird, sondern die Behauptung aufgestellt wird, dass eine solche Größe nicht existent ist. Die implizite Negation ist hier somit Teil der Wortbedeutung (vgl. 1992).

Wortverwendung in NS- und Nachkriegszeit

Der Sprachgebrauch des NS-Regimes knüpft, wie kaum anders zu erwarten, mit der Wiederbelebung des Wortes ab 1940 nicht an den negierenden, sondern an den affirmativen Gebrauch aus der Schlussphase des Ersten Weltkriegs an: Es existiere eine gegen das Deutsche Reich gerichtete internationale oder jüdisch-internationale Weltverschwörung (1941 und 1945). Damit wird auch das aus der Zeit um 1918 bekannte Täter-Opfer-Schema wieder aufgegriffen; dieses erlaubt es, die eigene Handlungsmacht und Verantwortung zu minimieren, während Handlungsmacht und Verantwortung des politischen bzw. militärischen Gegners maximiert werden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges finden sich zwar gelegentlich noch Verwendungen, die eine reale Bezugsgröße für das Wort voraussetzen (1952 kommunistische Weltverschwörung), ansonsten tritt aber insofern ein semantischer Wandel ein, als – jedenfalls in den Belegen der Zeitungskorpora – die affirmative Lesart weitestgehend aus dem Sprachgebrauch verschwindet und lediglich die negierende Lesart erhalten bleibt. Weltverschwörung ist damit in gewisser Weise vergleichbar mit einem Wort wie Hexe. Die Sprecherinnen und Sprecher des Gegenwartsdeutschen verfügen zwar über entsprechende Konzepte, sie dürften sich aber darin weitestgehend einig sein, dass zu diesen Konzepten keine Entsprechung in der Wirklichkeit existiert: Es gibt weder Hexen noch eine Weltverschwörung.

Dennoch besteht – durchaus im Gegensatz zu Wörtern wie Hexe – vielfach das Bedürfnis, das Fehlen des Referenten deutlich zu markieren, etwa durch Distanzsignale wie Anführungszeichen oder den Wahrheitsgehalt einschränkende Ausdrücke wie angeblich, vermeintlich oder Mythos (1998, 2020, 2021). Dabei wird sowohl auf historische Sachverhalte, hier besonders die NS-Ideologie, als auch auf die gegenwärtig verbreiteten und zum Teil rechtsextremistischen Verschwörungstheorien Bezug genommen, die vorwiegend durch das Internet und die sozialen Medien befeuert sind (2002, 2019; vgl. auch den Artikel VerschwörungstheorieWGd). Gelegentlich finden sich aber auch ironische Brechungen, wenn Annahmen zu sehr alltäglichen Sachverhalten als haltlos und aberwitzig charakterisiert werden sollen (2010, 2013).

Belegauswahl

Am 7. Mai 1910 starb König Eduard VII., der Schöpfer der Einkreisungspolitik. […] In England und im Ausland hatte er den leitenden Männern Geist von seinem Geist eingehaucht und klug die politischen Gegensätze benutzt, um eine Weltverschwörung gegen die Mittelmächte anzuzetteln.

Ehringhaus, Friedrich: Einführung in die Politik und Weltgeschichte der neuesten Zeit 1870–1914. Halle (Saale) 1918, S. 51. (gei.de)

Im Inland glaubt man, dank den kindlichen Geschichtsspekulationen unserer Literaten, vielfach umgekehrt: eine Verschwörung der internationalen »Demokratie« gegen Deutschland habe die unnatürliche Weltkoalition gegen uns zustande gebracht.

Weber, Max: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. In: Marianne Weber (Hg.): Gesammelte Politische Schriften. München 1921 [zuerst 1918], S. 524. [DWDS]

Jetzt aber hat die »Ere nouvelle« in ihrer Ausgabe vom 28. September herausgefunden, dieser etwas unerwartete Angriff der französischen Kardinäle sei eine Art Weltverschwörung des Vatikans […]; denn »aus sicherer Quelle« wisse das Blatt, daß Mitglieder der deutschen Zentrumspartei den Franzosen unter der Hand mitgeteilt hätten, sie seien bereit, eine franzosenfreundliche Politik in Deutschland zu machen, wenn Frankreich die Botschaft beim Vatikan beibehielte.

Tucholsky, Kurt: Der erste Händedruck. In: Kurt Tucholsky: Werke – Briefe – Materialien. Berlin 2000 [zuerst 1924], S. 10735. [DWDS]

[…]Daß vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean sich zahlreiche Herde der Unruhe aneinanderreihen, ist sohin eine Tatsache, die sich ebenso wenig ableugnen läßt, als daß sich seit dem Weltkriege eine gewaltige Emanzipationsbewegung nicht nur der mohammedanischen, sondern auch der brahmanischen und buddhistischen Welt bemächtigt hat. Daß diese einmal zu einem gigantischen Ausbruch gegen die Kolonialmächte führen kann, soll ebensowenig in Abrede gestellt werden. Die Frage ist nur, ob die Entwicklung jetzt schon so weit gediehen ist, und wir wirklich schon die ersten Anzeichen dieser Weltverschwörung gegen England und die anderen Seemächte vor uns haben, deren Zentrum nach Ansicht der Anhänger dieser Anschauung in Moskau läge. Daß man von dort aus in diesem Sinne tätig ist, ist kein Geheimnis, doch gibt der Umstand zum Nachdenken Anlaß, daß selbst die Verfechter der Verschwörungstheorie zugeben, daß neben dem Moskauer Zentrum noch andere Ausgangspunkte […]- für den fernen Osten Japan, für den mohammedanischen Orient Angora, Indien und die Wahhabiten - in Betracht kommen.

Reichspost 31, 15. 10. 1924, Nr. 285, S. 2. (onb.ac.at)

Der Packer Hinkel sah ein, daß offenbar selbst die völkische Bewegung zu schwach war gegen die jüdische Weltverschwörung.

Feuchtwanger, Lion: Die Geschwister Oppermann. Berlin 2001 [zuerst 1933], S. 310. [DWDS]

Neben uns traf der Haß dieser internationalen Weltverschwörung jene Völker, die ebenso vom Glück übersehen, im härtesten Daseinskampf das tägliche Brot zu verdienen gezwungen waren.

In: Archiv der Gegenwart 11, 22. 6. 1941, S. 5074. [DWDS]

So hat denn auch die jüdisch-internationale Weltverschwörung vom ersten Tag an von Hoffnungen gelebt.

In: Archiv der Gegenwart 15, 1. 1. 1945, S. 4. [DWDS]

Gefährlich wird die anti-abendländische Bewegung, wenn sie mit der kommunistischen Weltverschwörung zusammentrifft.

Die Zeit, 31. 1. 1952, Nr. 05. [DWDS] (zeit.de)

Das Kaspische Meer im Rücken, baute sich der Premier der 7,2-Millionen-Republik in seinen pompösen, holzgetäfelten Amtsräumen zum Verteidiger Aserbeidschans gegen die armenische Weltverschwörung auf.

Die Zeit, 20. 3. 1992, Nr. 13. [DWDS] (zeit.de)

Hadassa Ben Itto, die erstmalig die Prozeßunterlagen sichten konnte, meint, der Wahn von der „jüdischen Weltverschwörung“ hätte sich so in den Köpfen verfestigt, daß selbst ein Gerichtsurteil keine Wirkung zeigte.

Die Zeit, 19. 11. 1998, Nr. 48. [DWDS] (zeit.de)

Jenseits aller Erklärungsmodelle um das Wirken der Illuminaten oder einer „jüdischen Weltverschwörung" haben sich im Internet drei Theorien herausgebildet, die mit dem 11. September verbunden sind.

Der Tagesspiegel, 11. 9. 2002. [DWDS]

Einmal mehr scheint hier die Weltverschwörung zur Unterdrückung der fränkischen Mundart am Werk zu sein.

Süddeutsche Zeitung, 9. 4. 2010. [DWDS]

Ist der Sprössling dann erst mal in der Schule, quält sich Mutter oder Vater auf Elternabende und sieht überall die große Weltverschwörung lauern, die dem hochbegabten Liebling schaden will.

Rhein-Zeitung, 18. 10. 2013. [DWDS]

Wer sich lange genug von Google und Facebook auf die immer gleichen hasserfüllten Inhalte weiterleiten lässt, findet sich irgendwann in Migrations-Zombie-Apokalypsen wieder, die uns angeblich die „Jüdische Weltverschwörung“ eingebrockt hat.

Frankfurter Rundschau, 29. 7. 2019. [DWDS]

Der mit der nachweislich gefälschten Propagandaschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ einst stark popularisierte Mythos einer jüdischen Weltverschwörung hat als Herzstück der NS-Ideologie dem Holocaust den ideellen Boden bereitet.

Der Tagesspiegel, 9. 6. 2020. [DWDS]

Ausgerüstet mit Bildschirm und Lautsprecherboxen deckten die Organisatoren der Aktion vermeintliche Weltverschwörungen auf und kritisierten die Corona-Politik in Bund und Land.

Münchner Merkur, 29. 3. 2021. [DWDS]