Wortgeschichte
Derbe Schimpfwörter
Das Wort Luderleben ist seit dem 17. Jahrhundert bezeugt (1695, vgl. auch Stieler, 1174). Es handelt sich um eine Zusammensetzung mit dem Substantiv Luder (Maskulinum), welches bereits mittel- und frühneuhochdeutsch in der Bedeutung ungebundenes, ausgelassenes Leben
vorkommt, die wiederum über eine Bedeutung Lockspeise
auf den jägersprachlichen Ausdruck Raub, Beute
zurückgeht (vgl. 1DWB unter Luder und 10Paul, 625a). Das Simplex konnte bereits im Mittelhochdeutschen den Status eines derben Schimpfwortes einnehmen (vgl. loudermhd. in Lexer 1, 1986 und Pfeifer unter LuderDWDS). Die Zusammensetzung mit Leben ist in der Hinsicht tautologisch, dass Luder im Sinne von Wohlleben
durch Leben erläutert wird (1776, 1855, 1986).
Lotterleben lässt sich bis in das 19. Jahrhundert zurückführen (1856). Das Bestimmungswort Lotter ist über das Mittelhochdeutsche hinaus in der Bedeutung zerlumpter Kerl, Taugenichts
zurückzuverfolgen, meist nimmt es dabei den Status eines Schimpfwortes an (s. 1DWB unter Lotter und Lexer unter Lotermhd.). Jünger ist es in dieser Bedeutung etwa bei Tieck in Gebrauch (1816). Mit Lotter wird zudem auf eine Person Bezug genommen, die in der Regel eine geminderte Rechtsstellung besitzt (vgl. DRW unter Lotter). Anders als bei der Zusammensetzung Luderleben handelt es sich bei Lotterleben um ein Determinativkompositum (1873, 1906, 1965, 2015).
Nach der Verteilung der Zusammensetzungen Lotterleben und Luderleben in gängigen Korpora zu urteilen, etwa dem Referenz- und Zeitungskorpus des DWDS (vgl. Abb. 1), ist Lotterleben in der Gegenwartssprache geläufiger und scheint Luderleben abgelöst zu haben. Letzteres ist heute weitaus seltener, aber dennoch kontinuierlich bis in die Gegenwart bezeugt (1797, 1903, 2003).
Abb. 1: Wortverlaufskurve zu „Lotterleben“ und „Luderleben“ aus den DWDS Referenz- und Zeitungskorpora
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Den Eintragungen in den gängigen historischen Wörterbüchern nach zu urteilen scheint weniger die Zusammensetzung mit Leben, als etwa die mit Bube (s. etwa Lexer unter Loterbuobemhd., 1DWB 12, 1211 und DWDS unter LotterbubeDWDS) relevant zu sein. Ähnlich wie bei Luderleben führt auch hier die Zusammensetzung von Bestimmungs- und Grundwort zu einer tautologischen und deshalb verstärkenden Bildung (vgl. Pfeifer unter LotterbubeDWDS). Für das Neuhochdeutsche wesentliche Bezeugungen lassen entsprechend für die Zusammensetzung Lotterbube die Lesart Nichtsnutz; auch: Herumtreiber
erkennen, inbesondere in frühen Belegen begegnet sie deutlich als Schimpfwort (1640, vgl. auch A la Mode-Sprach, 671). Das Wort ist, wenn auch selten, bis in die Gegenwart bezeugt und dient in der Hauptsache der Umschreibung von Personen, die einen liederlichen Lebenswandel führen (1772, 1834, 1920, 1960, 2004).
Ein Luder- oder Lotterleben führen
Abb. 2: Wortverlaufskurve zu „Lotterleben führen“ und „Luderleben führen“ aus den DWDS Referenz- und Zeitungskorpora
DWDS (dwds.de) | Bildzitat (§ 51 UrhG)
Luder- wie Lotterleben gehen regelmäßig eine Wortverbindung mit führen ein. Insbesondere für Luderleben führen kann mit den ersten Belegen von einer Art Synonymierelation zwischen Wortverbindung und dem einfachen Verb lottern oder ludern liederlich, verwahrlost leben
gesprochen werden (1892, 1928, 1979). Vor allem Luderleben ist in Verbindung mit führen in frühen Bezeugungen der Studentensprache zuzuordnen (1795, 1841). Zur Gegenwart hin scheint Luderleben erwartungsgemäß auch in der Verbindung mit führen von Lotterleben abgelöst zu werden (vgl.
Abb. 2; 1882, 1911, 1997, 2012).
Literatur
A la Mode-Sprach Gladov, Friedrich: A la Mode-Sprach der Teutschen Oder Compendieuses Hand-Lexicon. Jn welchem die meisten aus fremden Sprachen entlehnte Wörter und gewöhnliche Redens-Arten, So in denen Zeitungen, Briefen und täglichen Conversationen vorkommen, Klar und deutlich erkläret werden. Nürnberg 1727. (deutschestextarchiv.de)
DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Bis Bd. 3 hrsg. von der Preußischen Akad. der Wiss., Bd. 4 hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin, Ost), ab Bd. 5 hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (bis Bd. 8 in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften der DDR). Bd. 1 ff. Weimar 1912 ff. (adw.uni-heidelberg.de)
1DWB Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1–16. Leipzig 1854–1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (woerterbuchnetz.de)
DWDS DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. (dwds.de)
Lexer Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alphabethischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke-Müller-Zarncke. Bd. 1–3. Leipzig 1872–1878. (woerterbuchnetz.de)
10Paul Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete u. erweiterte Aufl. von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel. Tübingen 2002.
Pfeifer Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. (dwds.de)
Stieler Stieler, Kaspar von: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz/ Worinnen alle und iede teutsche Wurzeln oder Stammwörter/ so viel deren annoch bekant und ietzo im Gebrauch seyn/ nebst ihrer Ankunft/ abgeleiteten/ duppelungen/ und vornemsten Redarten/ mit guter lateinischen Tolmetschung und kunstgegründeten Anmerkungen befindlich. […] Nürnberg 1691. (mdz-nbn-resolving.de)
Weitere wortgeschichtliche Literatur zu Lotterleben, Luderleben, Lotterbube.