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Tramp trampen

Politik & Gesellschaft

Kurz gefasst

Meist auf amerikanische und englische Verhältnisse bezogen, ist das Wort Tramp seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in deutschen Textzeugnissen in der Bedeutung Landstreicher, Wanderarbeiter bezeugt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entstehen weitere Lesarten, etwa jemand, der per Anhalter fährt. Hieran schließt sich auch das Verb trampen an. Daneben sind es populäre Film- und Musikzitate, die zur Verbreitung der Lesart von Tramp als besondere Figuren- und Personenbezeichnung beigetragen haben.

Wortgeschichte

Aspekte des Umherziehens

Das Wort Tramp wird im späten 19. Jahrhundert aus dem gleichbedeutenden amerikanischen Englisch tramp Vagabund, Landstreicher (vgl. 3OED unter tramp) ins Deutsche entlehnt (s. auch 1DFWB unter Tramp). Zunächst begegnet es u. a. in Reiseberichten über England und Amerika (1872, 1888). Das Leben nordamerikanischer Tramps wird auch als Stoff für Abenteuerromane genutzt, was dazu führt, dass das Wort eine weitere Verbreitung erfährt (s. Trübner 7, 85; 1910). Im weiteren Verlauf der Wortgeschichte wird Tramp auch allgemeiner in der Bedeutung ,Wanderarbeiter‘ verwendet (1952, 2021a).

Der Lesart jemand, der per Anhalter fährt (1958, 2016) geht vermutlich die Handlungsbezeichnung Fußwanderung (1937) voraus. Geläufig ist auch die Ableitung Tramper (1994). Auch wenn für das Verb trampen zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein Entlehnungsvorgang aus dem Englischen zu verzeichnen ist, ist anzunehmen, dass es sich bei dem Verb in der Lesart per Anhalter fahren um eine Ableitung von dem im Deutschen geläufigen Gebrauchszusammenhang zu Tramp handelt (s. Das Verb - ein falscher Freund).

Populärkulturelle Zitate

In der Populärkultur begegnet das Wort Tramp häufig als Figurenbezeichnung für die Rolle Charlie Chaplins, die zu seiner berühmtesten Leinwandfigur zählt. Diese erscheint zuerst im Film Kid Auto Races at Venice, in der Chaplin die Rolle eines Vagabunden, des Tramps, verkörpert. Die Interpretation dieser Rolle schließt an die Lesart Landstreicher an und ist mit charakteristischen äußeren Merkmalen verbunden, etwa einer Pluderhose, einem zu engen Jackett, Zweifingerschnurrbart und Melone (s. auch Abb. 1). Mit dieser von ihm gespielten Rolle wird Chaplin zur Ikone des Stummfilms. Die Sozialfigur gehört zu einem Allgemeingut der Filmgeschichte, die die sich mit dem Tramp verbindenden Vorstellungen bis heute prägt (1978, 2013).

Daneben ist Tramp auch als Frauenbezeichnung geläufig. Diese schließt wiederum an das besonders im Amerikanischen geläufige tramp an, hier in der Bedeutung sexuell freizügig lebende Frau (vgl. 3OED unter tramp). Im Deutschen begegnet Tramp in der Lesart Gammlerin, durchtriebene Frau zwar seltener (1998, 2021b), aber auch hier steht ein populärkulturelles Element als Vermittlungsinstanz für die wortgeschichtliche Entwicklung und Verbreitung. Die in den 1930ern für das Musical Babes in Arms verfasste Musiknummer – später auch ein Schlüssellied Frank SinatrasThe Lady is a tramp ist als häufig gebrauchtes Musikzitat zu beurteilen, welches Tramp als Personenbezeichnung für eine Frau bis in die Gegenwart präsent hält (1972, 2019).

Das Verb – ein falscher Freund

Das intransitive Verb trampen wird in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus englisch to tramp zu Fuß wandern; als Tramp reisen (vgl. 3OED unter tramp) entlehnt (s. auch 1DFWB unter trampen sowie Anglizismen-Wb. 3, 1559). In der Bedeutung wandern ist es allerdings nur vereinzelt belegt (1934, 1948). Weitaus geläufiger wird in der zweiten Jahrhunderthälfte die Lesart per Anhalter fahren, die sich meist auf junge, unbemittelte Reisende bezieht, welche durch den von der Faust abgespreizten Daumen ihre gewünschte Fahrtrichtung äußern (1950, 2021c). Da diese Lesart dem Verb to tramp fremd ist, zählt das Wort interlinguistisch zu den sogenannten falschen Freunden. Wahrscheinlicher ist eine Ableitung von dem bereits im Deutschen geläufigen Tramp. Der im amerikanischen Englisch zu verortende Ausdruck für trampen, per Anhalter fahren ist to hitchhike (vgl. 3OED unter hitch-hike).

Literatur

Anglizismen-Wb. Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, begründet von Broder Carstensen, fortgeführt von Ulrich Busse. Bd. 1–3. Berlin/New York 1993–1996.

1DFWB Schulz, Hans/Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Weitergeführt im Institut für deutsche Sprache unter der Leitung von Alan Kirkness. Bd. 1–7. Straßburg bzw. Berlin 1913–1988. (owid.de)

3OED Oxford English Dictionary. The Definite Record of the English Language. Kontinuierlich erweiterte digitale Ausgabe auf der Grundlage von: The Oxford English Dictionary. Second Edition, prepared by J. A. Simpson and E. S. C. Weiner, Oxford 1989, Bd. 1–20. (oed.com)

Trübner Trübners Deutsches Wörterbuch. Im Auftr. der Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Wortforschung hrsg. von Alfred Götze, fortgeführt von Walther Mitzka. Bd. 1–8. Berlin 1939–1957.

Belegauswahl

Ja, etwas von ihrem ehemaligen Reiz hat die Chaussee in England immer noch behalten! Kein Augenblick vergeht, ohne daß uns ein Wägelchen begegnet oder […] ein Mitglied jener bewundernswerthen, bei uns unter dem Namen „Landstreicher“ bekannten Zunft der „tramps“, welche die Heerstraße zu ihrem Revier gemacht haben, unter dem Zaune schlafen und das Königreich auf Kosten derjenigen bereisen, welch in demselben angesessen sind. […]. Der „Tramp“ hat einen guten Appetit, befriedigt ihn auf anderer Leute Rechnung, raucht seine Pfeife und schnuppert in die Morgenluft früher und frischer als irgendein anderer.

Rodenberg, Julius: Studienreisen in England. Leipzig 1872, S. 307. (sub.uni-goettingen.de)

[…]Da gesellten sich zu den Scholaren die bedenklichsten Gesellen, die nie daran dachten, zu studieren, und fahrende Scholaren führten […]deshalb oft genug das wahre Zigeunerleben, zogen nicht zum Orte der Studien, sondern wild im Lande umher. Sie bildeten eine Landplage, wie heutzutage die Haufen wandernder Tramps in den dünner bewohnten Geländen westlich vom Missisippi.

Kaufmann, Georg: Geschichte der deutschen Universitäten. Erster Band: Vorgeschichte. Stuttgart 1888, S. 153. (books.google.de)

[…]„Was tut man hier? fragte der erstere, indem er sich an Professor Bell wendete. “ Wir arretieren zwei gefährliche Tramps mit ihrer Squaw, die sich an Okih-tschin-tscha vergriffen und ihn in das Wasser geworfen haben. […]Es wird ein Präriegericht abzuhalten sein, um sie zu bestrafen.

May, Karl: Winnetou. Band 4. Berlin 1993 [1910], S. 281. [DWDS]

Drei trampen nordwärts: Eine Jungensfahrt durch Schweden.

Hofer, Hans: Drei trampen nordwärts: Eine Jungensfahrt durch Schweden. Mit einem Begleitwort von Sven Hedin. Farbiges Umschlagbild und 8 Bilder im Text von Hans Hähnel. Leipzig 1934. o.S. (books.google.de)

Der Tramp geht los, die Knochen werden sich schon fügen. Wir sind am Grat, der Führer voran. Zu steil, um mit den Brettern hochzukommen. Wir schnallen ab. Der Führer bohrt die Wächte an.

Schweizer Alpen-Club: Alpes. Band 13. Bern 1937, S. 4. (books.google.de)

Oh, ich freue mich: ich trampe durch Berlin, die Stadt, wo ich einst lebte und alles verlor. Ich fühle das Wonnegeprickle, das untrüglich anzeigt.

Die Zeit, 6. 5. 1948, Nr. 19. [DWDS] (zeit.de)

Wer auf der Landstraße irgendwohin mitgenommen werden will, der lege zuerst die Hetze des Alltags ab. Hat man sich einmal entschlossen zu trampen, so darf man auch nicht wankelmütig werden. „Wenn in einer Stunde niemand gehalten hat, fahre ich doch mit der Bahn…“ – wer so denkt, wird bestimmt mit der Bahn fahren.

Die Zeit, 22. 6. 1950, Nr. 25. [DWDS] (zeit.de)

[…]Blanker, blitzender Spiegel einer mutigen und harten Jugend vor dem Mast, die den heutigen Laureaten als einen vor der Zeit Verwaisten in alle Winde und Erdteile verschlug. Als Tramp und Tellerwäscher, dem keine Arbeit zu schlecht, als Schiffsjunge und Matrosen, dem zwischen Gangspill und Steuerruder keine Trosse zu schwer, keine Rahe zu hoch war. […]Diese „Salt Water Ballads“ waren Masefields erste lyrische Ernte, seine früheste Publikation überhaupt, ehe er in zähem Schaffen mit Sonetten und Landschaftsgedichten, mit Dramen, Essays und Romanen, mit den “Canterbury Tales“ zu wohlverbürgtem Ruhm, aufstieg.

Die Zeit, 24. 1. 1952, Nr. 04. [DWDS] (zeit.de)

„Der will nur Fahrgeld sparen.“ Und nennen ihn nicht Tramp, sondern „Stopper“: „Und das sind arme Würstchen.“

Die Zeit, 28. 8. 1958, Nr. 35. [DWDS] (zeit.de)

[…]Sie beherrscht also die Dramaturgie der Verzögerungen oder der Übereilungen ziemlich sicher – und so ergeben sich, vom Orchesterarrangeur in seiner besten Stunde unterstützt, sehr individuelle Versionen reichlich abgeklapperter Schlager wie, sagen wir, des „Love Story“ – Songs. Das gilt ausnahmslos für alle „großen“ Schlager wie „That’s why the Lady is a Tramp“ oder Harrisons „Summertime“, auch für solche Renner wie die Bond-Nummern „Goldfinger“ und „Diamonds are forever“.

Die Zeit, 28. 4. 1972, Nr. 17. [DWDS] (zeit.de)

[…]Der bärtige Glöckner von Erding beobachtete von einer Stehleiter aus, wie sie statt nach Italien immer im Kreis liefen und schließlich ertranken. Ein kleiner Herr mit Koffer, ein Tramp (Chaplin?), stieg vom Gipfel eines Zeltdachs in den Garten und zog die Zuschauer zum nächsten Ereignis. […]Am Ende des Abends, im Zirkuszelt, nach einer Kleinbürgerhochzeit sitzt die Braut auf dem Trapez und weiß nicht weiter: Sie ist zur Trapezkünstlerin zu dick und viel zu ungeschickt.

Die Zeit, 19. 5. 1978, Nr. 21. [DWDS] (zeit.de)

Mit Oliver war ich bis ins bulgarische Achtopol, kurz vor der türkischen Grenze getrampt, dem südlichsten Punkt für einen Tramper made in GDR.

Jentzsch, Kerstin: Seit die Götter ratlos sind. München 1999 [1994], S. 16. [DWDS]

14. Berliner Luft September VON NORBERT TEFELSKI 1998 Die Lady gibt sich mal wieder als Tramp, läßt die in Straß, Licht und Talmi gehüllte Sau raus. Mit karnevalskompatiblen Witzen über Schönheitspflege (pudern) und Sex (pudern) bedient Damendarsteller Georg Preuße des braven Bürgers Hang zum Verruchten.

Der Tagesspiegel, 14. 9. 1998. [DWDS]

In seiner Wohnung in der Jenaer Straße, […]wo nun seine Frau, die Schauspielerin Monika Hansen, mit ihren großen Kindern um ihn trauert, mit Ben und Meret Becker, die von früh an auch die Kinder des geliebten Stiefvaters Otto wurden, in dieser luftig großen Berliner Altbauwohnung stehen in einem Bücherregal oder mitunter „zum Auslüften“ auf dem Balkon auch zwei bronzene Knautschschuhe. Es sind die Latschen des berühmtesten Tramps der Filmgeschichte.

Die Zeit, 12. 9. 2013, Nr. 38. [DWDS] (zeit.de)

Der Song heißt Daumen im Wind, er ist von 1972. Im Text geht es um einen langhaarigen Tramp, der sich nicht an die Kette eines bürgerlichen Lebens legen lässt. […]In den Achtzigern, als das im Westen schon etwas veraltet war, entfalteten Udos Songs in der DDR systemkritische Power.

Die Zeit, 3. 12. 2016, Nr. 48. [DWDS] (zeit.de)

[…] Matthes machte gleich klar, dass er an Schwung und persönlichem Format nicht hinter seiner Vorgängerin zurückstehen will: Erst brachte er Berben auf der Bühne ein Ständchen (mit Frank Sinatras „The Lady is a Tramp“), dann redete er den Akademiemitgliedern ins Gewissen, sie könnten ruhig „noch politischer“ und „noch tollkühner“ sein als bisher, was im deutschen Film im Augenblick tatsächlich kein Kunststück ist.

Frankfurter Allgemeine Zeitung (online), 3. 5. 2019.

[…]Denn auch bei Jenkins geht es um den reichen, weißen Mann, der sich im Speisewagen den Bauch mit edlen Gerichten, mit Fasanenbrust und Kaviar vollschlägt. In beiden Songs ist die Hauptfigur ewig weit weg vom Reichtum des Wirtschaftsgewinnlers. Die Verlierer, die Gelegenheitsarbeiter und Tramps („Hobos“) fahren allerhöchstens als blinder Passagier im Güterwaggon mit oder stehen sich zusammen mit eingepferchten Rinderherden die Füße platt. […]Züge geben Hoffnung, wenn man sie sich leisten kann. Die Eisenbahn führt aber auch ins Nirgendwo oder an Orte, in denen überhaupt nichts besser ist.

Frankfurter Allgemeine Zeitung (online), 26. 11. 2021.

Als Hannelore Elsner im April 2019 starb, verlor der deutsche Film eine wahre Diva. […]Ihr Weg hatte sie von den Sechzigern aus – als „bezaubernde Schülerin“, etwa neben Peter Alexander in einem der notorischen Pauker-Filme – hin zur Charakterdarstellerin von höchsten Graden geführt, wie in Oskar Roehlers Filmdrama „Die Unberührbare“ aus dem Jahr 2000, wo sie, viel gerühmt und ausgezeichnet, den Niedergang der unglücklichen Schriftstellerin Hanna Flanders verkörperte. Die Diva verfügte zugleich über den Esprit der Lady als Tramp. Zwar ist die breitschultrige schwarze Lederjacke, die sie in ihrer Rolle als Fernsehkommissarin Lea Sommer von 1994 bis 2006 trug und unter die auch das Pistolenhalfter passte, nicht in der Auktion. Aber sie war ein Requisit, mit dem sie eins zu sein schien; […]kühl bis ans Herz, ironisch, erotisch.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. 7. 2021, S. 7b.

Scherf wurde 1938 geboren. Kaum war er da, war Krieg. Danach Hunger. Dabei aber, Glück Nummer eins, gute Eltern. Sie trauten ihm was zu, ließen ihn frei. Mit 14 durfte er gemeinsam mit seinem Bruder über Ostern nach Paris trampen. Noch heute hat Scherf ein Heftchen mit Bildern von Kirchen, die er dort zeichnete.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18. 4. 2021, S. 6d.